Die Presse am Sonntag

»Wir dürfen uns bei Elon Musk bedanken, er ist ein Treiber«

Dem Elektroaut­o gehört die Zukunft. Davon ist VW-Chefstrate­ge Michael Jost überzeugt. »Die Presse« hat ihn in Wolfsburg getroffen.

- VON NIKOLAUS JILCH

Soll man sich jetzt noch ein letztes Benzinoder Dieselauto kaufen? Michael Jost: Wenn Sie ein Fahrzeug brauchen, das weite Strecken fährt und groß ist, damit die Familie rein passt, würde ich heute noch den Diesel bevorzugen. Aber 95 Prozent unserer Kunden nutzen ihr Auto für maximal 100 Kilometer am Tag. Da ist ein Elektroaut­o schon heute eine Option. Sie haben angemerkt, dass das Wort „Volk“in Volkswagen steckt. Ist das kommende Elektroaut­o, der „ID.3“, so ein Volkswagen? Wie es Käfer und Golf waren? Wir starten aus der Mitte der Segmente. Das ermöglicht es uns, später weitere Produkte unter- oder oberhalb des „ID.3“anzubieten. Wir gehen nach dem „ID.3“mit dem „ID.Crozz“nach oben, und um 2023 soll dann ein kleineres Elektroaut­o kommen, das unter 20.000 Euro kostet. Wie viel wollen Sie verkaufen? Im kommenden Jahr sollen es in Europa rund 150.000 E-Autos werden – davon allein 100.000 „ID.3“. Das ist schon eine Menge, gemessen an den 1,6 bis 1,7 Millionen Fahrzeugen, die wir im Schnitt in Europa absetzen. Bis ins Jahr 2025 sollen E-Autos rund ein Viertel unseres Absatzes ausmachen. Das ist ein ehrgeizige­r Plan, aber die Nachfrage ist schon jetzt größer, als wir gedacht haben. Was bedeutet E-Auto für den Kunden abseits vom Motor? Was ändert sich? Die ganze Proportion wird anders. Die Überhänge sind kürzer, das Design frischer. Die Räder sind groß, was ein Fahrzeug immer attraktiv macht. Es wird auch vorzugswei­se einen Heckantrie­b haben, um das hohe Drehmoment und die gute Beschleuni­gung auf die Straße zu bringen. Die Innenräume werden generell größer, während die Außenmaße gleich bleiben. Und natürlich ist das Fahrzeug immer mit der Cloud verbunden, bekommt also Updates. Was bedeutet das für die Infrastruk­tur? Eine Million Elektroaut­os heben den Stromverbr­auch nur um etwa 0,5 Prozent an. Das halten wir für beherrschb­ar. Was das Aufladen betrifft: Wir gehen davon aus, dass die Hälfte zu Hause passiert, rund ein Fünftel am Arbeitspla­tz, fünf Prozent auf der Autobahn und 25 Prozent öffentlich, also etwa in der Stadt. Wir sind im Gespräch mit Supermärkt­en und Möbelhäuse­rn, die große Parkplätze haben. Und mit der Politik reden wir auch. In der Anschaffun­g wird ein E-Auto aber teurer als ein klassische­s Auto, oder? Der „ID.3“wird unter 30.000 Euro angeboten, auf dem Preisnivea­u eines Diesel-Golfs. Wir müssen die Verbrenner zudem weiterentw­ickeln – und das macht sie perspektiv­isch teurer. Ab etwa 2023 wird ein Elektroaut­o in der gleichen Klasse im Schnitt nicht mehr teurer sein als ein Verbrenner. In der Nutzung ist ein E-Auto günstiger. Ihre Werkstattp­artner verdienen gut an teuren Ersatzteil­en. Wie wird das in Zukunft laufen? Es gibt beim E-Auto keinen Ölwechsel und weniger Abnutzung bei den Bremsen. Unser Ziel ist es, Autos zu entwickeln, die in der Zukunft kaum mehr Unfälle verursache­n. Assistenzs­ysteme und Vernetzung helfen hier

Michael Jost

ist Chefstrate­ge der VWKernmark­e Volkswagen und Leiter der Produktstr­ategie des Volkswagen Konzerns. VW-Chef Herbert Diess hatte ihn 2015 zu Volkswagen geholt, nachdem Jost als Leiter Produktstr­ategie der VWTochter ˇSkoda zum Erfolg verholfen hatte. Zuvor war Jost über 20 Jahre in verschiede­nen Leitungsfu­nktionen bei BMW und als Strategieb­erater in der Automobilb­ranche tätig. Er agiert als Vordenker für Volkswagen und gestaltet die Wende hin zur E-Mobilität federführe­nd mit.

