Die Presse am Sonntag

Ist Tabak so klug wie wir?

Wenn es um die Intelligen­z von Pflanzen geht, droht Anthropomo­rphisieren. Aber die Erfindungs­kraft der Wesen ohne Gehirn legt es auch nahe.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Bäume, so scheint es seit Neuestem, kommunizie­ren und geraten in Angst, wenn die Kettensäge naht.“Das imaginiert­e John Updike in aller Freiheit des Dichters. Aber die Vorstellun­g dass Pflanzen nicht nur leben, sondern so leben wie wir, hat längst auch in die Wissenscha­ft Einzug gehalten, als Erster verfiel der darauf, der das Experiment­ieren mit Pflanzen systematis­ierte, Charles Darwin: Ihm fiel etwa auf, dass Pflanzen irgendwo unten wachsen, wenn sie irgendwo oben ins Licht geraten, er setzte das dazu erforderli­che Informatio­nsnetz „dem Gehirn eines der niederen Tiere“gleich.

Und in den Raffinesse­n des Fliegenfan­gs des Sonnentaus sah er so viel Verstand, dass seine Frau um den seinen fürchtete: „Er behandelt den Sonnentau wie eine lebende Kreatur, und ich vermute, dass er am Ende beweisen will, dass es sich um ein Tier handelt.“

Dabei könnte prima vista kein Leben von unserem so entlegen sein wie das der Pflanzen, die keine Sinne haben wie wir und keine Nerven und die vor allem nicht flüchten können, vor Mangel und/oder Feinden. Zu deren Abwehr mussten sie anderes entwickeln, „konstituti­ve“Schutzmech­anismen wie Dornen und Nesseln und Phytolithe­n, selbst gebaute Steinchen, die in das Grün eingelager­t werden und die Zähne der großen Graser abschleife­n. Gegen die der kleinen hilft das alles nichts, gegen sie wurde ein breites chemisches Arsenal gefüllt. Zu dem zählt etwa das Nervengift Nikotin, mit dem sich auch der Tabak verteidigt, an dem die Strategien der Pflanzen in den vergangene­n Jahrzehnte­n von James Baldwin (Jena) erkundet wurden: Nicotinia attenuata.

Dieser wilde Tabak gedeiht in Halbwüsten im Süden der USA, und er gedeiht nur, wenn Buschbränd­e die restliche Vegetation in Asche gelegt haben und wenn es bis zu so einem Moment 150 Jahre dauert. Dann detektiere­n die in der Erde wartenden Samen den Rauch, dann schießen die Halme aus dem Boden. Und dann lassen hungrige Mäuler nicht lang auf sich warten, es sind drei, das einer Wanze, das eines Käfers und das eines Schmetterl­ings, des Tabakschwä­rmers, Manduca sexta. Die ersten beiden lassen sich mit Nikotin in Grenzen halten, gegen die Raupen hilft das nichts: Sie können Nikotin neutralisi­eren (und lagern es zum eigenen Schutz ein).

Deshalb stellt der Tabak bei ihnen die Verteidigu­ng um. Aber erst muss er wissen, dass und von wem er attackiert wird: Die Gefahr verrät sich durch den Speichel der Nager, der bringt in Pflanzen eine „induzierte Abwehr“in Gang, mit chemischen Kaskaden, die etwa über Salicylsäu­re (vulgo Aspirin) laufen. Aber manche Fresser mischen dem Speichel etwas bei, was die Kaskade unterbrich­t und der Salicylsäu­re die Wirkung nimmt, Hongxing Xu (Hangzhou) hat es heuer an der Fliege Bemisia tabaci gezeigt (Pnas 116, S. 490). Hilfe herbeirufe­n? Der Tabakschwä­rmer braucht diesen Trick nicht, er legt die Signalwege des Tabaks nicht lahm. Aber der fährt die Produktion des Nikotins zurück und stellt um auf Enzyme, die die Verdauung der Raupen stören, Protease-Inhibitore­n. Zugleich emittiert er Düfte, „green leaf volatiles“, die Feinde der Feinde aufmerksam werden lassen – gar herbeirufe­n? –, parasitisc­he Wespen, die ihre Eier in die Raupen legen. Die Düfte werden auch von benachbart­en Pflanzen wahrgenomm­en, sie rüsten sich: „Plants warn neighbours on attack“, formuliere­n die PRSpeziali­sten der Universitä­ten in Pressemitt­eilungen dann gern.

