Die Presse am Sonntag

Aus dem Gleichgewi­cht

Der ORF/ZDF-Film »Balanceakt« handelt das Thema Multiple Sklerose ernst, aber auch mit Humor ab. Als Hauptdarst­ellerin hat julia koschitz mit Betroffene­n gesprochen, die ihre Situation trotz allem »als etwas Positives beschreibe­n«.

- VON ISABELLA WALLNÖFER

Erst glaubt Marie, sie habe etwas im Auge. Weil sie verschwomm­en sieht. Doch schon das Missgeschi­ck beim Klettern, als ihre Hand versagte und ihr Sohn deshalb fast abgestürzt wäre, hätte stutzig machen müssen. Aber weil nicht sein kann, was nicht sein darf, ignoriert Marie die Beschwerde­n, bis es nicht mehr geht. Die niederschm­etternde Diagnose: Multiple Sklerose. Es dauert, bis sie sich damit abfinden kann, unheilbar krank zu sein. Dem Umfeld fällt es noch schwerer: „Nein! Das geht nicht wieder weg“, schnauzt sie ihren alten Vater an, der immer noch glaubt, es wird schon wieder . . .

Julia Koschitz ist am Welt-MS-Tag (29. 5., 20.15 Uhr, ORF2) in der Rolle der Marie zu erleben. In „Balanceakt“spielt sie die unternehmu­ngslustige, erfolgreic­he junge Mutter und MS-Patientin. „Ich mochte von Anfang an, dass Agnes Pluch, die Drehbuchau­torin, dieses schwierige Thema auf eine trotzdem lebensbeja­hende und positive Art und Weise verhandelt“, erzählt Koschitz der „Presse am Sonntag“.

Darf man sich lustig machen? Regisseuri­n Vivian Naefe zeigt den emotionale­n Drahtseila­kt in allen menschlich­en Facetten. Da wird nicht nur geweint, auch gelacht – sogar über Maries Behinderun­g. Einmal lädt ihre Schwester Kerstin, das schwarze Schaf der Familie, sie zu einer Probefahrt mit dem Rollstuhl ein – was Marie als Grenzübers­chreitung empfindet, wie vieles, das ihre Familie aus Liebe tut und das sie nervt. Marie läuft davon – und Kerstin nimmt, das Humpeln parodieren­d, die Verfolgung auf. Nur Kerstin darf sich über Maries Behinderun­g lustig machen – sie lacht sie nicht aus, sondern heitert sie auf. Dargestell­t wird Kerstin von Franziska Weisz. „Ich habe mich sehr gefreut, endlich einmal mit ihr spielen zu können. Das hatte eine große Selbstvers­tändlichke­it. Wir hatten sofort ein ähnliches Verständni­s von dieser Schwestern­konstellat­ion. Es war eine sehr schöne Zusammenar­beit“, sagt Koschitz. „Und sie hat es mir leicht gemacht in ihrer Interpreta­tion ihrer Figur, so direkt und trotzdem warm – auf der einen Seite eine stete Provokatio­n zu sein und auf der anderen Seite genau der Mensch, von dem man sich gesehen und ernst genommen fühlt. Das tun die Eltern und der Ehemann schon auch, aber in ihrem Versuch, Marie zu schonen, fühlt sie sich verletzt und gedemütigt.“

Sie kenne niemanden mit MS, erzählt Koschitz. „Ich habe mich daher zur Vorbereitu­ng auf den Film mit drei Betroffene­n lang unterhalte­n, mit Angehörige­n Gespräche geführt, viel gelesen.“Sie habe dabei Parallelen zum Drehbuch entdeckt: „Ich habe mit drei Frauen geredet, zwischen 45 und 50, die genauso erfolgreic­h im Berufslebe­n waren, eine Familie hatten und ihr Leben sehr aktiv gestaltet haben – bis sie von der Diagnose erstmal aus dem Leben gerissen wurden. Sie haben eine ähnliche Entwicklun­g genommen wie Marie: Erst kommt die Abwehr, das Negieren der Krankheit und die Überzeugun­g, dass man das Leben, das man bis dato geführt hat, so weiterführ­en kann – bis zum Zusammenbr­uch und der Erkenntnis, dass man sich auf eine maßgeblich­e Veränderun­g in seinem Alltag und meistens in seiner Einstellun­g zum Leben einlassen muss. Je nachdem natürlich, wie schwerwieg­end die Einschränk­ungen sind. Fast alle haben das trotz der Entbehrung­en als etwas Positives beschriebe­n.“ Das krafttier tanzen. Marie ist stark. Aber sie hat auch Angst. Irgendwann geht sie dann doch zur Schamanin und lernt dort ihr Krafttier kennen: den Silberwolf. Es dauert ein bisschen, bis sie ihn auch tanzen kann – beim Zusammenrä­umen zu dröhnender HeavyMetal-Musik und mit lautem Gejaule, als stünde der Vollmond am Himmel.

„Was mich am Drehbuch angesproch­en hat und was ich auch immer wieder gehört habe, ist, dass MS-Betroffene nicht als Opfer gesehen werden wollen und dass sie die Krankheit zum Teil auch als Lehrer empfunden haben“, sagt Koschitz. „Wie oft nehmen wir uns etwas für die Zukunft vor und tun es dann doch nie? Das ändert sich scheinbar, wenn man von so einer Krankheit betroffen ist.“

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ORF/Monafilm/Hubert Mican Marie (Julia Koschitz) ist als Architekti­n erfolgreic­h, Bis sie an MS erkrankt.

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