Beim Wiener Strategief­orum

am 4. Juni 2019 an der Wirtschaft­suni wird Jost als Speaker auftreten. bei. Die Unfallschä­den werden sicherlich weniger – samt der Reparatur. Auch der Handel muss diese Herausford­erung annehmen. Das wird nur gehen durch neue Services und längere Kundenbind­ung. Aber all das passiert nicht über Nacht. Was haben Sie aus dem Dieselskan­dal gelernt? Dass wir unsere Elektrostr­ategie jetzt so konsequent planen und ausbauen, hängt sicher auch mit dem Schmerz zusammen, den die Dieselkris­e verursacht hat. Wo steht die Konkurrenz aus Ihrer Sicht? Wenn wir von großen Volumenher­stellern sprechen, fallen uns gar nicht so viele ein. Wir sehen Toyota, die in etwa so groß sind wie wir weltweit. Was ist mit Mercedes oder BMW? Da stellt sich die Frage, wie relevant diese für den Durchbruch der E-Mobilität sind: Mit je zwei Millionen Fahrzeugen pro Jahr versus einem VW-Konzern oder Toyota mit je über zehn Millionen. Premiumher­steller sind bei der Emotionali­sierung wichtig. Für die Demokratis­ierung sind sie nicht die entscheide­nden Player. Wie viel konnten Sie von Tesla lernen, die ja im Vergleich winzig sind? Wir dürfen uns bei Elon Musk bedanken. Er ist einer der großen Treiber. Das hat es uns leichter gemacht. Ohne Elon wären die Widerständ­e sicher größer gewesen. Weil wir auch können müssen, was der kann. Nach dem Beginn der Dieselkris­e haben wir Anfang 2016 gesagt, dass wir weit springen müssen. Damit der Kunde auch versteht und begeistert davon ist, was wir da machen. Sie wollen Ihre E–Plattform auch anderen Hersteller­n öffnen. Was bedeutet das? Wir haben uns in der Vergangenh­eit eher abgeschott­et. Jetzt machen wir eine enorme Investitio­n, das fordert uns heraus und auch die Konkurrenz. Diese Investitio­nen differenzi­eren uns aber nicht vor dem Kunden. Deswegen haben wir gesagt, dass wir auch anderen Marken ein Angebot schaffen können, ohne dass ein größerer Nachteil für uns entsteht. Das hilft der E-Mobilität insgesamt und wir können gleich in die Zukunft investiere­n mit dem Geld, das wir für die Plattform einnehmen. Wir schotten uns nicht mehr ab, sondern versuchen, neue Industries­tandards zu setzen. Sie haben Volkswagen einen „Supertanke­r“genannt. Wie kann man so ein Unternehme­n auf einen neuen Kurs bringen? Es muss immer jemand vorweg gehen. Das geht nie im Gleichklan­g. Eine Marke muss sagen: Wir tun was. Auch getrieben durch das Thema Diesel mussten wir uns neu erfinden. Unter der Führung von Herbert Diess wurde ein neues Team aufgebaut und gesagt: VW ist eine super Marke, die bringen wir zurück – und setzen auf Elektromob­ilität. Jetzt müssen Sie es den Kunden und den Zulieferer­n erklären. Leise, mehr Raum, mehr Beschleuni­gung, gut für die Umwelt, Fahrvergnü­gen – wir sind überzeugt, dass das so klappt. Jetzt muss der Kunde das noch bestätigen. Aber wenn ich 660.000 Mitarbeite­r und die Politik überzeugen konnte, schaue ich optimistis­ch in die Zukunft. Dann überzeugen wir auch die Kunden. Und die Zulieferer werden erkennen, dass CO2 eine neue Währung wird. Wer heute Kolben und Schrauben an uns liefert, hat einen Zeitraum von 20 Jahren, in denen er planen kann. Das sind unsere Partner. Denen zeigen wir unseren Plan. Und der ist alternativ­los.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria