Angekratzt ist
produkte gedeckt, obwohl diese nur rund zehn Prozent unserer Ernährung ausmachen. Der Empfehlung der österreichischen Ernährungspyramide, nämlich drei Portionen Milch pro Tag (etwa ein Glas Milch, einen Becher Joghurt und drei Scheiben Käse), kommen aber die wenigsten Österreicher nach. Die Kritik aus gesundheitlicher Sicht kann die Ernährungswissenschaftlerin deshalb kaum nachvollziehen, ebenso wenig das Argument aus der Traditionellen Chinesischen Medizin, dass Milch verschleimt. „Das gibt es in der Schulmedizin nicht.“ Sinnhaftigkeit von Kraftfutter. Ähnlich sieht das ihr Kollege Jürgen König, der Leiter des Departments Ernährungswissenschaften an der Universität Wien, der darauf hinweist, dass bei all den Studien, die Milch in den Zusammenhang mit einer Erkrankung stellen, nicht geklärt ist, ob es sich nicht um eine reziproke Kausalität handelt (sprich Menschen mit einer entsprechenden Erkrankung nicht vielleicht deshalb mehr Milch trinken). „Diese Imageeinbußen sind für mich nicht ganz verständlich“, sagt König. preis, der es allen Teilnehmern dieses Wirtschaftszweigs erlauben würde, kostendeckend, gewinnbringend und gesund zu arbeiten. Aber egal, wo dieser Preis liegt – für diejenigen, die am effizientesten und günstigsten produzieren, steigt mit einem höheren Preis die Gewinnspanne. Also eher unterschiedliche Kategorien? Ja genau, das wäre gerechter. Ich glaub, es geht allgemein darum, Preistransparenz und Ehrlichkeit zu erzeugen, die den Verbrauchern auch zeigt, wo die Kosten für die Milcherzeugung entstehen. Und das sind eben nicht nur die Kosten der unmittelbaren Produktionsmittel, sondern auch die Kosten, die hinsichtlich Klima und Umwelt dazukommen. Dass der Preis für einen Liter Milch eben die ganze Bandbreite an Kosten abdeckt, die für die Produktion von Milch entstehen. Was war am überraschendsten bei der Recherche zu Ihrem Buch? Nicht eine Sache, aber es hat mich schon überrascht, an wie vielen Stellen einem Milch begegnet. Man kann kaum
Was beide aber gut nachvollziehen können, ist das Hinterfragen von Produktionsweisen, wie den Einsatz von Kraftfutter. Immerhin können Kühe etwas, was der Mensch nicht essen kann (Gras), verwerten und daraus ein gesundes Lebensmittel machen (Milch). Man nutzt also Flächen, um Getreide oder Hülsenfrüchte anzubauen, die der Mensch selbst essen könnte, um diese dann an Kühe zu verfüttern, die das sonst nicht essen würden. „Deshalb ist ja auch die Umweltbilanz von Käse, für den man viel Milch braucht, ähnlich hoch wie bei Fleisch“, so Rathmanner. Parallel dazu erlebt Milch aber auch eine Hochblüte: Biomilch und Heumilch (die ohne Kraftfutter auskommt) boomen, die Glasflasche hat in Supermärkten Einzug gehalten, und es gibt Ansätze anderer Haltungsformen, wie bei kälberfreundlicher Milch, bei denen die Milch mit den Kälbern geteilt eine Zeitung aufschlagen, ein Fernsehgerät aufdrehen, ohne irgendwo mit dem Milchthema konfrontiert zu werden. Es wird darüber diskutiert; es erscheinen ständig neue Produkte aus Milch; Kühe als solche und Tierschutz sind ein Thema; die Frage „Glasflasche ja oder nein?“und so weiter. Milch ist ständig präsent. Es stützt den Eindruck, dass Milch vielmehr als ein LebensmitThomas Stollenwerk Der gebürtige Deutsche lebt seit 2007 in Wien. Der Chefredakteur des Magazins „Biorama“hat sich auf Nachhaltigkeit spezialisiert. »Schwarzweißbuch Milch« Residenz Verlag, 192 Seiten, 19 Euro. Aus der Reihe „Leben auf Sicht“. wird. „Bei Milch kann man besonders gut ablesen, dass es immer ein paar Entwicklungen gleichzeitig gibt“, sagt Rathmanner, auch in Hinblick auf die vielen Milchalternativen, die zwar boomen, aber dennoch lediglich zwei Prozent auf dem Molkereiproduktesektor ausmachen. Der Milchkonsum bleibt hingegen stabil, wobei die Längerfrisch-Milch (ein Mittelding zwischen Frischmilch und Haltbarmilch) längst die Frischmilch verdrängt hat.
Vielleicht wird uns aber auch langsam bewusst, dass vieles doch nicht so natürlich ist, wie es scheint. Das macht allein ein Blick auf die Bearbeitungsschritte der Milch deutlich. So wird Milch nicht nur für die Haltbarkeit pasteurisiert und auf den vorgegebenen Fettgehalt von 3,5 Prozent eingestellt. Sie wird auch homogenisiert, die Fettkügelchen werden also so verkleinert, dass sich keine fette Rahmschicht oben bildet, was eigentlich eine natürliche Reaktion wäre, dem Konsumenten aber nicht so recht ist. Ähnlich verhält es sich mit Stabilisatoren (wie Verdickungsmitteln) im Fruchtjoghurt, die das Absetzen der Molke verhindern. Natürlichkeit liegt also auch im Auge des Betrachters.
Damit uns Milch als natürlich und gut erscheint, bedarf es technischer Bearbeitung.
tel ist. Es muss irgendwie eine Art kulturelle Bedeutung für diesen mittel-, west-, nordeuropäischen Raum haben. In welcher Breite Milch als Thema auftaucht, hat mich doch überrascht. Und trotzdem wissen wir wenig über Milch. Es gab 2015 eine Umfrage von Peta, durchgeführt von GfK, bei der man festgestellt hat, dass ungefähr der Hälfte der Deutschen der Zusammenhang, dass eine Kuh ein Kalb bekommt und deshalb Milch gibt, nicht klar war. So, als wäre es die Kernaufgabe der Kuh, ständig Milch zu produzieren. Dass das den Verbrauchern so unklar war, hat mich überrascht. Eine andere Studie hat gezeigt, dass Verbraucher eine völlig andere Vorstellung von Good Practice – also der Form von Milchviehhaltung, die sie für sinnvoll und richtig halten – als Milchbäuerinnen und Milchbauern haben. Konsumierende sehen fast ausschließlich die Weidehaltung positiv, die Haltung in offenen Laufställen wird schon kritisch gesehen. Das ist interessant, weil die Fläche, die für die Milchwirtschaft zur Verfügung steht, nicht wachsen wird.