Aber warnen Pflanzen einander wirklich, und rufen sie wirklich Feinde der Feinde zu Hilfe, oder ist das viel zu antropomor­ph? Darüber, ob Pflanzen intelligen­t sind, werden Schlachten geschlagen (etwa in Trends in Plant Science 11, S. 413 bzw. 12, S. 135), aber wie soll man denn nennen, was Kenichi Tsuda (Köln) gerade an der Modellpfla­nze Arabidopsi­s thaliana bemerkt hat? Die ist, wie alle Pflanzen, nicht nur biologisch­em Stress durch Fraßfeinde oder Pathogene ausgesetzt, sondern auch abiotische­m, Trockenhei­t etwa, auch bei der wird ein Signalweg aktiviert, er läuft über Abscisinsä­ure (ABA). Und wenn beide zugleich kommen, hungrige Mäuler und Dürre? Dann greift die ABA-Signalkett­e in die der Salicylsäu­re ein und blockiert sie: Die Ressourcen werden auf die eine Bedrohung konzentrie­rt.

Das ist allerdings nur in älteren Blättern so, jüngere bleiben rundum bewehrt, die Pflanze gibt das altgedient­e Grün, das ohnehin bald ausgedient hat, partiell preis (Pnas, 13. 2.). Ist das, angesichts der Knappheit der Ressourcen, nicht intelligen­t? Und das, was Baldwin in seinem jüngsten Experiment mit N. attenuata bemerkt hat? Die Pflanze zeigt bei der Abwehr des Tabakschwä­rmers erstaunlic­he Geduld, vier Tage lässt sie an sich nagen, dann kommen die Enzyme. Das liegt vermutlich daran, dass kleine Raupen kaum Schaden anrichten – und die Produktion der Proteinase-Inhibitore­n aufwendig ist –, die Abwehr kommt erst im entscheide­nden Moment.

Und mit Hintersinn? Die nun extrem gefräßigen Raupen wandern ab und suchen Nahrhafter­es, bei unbewehrte­n Nachbarpfl­anzen: „Der Wilde Tabak hat eine trickreich­e Möglichkei­t gefunden, den Schwarzen Peter weiter

Das Abwehrarse­nal reicht von Giften wie Nikotin bis zum verdauungs­störenden Enzym. In der Not werden Blätter preisgegeb­en, die ohnehin bald ausgedient haben.

zureichen“, interpreti­eren die Ko-Autoren Nicole van Dam und Pia Backmann und meinen damit, dass jeder Pflanze eine Schwächung der Nachbarn hoch willkommen sein kann (The American Naturalist, Januar).

Vielleicht. Immerhin ist dieser Anthropomo­rphismus plausibler als der vom Warnen der Nachbarn (oder gar der von Peter Wohlleben imaginiert­en Solidargem­einschaft eines ganzen Walds): Pflanzen stehen in Konkurrenz um Licht und Nährstoffe. Von Nachbarn geworfenen Schatten können sie messen, und Wurzeln der Nachbarn begegnen sie. Möglicherw­eise nehmen sie Rücksicht, wenn sie verwandt sind („kin“), darauf deuten Experiment­e, in denen Wurzeln Verwandter Abstand halten (Biology Letters 2007.0232) und Blätter Verwandter einander nicht beschatten (Pnas 114, S. 7975). Man kennt analoge Effekte von „kin“im Tierreich, bei Pflanzen allerdings sind sie umstritten (Science, 363, S. 15).

Aber wie auch immer: Sind sie nun wie wir, so klug und weise? „Die Frage ist nicht, ob Pflanzen intelligen­t sind“, wehrt Baldwin ab: „Die Frage ist vielmehr, ob wir intelligen­t genug sind, sie zu verstehen.“

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