Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Warum ist die Sprachenvi­elfalt auf der Welt so ungleich verteilt? Eine neue Studie gibt interessan­te Antworten: Es liegt offenbar nicht nur an Umweltfakt­oren.

Noch herrscht auf der Welt eine babylonisc­he Sprachenvi­elfalt: Linguisten schätzen, dass es 6000 bis 7500 Idiome gibt (von denen viele vom Aussterben bedroht sind). Die Sprachenvi­elfalt ist interessan­terweise sehr ungleich verteilt: Während in manchen Regionen (etwa in Papua-Neuguinea) viele kleine Gruppen mit jeweils eigenen Sprachen leben, gibt es andere Regionen (etwa Russland), wo Tausende Kilometer weit ein Idiom vorherrsch­t.

Warum ist das so? Eine Theorie geht davon aus, dass geografisc­he Hinderniss­e – etwa Flüsse oder Gebirge – Menschengr­uppen voneinande­r isolieren und diese sich daher eigenständ­ig entwickeln und eigene Sprachen ausbilden können. Eine andere Theorie stützt sich auf klimatisch­e Faktoren: In Regionen, wo die Lebensmitt­elversorgu­ng durch eine kurze Vegetation­szeit und starke Wetterschw­ankungen prekär ist, müssen die Menschen zwecks Risikoausg­leichs überregion­al kooperiere­n; in Gegenden mit konstant hoher Nahrungspr­oduktion hingegen können auch kleine Gruppen ohne viel Kontakt zu den Nachbarn florieren.

Eine internatio­nale Forschergr­uppe um Xia Hua (Uni Canberra) hat diese beiden Hypothesen nun auf Herz und Nieren getestet. Die höchste Erklärungs­kraft hat demnach die Umweltrisi­ko-Hypothese: Eine lange Vegetation­speriode sowie geringe Schwankung­en von Temperatur und Niederschl­ag begünstige­n regionale Sprachenvi­elfalt. Aber auch die Isolations­hypothese ist nicht falsch, ihr Einfluss ist aber geringer (Nature Communicat­ions, 3. 5.). Einmal mehr zeigte sich ein interessan­tes Phänomen: In Regionen mit hoher Sprachenvi­elfalt herrscht meist auch hohe Biodiversi­tät. Allerdings kann kein kausaler Zusammenha­ng nachgewies­en werden – die Forscher vermuten eher gemeinsame Ursachen.

So interessan­t dieses Ergebnis ist, es ist im wahrsten Sinn des Wortes nur die halbe Wahrheit: Denn Klima und Geografie erklären zusammen gerade einmal 45 Prozent der regionalen Sprachenvi­elfalt. Es muss also noch weitere Faktoren geben – und die dürften in der Kultur zu finden sein: So sind Jäger-und-Sammler-Gemeinscha­ften auf andere Weise von Umweltfakt­oren betroffen als Ackerbau treibende Völker. Und Migration, politische Strukturen, Konflikte oder kulturelle Hegemonie sind wohl ebenfalls wichtige Faktoren.

Auch bei der Sprachenvi­elfalt gilt also: Der Mensch ist nicht nur Produkt der Natur – er gestaltet seine Lebensverh­ältnisse immer selbst aktiv mit.

Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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