»Wir dürfen uns bei Elon Musk bedanken, er ist ein Treiber«
Dem Elektroauto gehört die Zukunft. Davon ist VW-Chefstratege Michael Jost überzeugt. »Die Presse« hat ihn in Wolfsburg getroffen.
Soll man sich jetzt noch ein letztes Benzinoder Dieselauto kaufen? Michael Jost: Wenn Sie ein Fahrzeug brauchen, das weite Strecken fährt und groß ist, damit die Familie rein passt, würde ich heute noch den Diesel bevorzugen. Aber 95 Prozent unserer Kunden nutzen ihr Auto für maximal 100 Kilometer am Tag. Da ist ein Elektroauto schon heute eine Option. Sie haben angemerkt, dass das Wort „Volk“in Volkswagen steckt. Ist das kommende Elektroauto, der „ID.3“, so ein Volkswagen? Wie es Käfer und Golf waren? Wir starten aus der Mitte der Segmente. Das ermöglicht es uns, später weitere Produkte unter- oder oberhalb des „ID.3“anzubieten. Wir gehen nach dem „ID.3“mit dem „ID.Crozz“nach oben, und um 2023 soll dann ein kleineres Elektroauto kommen, das unter 20.000 Euro kostet. Wie viel wollen Sie verkaufen? Im kommenden Jahr sollen es in Europa rund 150.000 E-Autos werden – davon allein 100.000 „ID.3“. Das ist schon eine Menge, gemessen an den 1,6 bis 1,7 Millionen Fahrzeugen, die wir im Schnitt in Europa absetzen. Bis ins Jahr 2025 sollen E-Autos rund ein Viertel unseres Absatzes ausmachen. Das ist ein ehrgeiziger Plan, aber die Nachfrage ist schon jetzt größer, als wir gedacht haben. Was bedeutet E-Auto für den Kunden abseits vom Motor? Was ändert sich? Die ganze Proportion wird anders. Die Überhänge sind kürzer, das Design frischer. Die Räder sind groß, was ein Fahrzeug immer attraktiv macht. Es wird auch vorzugsweise einen Heckantrieb haben, um das hohe Drehmoment und die gute Beschleunigung auf die Straße zu bringen. Die Innenräume werden generell größer, während die Außenmaße gleich bleiben. Und natürlich ist das Fahrzeug immer mit der Cloud verbunden, bekommt also Updates. Was bedeutet das für die Infrastruktur? Eine Million Elektroautos heben den Stromverbrauch nur um etwa 0,5 Prozent an. Das halten wir für beherrschbar. Was das Aufladen betrifft: Wir gehen davon aus, dass die Hälfte zu Hause passiert, rund ein Fünftel am Arbeitsplatz, fünf Prozent auf der Autobahn und 25 Prozent öffentlich, also etwa in der Stadt. Wir sind im Gespräch mit Supermärkten und Möbelhäusern, die große Parkplätze haben. Und mit der Politik reden wir auch. In der Anschaffung wird ein E-Auto aber teurer als ein klassisches Auto, oder? Der „ID.3“wird unter 30.000 Euro angeboten, auf dem Preisniveau eines Diesel-Golfs. Wir müssen die Verbrenner zudem weiterentwickeln – und das macht sie perspektivisch teurer. Ab etwa 2023 wird ein Elektroauto in der gleichen Klasse im Schnitt nicht mehr teurer sein als ein Verbrenner. In der Nutzung ist ein E-Auto günstiger. Ihre Werkstattpartner verdienen gut an teuren Ersatzteilen. Wie wird das in Zukunft laufen? Es gibt beim E-Auto keinen Ölwechsel und weniger Abnutzung bei den Bremsen. Unser Ziel ist es, Autos zu entwickeln, die in der Zukunft kaum mehr Unfälle verursachen. Assistenzsysteme und Vernetzung helfen hier
Michael Jost
ist Chefstratege der VWKernmarke Volkswagen und Leiter der Produktstrategie des Volkswagen Konzerns. VW-Chef Herbert Diess hatte ihn 2015 zu Volkswagen geholt, nachdem Jost als Leiter Produktstrategie der VWTochter ˇSkoda zum Erfolg verholfen hatte. Zuvor war Jost über 20 Jahre in verschiedenen Leitungsfunktionen bei BMW und als Strategieberater in der Automobilbranche tätig. Er agiert als Vordenker für Volkswagen und gestaltet die Wende hin zur E-Mobilität federführend mit.
