Ich will (keine) Punkte sammeln! Meine Bonuskarte und ich
83 Prozent der Österreicher haben mindestens eine Kundenkarte in ihrer Geldbörse. Ein neuer Sammelpass für elf Unternehmen will da jetzt auch einen Platz. Dabei ist die große Ära der Karten vorbei und wir vergessen, dass wir Rabatte mit unseren Daten beza
Erstaunlich ist das schon. Wir leben in der Ära von Smartphones und Apps und unsere Geldbörsen sind noch immer voller Plastik. 14 Kundenkarten tragen die Österreicher im Schnitt mit sich herum. 83 Prozent der Bevölkerung besitzen zumindest eine Kundenkarte, wie kürzlich eine Gallupstudie ermittelt hat. Österreich ist generell Europameister im Rabattsammeln und Schnäppchen jagen, gut 30 Prozent der Lebensmittel werden über ein Angebot erworben. In Deutschland sind es nur 15 Prozent, dort halten es mehr Menschen mit den Songzeilen von Tocotronic: „Ich will keine Punkte sammeln. Ich will keine Treueherzen.“
Des Österreichers Faible für Kundenkarten zeigt sich aktuell auch bei der Einführung von „Jö“. Innerhalb von zwei Wochen haben sich zwei Millionen Menschen für den neuen Bonus-Club von insgesamt elf Unternehmen (von Billa, Merkur und Bipa bis OMV, Penny und Adeg), angemeldet, sagt zumindest der Sprecher von Jö. Vielleicht liegt es auch an dem Marketing, das einiges gekostet haben muss, seit Wochen werben Robert Palfrader und Rudi Rubinek alias Kaiser und Seyffenstein auf Plakaten für die goldene Karte, die Rewe am 2. Mai eingeführt hat. Auch die teilnehmende Bawag wirbt u. a. mit Musiker Florian Horwath in einem Spot fürs Punktesammeln.
Viele Kunden vergessen bei der Jagd nach Preisvorteilen, dass sie jeden Rabatt mit ihren Daten und tiefen Einblicken ins private Einkaufsverhalten
bezahlen. Datenschützer und Experten warnen davor, sich zum gläsernen Kunden zu machen – besonders bei Sammelclubs wie Jö oder Payback, bei denen gleich die Kaufdaten von mehreren Unternehmen gespeichert und miteinander verknüpft werden ( siehe Artikel rechts). Rewe will den Jö-Club sogar noch ausbauen und insgesamt 3,7 Millionen Mitglieder in Österreich haben. Derzeit dominiert aber Kritik an dem neuen System. Viele Kunden beschweren sich, etwa beim Verein für Konsumenteninformation, dass es viel zu kompliziert sei und dass man mehr Geld ausgeben muss als bisher, um einen Rabatt zu bekommen. Erste Kundenkarte aus Papier. Begonnen hat das mit den Kundenvorteilen zu einer Zeit, in der es für Unternehmen noch kaum ums Datensammeln, sondern um die Kundenbindung ging. Erste Versuche mit Kundenkarten gab es in den USA bereits vor dem Zweiten Weltkrieg, erzählt Peter Schnedlitz, Vorstand des Instituts für Handel & Marketing an der Wirtschaftsuniversität Wien. In Europa gelang der erste Durchbruch in Deutschland, als das Textilhaus Breuninger Ende der 1950er-Jahre eine Vorteilskarte an seine Stammkunden verteilte. „Die war damals noch aus Papier und ohne Strichcode. Das war die Geburtsstunde des Anschreibens“, so Schnedlitz. Immerhin hatten Kunden dadurch die Möglichkeit, erst gegen Ende des Monats zu bezahlen. In Österreich zog bald Konsum nach, mit einer Kundenkarte, die am Ende des Jahres eine Rückvergütung von heute unvorstellbaren drei Prozent versprach. „Konsum war bei vielem Vorreiter, hat aber nichts so richtig gescheit gemacht.“
Den großen Aufschwung erlebten Kundenkarten erst mit der Digitalisierung, oder konkret: mit der Erfindung des Strichcodes und des Scannens. Man kann sich das heute nicht mehr vorstellen, aber früher mussten Supermarktkassiererinnen die Preise noch auswendig wissen und händisch eintippen. Ende der 1980er, Anfang der 90erJahre war die große Zeit der Kundenkarte. Da hatten Kundenkarten ebenso wie Kreditkarten noch „Glamour“. Eine goldene Kreditkarte war damals noch etwas, das man gerne und stolz auf den Tisch legte. Von diesem Glamour konnten die Kundenkarten mitnaschen. „Aber dann wurde das Ganze aber überschätzt“, sagt Schnedlitz, der sich noch gut daran erinnern kann, als in den 1990er und 00er-Jahren „Kundenkartenhersteller bei Managerseminaren das Blaue vom Himmel versprachen.“ Binden und lenken. Die Funktion einer Kundenkarte beschreibt er mit „binden und lenken“. Die Kunden sollten also nicht nur dem Geschäft treu bleiben, sondern ihr Kaufverhalten auch durch spezielle Aktionen, die nur in Kombination mit der Kundenkarte gültig sind, beeinflusst werden.
Heute sieht der Experte keine große Zukunft für analoge Kundenkarten. Denn einerseits hat die seit Mai 2018 geltenden Datenschutzgrundverordnung bei vielen Unternehmen zu einem massiven Rückgang von Kundenkarten geführt. Viele Kunden haben
In den 1990er-Jahren hatten Kunden- und Kreditkarten noch Glamour – das ist vorbei.