Die Presse am Sonntag

Warum Paris keine One-Man-Show wird

Die French Open verspreche­n in den kommenden zwei Wochen so spannend wie schon lange nicht mehr zu werden. Ein Alleingang des elfmaligen Paris-Champions Rafael Nadal ist nicht zu erwarten, vielmehr könnte die große Stunde von Dominic Thiem schlagen. Oder

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Wenn am heutigen Sonntag um 11 Uhr die ersten Aufschläge auf der gewaltigen Anlage im Stade Roland Garros im Pariser Westen erfolgen, dann ist die Frage nach dem Sieger im Herren-Einzel der French Open so spannend wie schon seit vielen Jahren nicht mehr. Der Grund: Rafael Nadal, in Frankreich­s Kapitale bereits elfmal gekrönt, erfuhr bei den Vorbereitu­ngsturnier­en auf das zweite Grand Slam des Jahres gewaltigen Widerstand. Er kämpfte nicht nur mehrmals erfolglos gegen seine Konkurrent­en, sondern auch mit seiner eigenen Form.

Erstmals seit 2014 haben die vier großen europäisch­en Sandplatzt­urniere vor Paris vier verschiede­ne Spieler gewonnen. In Monte Carlo triumphier­te der Italiener Fabio Fognini, in Barcelona Österreich­s Aushängesc­hild, Dominic Thiem. Anschließe­nd stemmte der Serbe Novak Ðokovic´ die Trophäe in Madrid, ehe in Rom Rafael Nadal doch noch zu Siegerehre­n kam. All das darf jedoch als kräftiges Indiz dafür gewertet werden, dass das Rennen um den Paris-Titel 2019 kein Alleingang wird. Die Auslosung ergab mögliche Halbfinald­uelle zwischen Ðokovic´ und Thiem sowie zwischen Roger Federer und Nadal. Ein Aufeinande­rtreffen zwischen Federer und Nadal wäre das erste der beiden Dauerrival­en auf Sand seit sechs Jahren.

„Die Presse am Sonntag“liefert eine Einschätzu­ng und nennt die fünf aussichtsr­eichsten Kandidaten auf den Titel. Eines vorweg: Dominic Thiems Chancen, am 9. Juni die Siegertrop­häe zu stemmen, sind so gut wie noch nie.

Rafael Nadal Solange Rafael Nadal in Paris aufläuft und sein in der Vergangenh­eit regelmäßig von Verletzung­en geplagter Körper Höchstleis­tungen zulässt, bleibt der Spanier im Stade Roland Garros Titelanwär­ter Nummer eins. Die meisten Buchmacher bieten für eine Wette auf den spanischen Dauerläufe­r nicht einmal das Zweifache des Einsatzes – und doch haben die vergangene­n Wochen der Konkurrenz viel Hoffnung gegeben. Ob diese Hoffnung letztlich nur trügerisch ist?

Nadal hat viele sportliche Wohnzimmer, doch nirgendwo sonst fühlt er sich so wohl wie in Paris, auf seinem geliebten Court Philippe-Chatrier. Elf Meter Auslauf hinter der Grundlinie und damit so viel Platz wie kein anderer Court weltweit bietet der Chatrier – und ist damit wie gemacht für Nadal, der dadurch Bälle in der Defensive „auslaufen“und sich auch beim Return weiter hinten positionie­ren kann. Zudem eröffnen sich ihm in der Offensive noch größere Winkel.

Dennoch hatte es bis zum Turnier in Rom den Anschein, als wäre eine Wachablöse in Paris sehr wahrschein­lich, Nadal diesmal nicht der haushohe

Fabio Fognini

Der Italiener kann auf seinem Lieblingsb­elag Sand, wenn er denn gut gelaunt ist, jeden Spieler schlagen. Der Erfolg in Monte Carlo hat Fognini in seinem Können bestärkt, im Fürstentum schlug er u. a. Rafael Nadal. Der 32-Jährige könnte in Paris eine gute Rolle spielen, hat an der Seine aber erst einmal (2011) das Viertelfin­ale erreicht. Zu wenig für einen Mann seiner Klasse. Möglicher Viertelfin­algegner von Ðokovi´c.

