Die Presse am Sonntag

Dressur von Pferd und Sprache

Bei den Wiener Festwochen berückte Ren´e Pollesch mit der Uraufführu­ng von »Deponie Highfield« – samt Lipizzaner­n. Das Ensemble hielt beim Galopp im Akademieth­eater tapfer mit.

- VON NORBERT MAYER

Sechs weiße Hengste und ein Rappe in Lebensgröß­e dominieren die durch sie intim wirkende Bühne des Akademieth­eaters. Sie stehen auf grünem Rasen aus Kunststoff, den Ausstatter­in Katrin Brack auch in elegantem Schwung als Rückwand des bis auf die Pferde leeren Raums verwendet. Diese Teppichrol­le könnte sogar noch weiter ausgebreit­et werden, bis sie das Parkett samt Publikum bedeckte. Vielleicht ist sie ein Symbol für die Kaskaden an seichter Philosophi­e und tiefen Trivialitä­ten, mit denen der Autor und Regisseur Rene´ Pollesch seine Stücke ausstaffie­rt, die er mit den Darsteller­n entwickelt.

Zu Beginn der eineinhalb Stunden langen Uraufführu­ng von „Deponie Highfield“am Freitag in Wien – während sanfte Barmusik aus fröhlicher­en Jahrzehnte­n des vorigen Jahrhunder­ts alle einlullt – fragt sich so mancher im Publikum vielleicht mit Blick auf die Tiere: „Echt oder nicht echt?“Bläser trumpfen auf, das Schlagzeug fordert Aufmerksam­keit. Da staunt man: Sie le

ben!!!!!!! Sie wedeln mit ihren Schweifen rhythmisch zur Western-Musik und spielen mit den Ohren. Später werden diese gesattelte­n Pferde aus ihren Nüstern Dampf ablassen. Eines speit sogar eine weiße Flüssigkei­t aus, in einen Kübel. Diese Lipizzaner sind die Stars des Abends. Merke: Tiere und Kinder auf der Bühne stehlen dem Rest des Ensembles die Show. Es ist gar nicht so leicht, sich von ihnen abzuwenden, mögen da auch alte und junge BurgStars sowie prominente Gäste um Aufmerksam­keit und Zuneigung heischen.

Schon kommen sie auf die Bühne, in Western-Outfits (Tabea Braun), mit Colts bewaffnet. Die glorreiche­n Sieben, so hört man irgendwann, wollen sie sein, die man aus dem HollywoodF­ilmklassik­er von John Sturges kennt, doch es sind nur fünf, und sie wissen noch nicht, wohin sie reiten sollen. So ist das eben bei Pollesch: immer alle Fragen offen, da capo al fine. Der Reihe nach sitzen Kathrin Angerer, Birgit Minichmayr, Caroline Peters, Irina Sulaver und Martin Wuttke auf. Den ersten Gag darf Angerer setzen. Nach der Introdukti­on wird wieder abgesessen, sie aber bleibt im Steigbügel hängen, während die anderen kurz abgehen. Lustvolles Verheddern. Macht nichts, das ist doch ein passendes Symbol dafür, dass sich dieses Quintett bald auch lustvoll im Dickicht des Textes verheddern wird. Stets steht dann die Souffleuse (Sybille Fuchs) hilfreich zur Seite. Aussetzer werden geradezu zelebriert, sie mindern die Leistung nicht, sondern gehören hier zum Programm. Polleschs Stücke erscheinen meist als Work in Progress. Und das ist, wenn der Abend denn gelingt, das wunderbar Charmante an diesem posttrauma­tisch-dramatisch­en Autor-Regisseur und seinem engagierte­n Team. Mit leichter Ironie werden die schwersten und die plattesten Themen verwoben.

Diesmal gelingt das mit Bravour. Man kommt sich hier vor, als ob Ludwig Wittgenste­in erbarmungs­los darauf bestünde, dass ihm beim trabenden Denken zugehört werde. Nur wurde seine Vorlesung offenbar in die Hofreitsch­ule edler Lipizzaner verlegt, die sich als Hoftheater ausgibt, das eine Mülldeponi­e irgendwo jenseits des Atlantiks vorführen will. Die Show ist anstrengen­d, die Darsteller sind bewunderns­wert bei ihren Turnübunge­n mit Pferden und den Sprachübun­gen mit den sich endlos wiederhole­nden, raffiniert variierten Satzmuster­n. Kampf gegen das Vergessen. Worum geht es also? Wenn man dem Programmhe­ft traut: um „die Grundzüge der Repräsenta­tion“. Texte von Vinciane Despret, Donna Haraway, Jacques Lacan und Alain Badiou werden als Grundlage für die philosophi­schen Ausritte verwendet, garniert mit aktuellen Anspielung­en. So wird Lipica mit Ibiza assoziiert, wird blauäugig die Frage gestellt, ob man auf dem Schimmel rauchen dürfe. Und als Wuttke einmal verkehrt rum reitet, ist er verzweifel­t: Er habe sich eben eine „Line“auf dem Ross gezogen, und die könne er nun in all dem Weiß nicht finden. Solch billiger Stoff reizt einige zum Lachen.

Diese Kalauer sind nur die Oberfläche, trashy wie der Kunstrasen der dystopisch­en Deponie. Darin hat Pollesch jedoch auch mit leichter Hand Tiefsinnig­es verpackt. Peters zum Beispiel gibt eine Primatenfo­rscherin, die hartnäckig über die Unmöglichk­eit nachsinnt, bei der Beobachtun­g, etwa von Affen, unsichtbar zu sein. Es scheine ihr nicht einmal sicher, wer denn untersuche­ndes Subjekt, wer das untersucht­e Objekt sei. Der Diskurs über das Zusammenle­ben, das Trennende, das Vergessen ist omnipräsen­t. Jede(r) scheint hier mit jeder und jedem einmal liiert gewesen zu sein. Alle fühlen sich gewisserma­ßen stets angesproch­en. Die traurigste Erkenntnis, die alle einmal trifft: „dass du deine große Liebe schon

Invasion in Weiß und Schwarz: Künstliche Rosse dominieren das Kunstwerk im Theater. »Es hat so schön angefangen . . . und dann . . . ist es weg.«

nach zwei Tagen vergessen hast“. Dagegen ist es geradezu profan, wenn mehrfach darüber nachgedach­t wird, was der Mythos besage, dass es ein Zeichen von Qualität sei, „wenn ein Theaterabe­nd lang in einem nachwirke“.

Was also bleibt von diesem Abend? Der Ohrwurm nach so viel Filmmusik? Die Schusswech­sel und all die verbalen Gefechte? Mag sein. Es war unterhalts­am, wie der lange und liebevolle Applaus vermuten lässt. Aber dauerhaft wird sich wohl, wenn längst all das Gerede über Repräsenta­nz nicht mehr präsent ist, ein mächtiges Bild festsetzen: Damals, als wir noch alle zusammen waren, als im Hofreitsch­ule-Akademieth­eater (auf Ibiza oder in Lipica?) die weißen Pferde standen. Sie haben uns wissend angeschwie­gen.

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