Beim Wiener Strategieforum
am 4. Juni 2019 an der Wirtschaftsuni wird Jost als Speaker auftreten. bei. Die Unfallschäden werden sicherlich weniger – samt der Reparatur. Auch der Handel muss diese Herausforderung annehmen. Das wird nur gehen durch neue Services und längere Kundenbindung. Aber all das passiert nicht über Nacht. Was haben Sie aus dem Dieselskandal gelernt? Dass wir unsere Elektrostrategie jetzt so konsequent planen und ausbauen, hängt sicher auch mit dem Schmerz zusammen, den die Dieselkrise verursacht hat. Wo steht die Konkurrenz aus Ihrer Sicht? Wenn wir von großen Volumenherstellern sprechen, fallen uns gar nicht so viele ein. Wir sehen Toyota, die in etwa so groß sind wie wir weltweit. Was ist mit Mercedes oder BMW? Da stellt sich die Frage, wie relevant diese für den Durchbruch der E-Mobilität sind: Mit je zwei Millionen Fahrzeugen pro Jahr versus einem VW-Konzern oder Toyota mit je über zehn Millionen. Premiumhersteller sind bei der Emotionalisierung wichtig. Für die Demokratisierung sind sie nicht die entscheidenden Player. Wie viel konnten Sie von Tesla lernen, die ja im Vergleich winzig sind? Wir dürfen uns bei Elon Musk bedanken. Er ist einer der großen Treiber. Das hat es uns leichter gemacht. Ohne Elon wären die Widerstände sicher größer gewesen. Weil wir auch können müssen, was der kann. Nach dem Beginn der Dieselkrise haben wir Anfang 2016 gesagt, dass wir weit springen müssen. Damit der Kunde auch versteht und begeistert davon ist, was wir da machen. Sie wollen Ihre E–Plattform auch anderen Herstellern öffnen. Was bedeutet das? Wir haben uns in der Vergangenheit eher abgeschottet. Jetzt machen wir eine enorme Investition, das fordert uns heraus und auch die Konkurrenz. Diese Investitionen differenzieren uns aber nicht vor dem Kunden. Deswegen haben wir gesagt, dass wir auch anderen Marken ein Angebot schaffen können, ohne dass ein größerer Nachteil für uns entsteht. Das hilft der E-Mobilität insgesamt und wir können gleich in die Zukunft investieren mit dem Geld, das wir für die Plattform einnehmen. Wir schotten uns nicht mehr ab, sondern versuchen, neue Industriestandards zu setzen. Sie haben Volkswagen einen „Supertanker“genannt. Wie kann man so ein Unternehmen auf einen neuen Kurs bringen? Es muss immer jemand vorweg gehen. Das geht nie im Gleichklang. Eine Marke muss sagen: Wir tun was. Auch getrieben durch das Thema Diesel mussten wir uns neu erfinden. Unter der Führung von Herbert Diess wurde ein neues Team aufgebaut und gesagt: VW ist eine super Marke, die bringen wir zurück – und setzen auf Elektromobilität. Jetzt müssen Sie es den Kunden und den Zulieferern erklären. Leise, mehr Raum, mehr Beschleunigung, gut für die Umwelt, Fahrvergnügen – wir sind überzeugt, dass das so klappt. Jetzt muss der Kunde das noch bestätigen. Aber wenn ich 660.000 Mitarbeiter und die Politik überzeugen konnte, schaue ich optimistisch in die Zukunft. Dann überzeugen wir auch die Kunden. Und die Zulieferer werden erkennen, dass CO2 eine neue Währung wird. Wer heute Kolben und Schrauben an uns liefert, hat einen Zeitraum von 20 Jahren, in denen er planen kann. Das sind unsere Partner. Denen zeigen wir unseren Plan. Und der ist alternativlos.