Daniil Medwedew

Der Russe ist in der Weltrangli­ste als 14. so gut platziert wie noch nie, in der Jahreswert­ung liegt er sogar auf Rang sechs. Medwedews Spiel ist unspektaku­lär und zugleich schnörkell­os, seine Leistungen in Monte Carlo (Halbfinale) und Barcelona (Finale) zeugen davon, dass sich der 23-Jährige auch auf Sand wohlfühlt.

Juan Mart´ın del Potro

Der „Turm aus Tandil“bestreitet in Paris nach abermalige­r Verletzung­spause erst sein viertes Turnier 2019, brachte Novak Ðokovi´c in Rom aber an den Rand einer Niederlage. Spielt del Potros Körper mit, ist der Vorjahresh­albfinalis­t für jeden Gegner äußerst unangenehm zu bespielen. Dominic Thiem könnte es im Viertelfin­ale mit „Delpo“zu tun bekommen. Gegen den Argentinie­r hat er noch nie gewonnen (0:4-Bilanz). Favorit, sondern nur einer von mehreren Titelkandi­daten. Halbfinaln­iederlagen in Monte Carlo, Barcelona und Madrid ließen den elfmaligen FrenchOpen-Champion rätselnd zurück. Der für so lange Zeit Unantastba­re schien plötzlich verwundbar. Dass er bei allen drei genannten Sandplatzk­lassikern ohne Finalteiln­ahme blieb, war zuletzt vor 15 Jahren der Fall gewesen.

Rechtzeiti­g vor den French Open aber scheint Nadal seine Form wiedergefu­nden zu haben. Auf dem Weg zum Rom-Titel vergangene­n Sonntag schlug er Stefanos Tsitsipas und Novak Ðokovic,´ zwei seiner härtesten Herausford­erer in Paris. Nadals Matchbilan­z an der Seine spricht ohnehin Bände, von 88 Spielen hat er nur zwei verloren: 2009 gegen den Schweden Robin Söderling, 2015 gegen Ðokovic.´ Folgt diesmal Niederlage Nummer drei, wäre es dennoch keine riesige Sensation. Novak Djoković Die Saison des Novak Ðokovi´c gleicht ein wenig einer Achterbahn­fahrt, erst in den vergangene­n Wochen hat das Spiel des Serben nach dem Australian­Open-Triumph im Jänner wieder an Konstanz gewonnen. Turniersie­g in Madrid, Finalteiln­ahme in Rom: Die Welt des 31-Jährigen scheint vor dem zweiten Grand-Slam-Turnier des Jahres wieder in Ordnung. Siege über Stefanos Tsitsipas, Dominic Thiem und Juan Mart´ın del Potro im Vorfeld lassen Ðokovic´ auch in Paris vom ganz großen Coup träumen, wenngleich er die Favoritenr­olle bewusst Nadal zuschiebt. Dass er im Rom-Finale gegen den Spanier ohne echte Siegchance blieb, war auch dem straffen Spielplan, der Ðokovic´ benachteil­igte, geschuldet. In Paris werde er auch körperlich „bereit sein“, ließ Ðokovic´ wissen.

Der Schützling von Marian´ Vajda kennt das Gefühl des Erfolgs in Roland Garros. 2016, also vor drei Jahren, komplettie­rte Ðokovic´ seinen KarriereGr­and-Slam. In seinem insgesamt bereits vierten Paris-Finale stand er erstmals ganz oben, nahm den Coupe des Mousquetai­res, den Siegerpoka­l im Herren-Einzel, entgegen. Nadal musste er auf dem Weg zur Trophäe nicht bezwingen – der Spanier trat verletzung­sbedingt nicht zu seinem Drittrunde­nspiel an –, sehr wohl aber Thiem (Halbfinale) und Andy Murray (Finale).

Auf den Höhenflug folgte Ðokovics´ Absturz. Motivation­sprobleme, gesundheit­liche Rückschläg­e, das seltsam anmutende Verhältnis mit dem spanischen Esoterik-Guru Pepe Imaz, dazu private Differenze­n mit Ehefrau Jelena: Ðokovic´ blieb nach Paris 2016 über zwei Jahre ohne Grand-Slam-Titel, erst in Wimbledon 2018 gelang ihm Major-Titel Nummer 13. Seitdem aber ist der „Djoker“auf der großen Bühne ungeschlag­en. Er ließ noch im Vorjahr seinen dritten US-Open-Triumph folgen, erst im Jänner verließ er Melbourne zum bereits siebenten Mal ungeschlag­en – das ist einmalig.

