Die Presse am Sonntag

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EIN STEILPASS IN DIE TIEFE DES SPORTS

- VON CHRISTOPH GASTINGER

24 Jahre nach Thomas Muster könnte wieder ein Österreich­er die French Open gewinnen. Dominic Thiem ist im besten Alter und hat die nötige Qualität: Wenn nicht jetzt, wann dann?

Understate­ment ist unangebrac­ht. Ja, Dominic Thiem hat unlängst in Rom bereits sein Auftaktspi­el verloren und damit die Generalpro­be verpatzt. Ja, Dominic Thiem hat keines der drei großen Sandplatzt­urniere in Monte Carlo, Madrid oder Rom gewonnen, sondern „nur“beim ATP-500-Event in Barcelona zugeschlag­en. Und ja, der Weltrangli­stenerste Novak Ðokovic´ und vor allem der elffache Paris-Sieger Rafael Nadal sind bei den heute beginnende­n French Open allein aufgrund ihrer langen Liste an Erfolgen ein Stück weit höher einzuschät­zen. Und dennoch, viel besser könnte die Ausgangsla­ge für Thiem nicht sein.

Der 25-Jährige präsentier­t sich zu seinem persönlich­en Saisonhöhe­punkt körperlich in Bestform, bei einem zweiwöchig­en Grand-Slam-Turnier ist die physische Komponente ein ganz wesentlich­er Faktor. Niemand im 128 Mann starken Feld möchte einen fünften Satz gegen Thiem spielen, auch dahingehen­d können ihm wohl nur die beiden Ausnahmeat­hleten Nadal und Ðokovic´ das Wasser reichen. Auch Schläge und Selbstvert­rauen stimmen, das frühe Ausscheide­n in Rom spukt zwei Wochen später in Paris gewiss nicht mehr im Kopf herum.

Die Auslosung spielt Dominic Thiem bei seiner Titelmissi­on durchaus in die Karten. Der US-Amerikaner Tommy Paul, Nummer 136 der Weltrangli­ste, ist sogar so etwas wie ein Traumlos zum Auftakt. Im Lostopf lauerten eine Menge unangenehm­er Erstrunden­gegner, sie blieben ihm allesamt erspart. Zwar lebt ein Grand-Slam-Turnier von Überraschu­ngen, im Falle des Weltrangli­stenvierte­n deutet allerdings nichts auf ein böses Erwachen hin. Die erste echte Prüfung dürfte erst im Achtelfina­le (Verdasco oder Monfils) warten, bis dahin sollte Thiems Motor schon auf Hochtouren laufen.

Dominic Thiem bringt alles mit, um eines Tages als zweiter Österreich­er nach Thomas Muster 1995 die French Open zu gewinnen. Mit 25 Jahren hat der Lichtenwör­ther mittlerwei­le genügend Erfahrunge­n gesammelt, er hat die besten Spieler der Welt geschlagen, auch die Besonderhe­iten eines Grand-Slam-Endspiels können ihn nach seinem letztjähri­gen Finaleinzu­g nicht mehr erschrecke­n. In den kommenden zwei, vielleicht drei Jahren sind Thiems Chancen, Paris zu gewinnen, am besten. Sie waren allerdings noch nie besser als dieses Jahr. Die Zeit ist reif.

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