Ein altes Weinland wagt den Neuanfang
In der Sowjetunion war Wein aus der Republik Moldau Massenware. Nach dem russischen Boykott haben sich Produzenten neu orientiert und exportieren nach Westen.
Diese Rebe wächst senkrecht wie eine Liane, ihre Beeren haben eine dicke Haut und sie hat einen Namen, der für fremde Ohren ungestüm klingt: Feteasca˘ neagra,˘ Schwarzes Mädchen. Nicht nur in der Übersetzung eine Überraschung, auch geschmacklich: Nein, nicht süß (wie man vielleicht befürchten würde), sondern leicht, zart und harmonisch ist er, ein rubinroter Wein für viele Anlässe. Die nächste Flasche wird geöffnet: Feteasca˘ Alba˘ steht auf dem Etikett, das weiße Pendant zur schwarzen Schwester. „Spüren Sie die milde Säure und die Zitrusnote“, sagt der Sommelier. Ja, man spürt sie.
Wer heute moldauischen Wein degustiert, der kann viel Neues entdecken. Unbekannte autochthone Sorten. Und die erstaunliche Qualität des Rebensaftes – Folge einer Suche neuer, westlicher Absatzmärkte.
Aber von vorn. Weinbau hat eine jahrtausendealte Tradition in der Republik Moldau. Mit Unterbrechungen freilich, die letzte im 20. Jahrhundert, als das von sanften Hügelketten gewölbte Territorium Teil des großen Sowjetreiches wurde. In der Sowjetunion wurde Wein als Industrieware produziert. Moldawien, wie die Republik hieß, war nicht nur der Obstgarten für Millionen Werktätige, sondern auch ihr Weinkeller. Jede zweite Flasche Sowjet-Weins kam aus dem Land zwischen Rumänien und der Ukraine.
Mit dem Untergang der Planwirtschaft lag auch die dazugehörige Weinindustrie darnieder. Staatliche Weingüter wie Cricova und Milestii¸ Mici sind die Erben der Massenproduktion. Sie sind es, von denen Ausländer im besten Fall gehört haben, wenn das Gespräch auf moldauischen Wein kommt: In den kilometerlangen Kellern Cricovas, in den Stein gehauen von deutschen Kriegsgefangenen, lagert etwa die Weinsammlung von Hermann Göring. Jeder prominente Besucher bekommt ein kleines Depot vermacht: Angela Merkel hat eines, Kreml-Chef Wladimir Putin ebenso. Ob sie die alten Flaschen jemals leeren werden, ist ungewiss. Keine Weingläser. Arcadie Fosnea¸ hält nicht viel von angestaubten Weinkellern. Der älteste Wein seines Weingutes stammt aus 2004 – dem Gründungsjahr von Chateauˆ Vartely. „Wir legen keine Vorräte an, wir wollen verkaufen“, sagt der legere Geschäftsführer mit dem schwarzen Bürstenschnitt. Fosnea,¸ 40, ist der richtige Mann, wenn man mehr über den moldauischen Wein der Gegenwart erfahren will.
An der Erfolgsgeschichte von Weingütern wie dem Chateauˆ Vartely hat ein Land Anteil: Russland. Wobei die Sache als Krise begann: 2006 verbot Moskau die Einfuhr von moldauischem Wein. Die Produzenten mussten neue Absatzmärkte suchen. Winzer begannen, auf Qualität statt auf Quantität zu setzen. So wie Fosnea.¸ Er hat in Deutschland Weinbau studiert, bevor er vor gut eineinhalb Jahrzehnten für das Großprojekt in seine Heimat zurückgekehrt ist. „Damals gab es nicht einmal normale Weingläser zu kaufen“, erinnert er sich in einem weichen süddeutschen Idiom.
Fosnea¸ führt durch die auf einem Kalksteinfelsen oberhalb der Kleinstadt Orchei thronende Anlage. Chisin¸au˘ ist von hier eine Fahrstunde entfernt. Das Restaurant hat 200 Sitzplätze und tischt lokale Spezialitäten auf, Häuschen laden zum Übernachten ein. Die Weinherstellung erklärt man Interessierten gern. Vor allem aber feiern hier Besucher aus der Hauptstadt Feste. Weintourismus ist auch in der Moldau ein einträgliches Geschäft.
Rund drei Millionen Flaschen Wein jährlich produziert das Gut mit 300 Angestellten. 300 Hektar Weingärten nennen die beiden Besitzer (ein moldauischer und ein russischer Geschäftsmann) ihr Eigen, zusätzlich kauft man Trauben von Bauern an. Die heimischen Sorten erfreuen sich so großer Nachfrage, dass die Anbaufläche von 70 Hektar für die moldauischen Sorten nicht ausreicht.
Chateauˆ Vartely zählt zu den größeren Neugründungen. Ähnlich bekannt ist das große Weingut Purcari im Süden. Familienbetriebe wie Et Cetera, Fautor oder Asconi komplettieren das Bild. In einem Verein haben sich 30 Klein- und Mittelbetriebe organisiert. Auch, um ihre Interessen gegenüber dem Staat zu vertreten. „Am besten wäre, wenn uns die Regierung in Ruhe lässt“, sagt Fosnea,¸ der mangelndes Verständnis der Bürokraten und Kontrollwahn für die Branche kritisiert.
Dabei hat der Wein das Potenzial, die Moldau international bekannter zu machen und die Außenwirtschaft des armen Landes anzukurbeln. Der Großteil der Produktion wird exportiert. In Länder, in denen moldauischer Wein aus historischen Gründen bekannt ist: Polen, Tschechien, Rumänien, aber auch Großbritannien, Deutschland, China, Japan, Taiwan und die USA. Die Exportorientierung ist der Grund, warum Produzenten wie Chateauˆ Vartely ein riesiges Sortiment haben. „Briten wollen exotische Sorten, die Polen eher liebliche“, erklärt Fosnea.¸ Die Kellerei stellt auch Perlwein und Obstbrand her. „Alles außer Saft“, werde hier produziert, sagt der Sommelier lachend.
Auch in der Hauptstadt Chisin¸au˘ ist Wein mittlerweile Teil der Ausgehkultur. Weinbars schießen aus dem Boden. Eine davon ist die minimalistische Enothek Invino, wo Weinflaschen wie Bücher in hohen Regalen lagern. Gründer Mihai Druta, 33, präsentiert hier seine Kollektion aus 300 herausragenden einheimischen Weinen – natürlich käuflich erwerbbar. Im internationalen Vergleich sei der moldauische Wein ein Tropfen von hoher Qualität zum besten Preis, sagt der Sommelier. „Wir haben ständig Degustationen hier“, erklärt er. Und die Menschen, die einst den süßen Wein der Moldau tranken? „Die sind mittlerweile alt“, sagt Druta. „Vermutlich trinken sie heute Tee.“
»Wir legen keine unnötigen Vorräte an, wir wollen Wein verkaufen.« Polen, Tschechen und Rumänen schätzen den moldauischen Wein.