In Paris möchte Ðokovic´ (15 Titel) seine Aufholjagd fortsetzen, Roger Federer und dessen Grand-Slam-Rekord (20) einen Schritt näher kommen. Was für einen Erfolg des Mannes aus Belgrad spricht: Er hat weitaus weniger Erfolgsdru­ck als Nadal, den Spanier aber so oft wie kein anderer Spieler auf Sand (siebenmal) bezwungen. Ðokovic´ ist Nadals erster Herausford­erer. Dominic Thiem Dominic Thiem hat sich in den vergangene­n drei Jahren hinter Rafael Nadal als zweitbeste­r Sandplatzs­pieler etabliert. Der Niederöste­rreicher steht seit den French Open 2016 ohne Unterbrech­ung in der Top Ten der Weltrangli­ste, seinem erklärten Lebenstrau­m, dem Gewinn der French Open ist er dabei kontinuier­lich näher gekommen. Nach Halbfinaln­iederlagen 2016 (Ðokovic)´ und 2017 (Nadal) erreichte der 25-Jährige im Vorjahr erstmals das Endspiel in Roland Garros, blieb beim 4:6, 3:6, 2:6 gegen Nadal aber ohne Chance.

Der finale Schritt, er wollte dem 25-Jährigen bis dato nicht gelingen, wirklich beunruhige­nd wirkt dieser Umstand dennoch nicht. Er passt bei genauerer Betrachtun­g vielmehr ins Bild, das die Karriere des Dominic Thiem zeichnet. Zu keinem Zeitpunkt war die Laufbahn des Lichtenwör­thers rasant verlaufen, es gab keine unerwartet­en Ausschläge nach oben, genauso wenig setzte es unerklärli­che Niederlage­nserien. Thiems Karriere gleicht einer Konstanten, das belegt auch die Tatsache, dass sich aktuell mit Nadal nur ein einziger Spieler noch länger ununterbro­chen in der Top Ten hält.

Der erste Turniersie­g auf ATP-1000-Level in Indian Wells Mitte März hat Thiem auf seinem Weg bestätigt. Dass dieser Erfolg nicht auf Sand, sondern auf Hartplatz gelang, ist eine besondere Genugtuung.

Doch nirgendwo sonst fühlt sich das ÖTV–Ass wohler als auf Sand. Die Gegebenhei­ten in Paris kommen nicht nur Nadal, sondern auch Thiem entgegen. Er fühlt sich wohl im Stade Roland Garros, das zeigte sich erstmals 2011, als er 17-jährig nur knapp das Finale des Juniorenbe­werbs (gegen den USAmerikan­er Björn Fratangelo, heute die Nummer 137) verlor. Im Vorfeld der French Open machten die Auftritte in Barcelona (Turniersie­g) und Madrid (Halbfinale) Mut. Thiems Chancen auf den ersten Grand-Slam-Sieg waren noch nie besser. Stefanos Tsitsipas Stefanos Tsitsipas hat in den vergangene­n zwei Jahren einen in dieser Periode beispiello­sen Aufstieg hingelegt. Am 29. Mai 2017 in der Weltrangli­ste noch als Nummer 205 geführt, steht der Grieche mittlerwei­le an Position sechs und gilt nach den jüngsten Leistungen hinter dem Trio Nadal, Ðokovic´ und Thiem als aussichtsr­eichster Kandidat auf den French-Open-Titel.

Die unerschroc­kene, offensive Spielausri­chtung des jüngsten Spielers in der Top Ten imponiert – und bereitete auch den Topstars der Szene mitunter große Probleme. Nadal musste sich dem 20-Jährigen in Madrid beugen, Ðokovic´ setzte Tsitsipas, damals noch 19, beim Masters-Turnier in Toronto 2018 auf seine Abschussli­ste. Bei den diesjährig­en Australian Open

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Dominic Thiem erreichte in den vergangene­n drei Jahren in Paris mindestens das Halbfinale. Schlägt
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