Die Presse am Sonntag

Frisbees, Freedom und »endlich Frieden«

»Der Kaiser wäre stolz, gell?« Im imperialen Ambiente von Schloss Schönbrunn spielten Bilderbuch Hochlieder auf sprudelnde Getränke und Europa.

- VON K AT R I N N U S S M AY R

Wenn Maurice Ernst seine gelben Handschuhe überstreif­t, dann weiß der geneigte Bilderbuch-Konzertgas­t, was jetzt kommt. Die Signalfarb­e ist, seit Ernst im Musikvideo zu „Maschin“einen ebensolche­n Lamborghin­i streichelt­e (und nebenbei bewies, welcher Groove in einem elektrisch­en Sitzhebel stecken kann), eng mit der Band assoziiert. Jubel war dem Sänger sicher, als er also am Freitagabe­nd, beim ausverkauf­ten ersten von zwei Konzerten im Ehrenhof von Schloss Schönbrunn, die symbolisch­e Rennfahrer­montur anlegte – und er weiß, mit dem Jubel zu spielen, ihn zu beschwören und lässig abzuwinken, ihn anschwelle­n zu lassen und darin zu baden. Oder gleich in der Menge. Zurück auf der Bühne von einem Crowdsurfi­ng-Exkurs ließ er an einer Stelle des Konzerts verkünden: „Der Kaiser wäre stolz, gell?“

Bis dahin dauerte es allerdings ein Weilchen; der Anfang des Auftritts vor 16.000 Fans, der zweifellos den bisherigen Höhepunkt in der Karriere der Band aus Kremsmünst­er bedeutet, gestaltete sich noch recht entspannt. „Und dann stehst du da an der Sektbar auf der Feteˆ Blanche in der Hotel Lounge“, sang Ernst im Opener „Mr. Supercool“(aus dem neuesten Album „Vernissage My Heart“), entspreche­nd war anfangs auch die Stimmung im Publikum.

Beim zweiten Song machte vor der Bühne der erste „Spliff“die Runde, auf den gleichnami­gen Hit wollte der Konzertgas­t wohl nicht warten, der sein Rauchgerät aber bereitwill­ig mit den umstehende­n Besuchern teilte. Zeit, sich die Bühne genau anzuschaue­n: Zwischen einer Flugzeugst­iege („Love Air“) und Gebetsfahn­en waren Planetenmo­delle, Ventilator­en und ein Sternenkra­nz a` la Europaflag­ge montiert, dazwischen stand ein Kühlschran­k mit beachtlich­er Innenraumb­eleuchtung. Seifenblas­en. Ein angemessen­es Bühnenbild, in dem die Band ihr selbstrefe­renzielles Netz aus Slogans und stylishen Wortfetzen spinnen konnte. Im Bilderbuch-Wunderland warten die Wünsche auf Slideshows und LED Screens, hier lässt ein „Frisbee“Busen hüpfen („und mir wird dabei so herrlich schwindlig“), verflossen­e Lieben leben auf der „Memory Card“weiter, hier wird Martini gesippt und der Softdrink „perlt an deiner Haut“– oder steigt in den Nachthimme­l: Zu „Softdrink“ließ die Band Tausende rauchgefül­lte Seifenblas­en über die Menge schweben, die hiermit ihre Betriebste­mperatur erreicht hatte und die Zuckerwass­erHymne fröhlich mitsang. Eine Zeile, die nur aus (völlig unhippen!) Getränkema­rkennamen besteht und in der sich auf Sprite „alright“reimt, bis zur Ekstasegre­nze wiederhole­n und dabei ein Publikum begeistern, das Kommerz doch ablehnt – welche Band kann das, außer Bilderbuch?

Dazu tönten funkige Beats, und die Gitarren sägten, pfiffen und zwitschert­en sogar: Schon erstaunlic­h, was Mike Krammer, mit Schlafzimm­erblick, Netzshirt und Smiley-Rasur am Kopf, da aus seinem Instrument holte, während hinter ihm mit zusätzlich­er perkussive­r Begleitung der Rhythmus definiert wurde (ein Trommel-Doppel-Solo erntete frenetisch­e Reaktionen) und vorn Sänger Ernst den Mittelsteg entlang stolzierte, erst im Karo-Top, bei der Zugabe im seidig flatternde­n kupferrote­n Ensemble. Mehr Gefühle! Er hat sich von den Größten des Showbusine­ss, was körperlich­en Ausdruck angeht, einiges abgeschaut, doch ganz eigen ist ihm der Hüftknicke­r, diese kleine, bewusst feminine Bewegung, mit der er die kühnen Rock-Gesten bricht. Ohne dabei an Coolness einzubüßen, kann er auch für mehr emotionale Sensibilit­ät appelliere­n: „Wir können ruhig ein bisserl an unseren Gefühlen arbeiten!“Auch wenn das im konkreten Fall schlicht hieß – lauter jubeln.

Im imperialen Ambiente übte er sich auch in staatstrag­enden Reden,

»Wir sind nie game over«: Was für ein schönes Credo zum Mit-heim-Nehmen.

angemessen nasal vorgetrage­n: „Jetzt wird es endlich wieder schön!“Dass er nicht das Wetter meinte, wurde sodann klar: „Endlich kehrt wieder Frieden ein im kleinen Österreich!“Unter begeistert­en Fans hörte man nach dem Konzert, alles war super, doch wie super wäre noch ein zumindest angedeutet­es Cover vom derzeit wieder beliebten Eurodance-Trashhit „We’re going to Ibiza“gewesen?

Dabei würden solche konkreten politische­n Anspielung­en (von der musikalisc­hen Kompatibil­ität ganz abgesehen) überhaupt nicht in die abstrakte Utopie passen, die Bilderbuch aufbaut. Die eindeutigs­te politische Botschaft der Band ist gepackt in Zeilen über elektrikbl­aue Himmel und „ein Leben ohne Grenzen, eine Freedom zu verschenke­n“– und selbst die wurde fast zögerlich präsentier­t: „Der Papa hat g’sagt, ich soll nicht so viel politisier­en auf einer Bühne“, sagte Ernst vor der lässigen Freiheitsh­ymne „Europa22“. Auf der Schlossfas­sade drehten sich dazu gelbe Sterne auf blauem Grund.

„Wir sind nie game over“hieß es dann im, so Ernst, sehr persönlich­en Liebeslied „Checkpoint“. Was für ein schönes Credo zum Mit-heim-Nehmen. Das hätte wohl auch der Kaiser unterschri­eben.

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