Dunkle Wolken über
Die 72. Filmfestspiele von Cannes boten viele große Namen, eine Handvoll Glamour, viele düstere Wettbewerbsfilme – doch kaum Überraschendes. Der alljährliche Scheinskandal kam erst zum Schluss.
Coteˆ d’Azur, das ist im Grunde ein Beiname mit Fußnote. Denn azurblau schimmert das Mittelmeer vor der französischen Riviera nur, wenn die Sonne scheint. Sonst handelt es sich eher um eine Coteˆ du Cyan. Und am Himmel über den Filmfestspielen von Cannes trat Helios heuer nur sporadisch in Erscheinung. Besucher des Festivals warteten vergeblich auf das heiß ersehnte Kaiserwetter, hatten Regenschirme im Anschlag und Windjacken im Gepäck.
Wo das Klima enttäuschte, hätte das Programm Abhilfe schaffen können. Doch Highlights waren rar. Wirklich großes Kino schien heuer anderswo stattzufinden, abseits der selbstbezogenen Festivalblase. Etwa beim Song Contest, wo Madonnas windschiefer Gastauftritt für verdattertes Kopfschütteln sorgte. Und in Österreich: Gegen den Aufregungswert des Ibiza-Videos kommt keine noch so eklatante Leinwandkontroverse an.
Auch Cannes ist ein Ferienort, an dem dieser Tage in Villen und Hinterzimmern Deals verhandelt wurden. Meistens – so hofft man zumindest – ging es dabei nur um Abmachungen über künftige Filmprojekte. Wobei sich einige davon schon heute sicher wähnen können, nach ihrer Fertigstellung in einem der nächsten Festivaljahrgänge unterzukommen. Was in Cannes läuft und was nicht, scheint oft lang vorher festzustehen.
Mit Korruption hat das nichts zu tun. Eher mit einem Begriff, der aktuell den heimischen Politdiskurs bestimmt: Stabilität. Das größte Filmevent Europas will seinen Status erhalten – und der gründet auf Luxusmarken der Cinephilie, die gehegt und gepflegt werden müssen. Daher gelten Folgewerke von Palme-Siegern als Fixstarter in späteren Festivalausgaben. Daher sind unbekannte Namen im Wettbewerb stets in der Minderzahl.
Das Geschäft läuft. Das Resultat dieser Strategie ist tatsächlich stabil, aber in der Regel ziemlich vorhersehbar. Findige Produzenten können sich diesen Umstand zunutze machen. Der Name des schweizerischen Filmfinanciers Michel Merkt stand heuer vor gefühlt jedem zweiten Cannes-Beitrag, die großen Weltvertriebe – Wild Bunch, Le Pacte, The Match Factory – scheinen sich den Arthouse-Kuchen weitgehend untereinander aufzuteilen. Auch in Cannes, wo man sich gern als letzte Trutzburg der Kunst in einem von kommerziellen Interessen unterwanderten Mediensektor inszeniert, geht es nicht zuletzt ums Geschäft. Im parallel wuselnden Filmmarkt soll dieses ganz passabel gelaufen sein.
Ein Dorf verschwindet, die Geister ertrunkener Flüchtlinge kehren wieder.
Die Grundstimmung im Wettbewerb war heuer indessen zappenduster. Viele Filmemacher signalisierten Unruhe ob gesellschaftlicher Entwicklungen und der Wechselfälle des Weltgeschehens, ihre Arbeiten zeichneten bange, bissige und beklemmende Sittenbilder. Jim Jarmusch, an sich kein Kind von Traurigkeit, gab im Eröff