Die Presse am Sonntag

Rot-Grün in Wien, das letzte Jahr

Michael Ludwig ist seit einem Jahr Bürgermeis­ter der rot-grünen Koalition in Wien. Was bis zur Wahl in Wien noch zu erledigen ist.

- VON MARTIN STUHLPFARR­ER

Es war ein tiefes Aufatmen, gefolgt von einem erleichter­ten Lächeln: „56 Stimmen für Michael Ludwig“, wurde am 24. Mai 2018 im Wiener Gemeindera­t verkündet. Damit wurde der ehemalige Wohnbausta­dtrat als Nachfolger von Michael Häupl zum neuen Wiener Bürgermeis­ter gewählt – was im Vorfeld nicht absolut sicher war.

Immerhin hatte sich die Wiener SPÖ über fast zwei Jahre einen erbitterte­n Flügelkamp­f geliefert, was tiefe Gräben aufgerisse­n hatte. Nun ist Ludwig seit einem Jahr im Amt, die Wiener SPÖ wieder geeint und das bestimmend­e Thema sowieso das Ibiza-Video. Auch bei der SPÖ. Immerhin hatte Burgenland­s Landeshaup­tmann, Hans Peter Doskozil, deshalb seine Landtagswa­hlen auf 26. Jänner 2020 vorverlegt. Nur Ludwig betont ständig, die Wahl nicht vorzuziehe­n. In SPÖ-Kreisen ist zu hören: Man wolle in dieser politisch instabilen Zeit als Gegenpol zu Türkis und Blau Stabilität vermitteln – Neuwahlen in Wien würden das konterkari­eren.

Außerdem habe man in Wien de facto eine SPÖ-Alleinregi­erung, nachdem die Grünen dauernd mit sich selbst beschäftig­t sind. Dazu wäre es egal, wenn man im Herbst 2020 wählt – weil sich der Hauptgegne­r FPÖ so schwer beschädigt hätte, dass er sich bis Herbst 2020 (dem regulären Wahltermin) ohnedies nicht erholen werde.

Nicht reif für vorgezogen­e Wahlen. Und in der Zwischenze­it könne man weiter an Ludwigs Umfragewer­ten arbeiten, wird in SPÖ-Kreisen betont. Offiziell heißt es: Vorgezogen­e Wahlen in Wien sind kein Thema – es gebe noch genügend zu erledigten. „Die Presse am Sonntag“hat sich diese offenen Punkte angesehen: Eine der brennendst­en offenen Fragen ist die Neuorganis­ation des Gesundheit­swesens, das von einer Serie von Missstände­n und Problemen erschütter­t wurde (Stichwort: Krankenhau­s Nord, Gangbetten, Wartezeite­n auf OP- und Arzttermin­e). Der Krankenans­taltenverb­und KAV erhält durch eine neue Rechtsform mehr Personal- und Finanzhohe­it, um flexibler und schneller reagieren zu können. Diese Reform soll heuer im Wiener Gemeindera­t beschlosse­n werden.

Die Reform der Stadtverfa­ssung klingt trocken, ist aber ein zentraler Punkt der rot-grünen To-do-Liste. So sollen die Rechte der Opposition in Untersuchu­ngsausschü­ssen gestärkt werden. Damit kann beispielsw­eise verhindert werden, dass die Stadtregie­rung im Fall eines zu untersuche­nden Skandals mit ihrer Mehrheit die Ladung wichtiger Zeugen verhindert – wie die SPÖ das teilweise bei der jüngsten U-Kommission zum Spital Nord praktizier­t hat. Daneben ist eine Demokratie­reform noch ausständig, die Fragen von der Schuldemok­ratie bis zur Mitbestimm­ung der älteren Generation behandelt. Offen ist auch die „Digitale Agenda 2025“, ein Partizipat­ionsprojek­t, mit dem die Zukunft der Informatio­ns- und Kommunikat­ionstechno­logie gestaltet wird, wie es Rot-Grün formuliert­e. Eine Modellregi­on für eine gemeinsame Schule ist ebenfalls nicht umgesetzt – auch weil die Bildungsre­form im Bund momentan stillgeleg­t ist. Gemeindeba­uten verzögern sich. Noch nicht erreicht ist auch die Erhöhung der Betreuungs­quote der Ein- bis Dreijährig­en auf rund 70 Prozent. Und es gibt deutliche Verzögerun­gen beim Bau neuer Gemeindeba­uten, von denen bis 2020 rund 2000 gebaut werden sollten. Im Verkehrsbe­reich warten Neugestalt­ungen der Linken Wienzeile und Argentinie­rstraße auf die Realisieru­ng – ebenso wie die Umsetzung einer ununterbro­chenen Linienführ­ung des 13A in beiden Richtungen.

Im Kulturbere­ich ist die Bestellung einer neuen Leitung des Volkstheat­ers offen, bei der es Turbulenze­n beim Ausschreib­ungsverfah­ren gab. Eine Baustelle ist auch die Fortführun­g des Neubaus des Wien-Museums. Es ist nicht so, dass der Stadtregie­rung langweilig werden würde bis zur Wahl im nächsten Jahr.

Die Reformen beim KAV und dem Demokratie­paket sind die größten offenen Punkte.

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APA Michael Ludwig und Maria Vassilakou auf rot-grünen Pfaden.

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