Die Presse am Sonntag

Warum das Image der Milch

Kaum ein Lebensmitt­el hatte so lang eine weiße Weste wie die Milch. Das hat sich über Jahrtausen­de kaum geändert. In den letzten Jahren hat Milch jedoch einen Imagewande­l erlebt, vorwiegend aus ökologisch­en und ethischen Gründen, aber auch in Zusammenha­ng

- VON KARIN SCHUH

Die Milch ist wie kaum ein anderes Lebensmitt­el positiv besetzt, steht sie doch für den Anfang. Milch ist jenes Lebensmitt­el, das uns am Anfang unseres Lebens nährt. Natürlich in Form von Muttermilc­h. Der Vergleich zwischen Tieren und Menschen mag hinken, aber vielleicht nur deshalb, weil wir bei Kuhmilch allzu oft vergessen, dass sie dieselbe Funktion hat wie bei Menschen: den Nachwuchs zu nähren.

Milch steht aber nicht nur für den Anfang jedes Menschen. Sie ist auch eines der ältesten Lebensmitt­el der Welt. Milch ist ebenso der Anfang der Landwirtsc­haft – und somit wesentlich dafür verantwort­lich, wie wir heute leben. Sie hat einen besonders hohen Nährstoffg­ehalt, weshalb der Mensch auch begonnen hat, sie zu trinken – dank einer Genmutatio­n, die sie uns verträglic­h gemacht hat.

Und dann wäre da noch die weiße Farbe, die wie dafür geschaffen ist, etwas Gesundes, Junges, Unschuldig­es, komplett Unverdächt­iges zu symbolisie­ren – was auch die Werbung zu nutzen weiß. Milch ist im kollektive­n Bewusstsei­n also gut – und das schon sehr, sehr lang. In jüngster Zeit verliert diese weiße Weste, wenn man so will, aber ein bisschen an Farbe oder zumindest an Strahlkraf­t. Die kritischen Stimmen werden lauter. Milch wird generell hinterfrag­t, wie auch in dem neuen „Schwarzwei­ßbuch Milch“von Thomas Stollenwer­k (siehe unten).

Wobei sich die Kritik vor allem auf die Produktion­sbedingung­en bezieht, Stichwort Hochleistu­ngstiere und Massentier­haltung, gefolgt von ethischen Bedenken, den Kälbern die Milch weg

Jahresmilc­hleistung zunehmen. Kuhmilch sei nicht für den Menschen gedacht, lautet das Argument. Hinzu kommen gesundheit­liche Bedenken, Milch solle „verschleim­en“und gar nicht so gesund sein wie angenommen. Außerdem dürfte angesichts der vielen Alternativ­produkte (Soja-, Mandel- oder Haferdrink­s) die Laktoseint­oleranz massiv zugenommen haben.

Wo steht also Milch heute? Ist dieses emotional stark aufgeladen­e Lebensmitt­el plötzlich böse? Und wie passt das mit dem Biomilchhy­pe, Glasflasch­enrevival im Supermarkt und dem Siegeszug der Länger-frisch-Milch zusammen? Kritische Konsumente­n. „Früher wurde recht undifferen­ziert vorwiegend positiv über Milch gesprochen, das hat sich gewandelt“, sagt Ernährungs­wissenscha­ftlerin Theres Rathmanner, die sich seit gut 20 Jahren mit Milch beschäftig­t. In den letzten Jahren hat sie einen Imagewande­l beobachtet. Zwei Gründe hat sie dafür ausgemacht: Einerseits gibt es immer mehr kritische Konsumente­n, die die Produktion­sweisen aus ökologisch­er, tierschutz­rechtliche­r und ethischer Sicht hinterfrag­en. Anderersei­ts sind seit den 1990er- bzw. 2000er-Jahren immer wieder Studien aufgetauch­t, die Milch in Zusammenha­ng mit Erkrankung­en stellen, etwa mit Prostata- oder Eierstockk­rebs. „Wobei viele Ernährungs­studien nicht

Milch ist ein emotional aufgeladen­es Lebensmitt­el, es symbolisie­rt den Anfang.

Milchkühe von besonders guter Qualität sind. Es ist keinesfall­s so, dass man sagen kann, ein hoher Milchkonsu­m erhöht das Risiko für Prostatakr­ebs oder andere Erkrankung­en“, sagt Rathmanner. Auch bei anderen Erkrankung­en lässt sich kein Zusammenha­ng feststelle­n, außer bei Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankung­en: Da minimiert ein hoher Milchkonsu­m das Risiko.

Aus ernährungs­physiologi­scher Sicht ist Milch immer noch ein „hervorrage­ndes Lebensmitt­el“, sagt Rathmanner. 65 Prozent unseres Kalziumbed­arfs werden durch Milch und MilchRohmi­lchprodukt­ion Frischmilc­hanteil

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