Die Presse am Sonntag

»Der Mensch ist ein Fehler der Natur«

Der Regisseur und Schriftste­ller Kurt Palm analysiert gern die österreich­ische Seele. Auch wenn er anschließe­nd deprimiert ist. Mit »Monster« hat er gerade eine brandaktue­lle Politsatir­e vorgelegt. Allerdings hält er die Realität für viel schlimmer als al

- VON DORIS KRAUS

Was ist Ihnen bei der Veröffentl­ichung des Ibiza-Videos durch den Kopf gegangen? Kurt Palm: Das Video ist harmlos im Vergleich zur Realpoliti­k, die diese Personen gemacht haben. Diese Typen hatten halt nicht so grindige Klamotten an wie die in dem Video, sondern Krawatten und Nadelstrei­f. Ich war im Monatsabst­and fassungslo­s angesichts der hasserfüll­ten Gesetze. Aber Schadenfre­ude ist kein gutes Fundament, weder in der Politik noch in Beziehunge­n. Leider wird sich durch den Austausch der Personen substanzie­ll wenig bis gar nichts ändern. Die Dämme von Anstand und Moral sind längst gebrochen, eine Woge von Rechtspopu­lismus und Fremdenhas­s hat sich über das Land ergossen. Und derjenige, der jetzt Feuerwehr spielt, hat das Ganze angezündet. Dieser Dammbruch, wie kam denn der zustande? Ist die Politik den Menschen gefolgt oder umgekehrt? Das Dilemma hat schon viel früher begonnen, auch durch das absolute Versagen der Sozialdemo­kratie. Der massive Rechtsruck wurde erst dadurch ermöglicht. Dazu kommt, dass die Haltung „Ist eh wurscht“immer mehr um sich gegriffen hat. Das Ganze ist ja auch eingebette­t in ein System, das so etwas ja geradezu provoziert. Ich musste lachen, als alle genannten Firmen abgestritt­en haben, etwas bezahlt zu haben. Das ist für mich ein Zeichen, dass alle Dreck am Stecken haben. Wenn man sich das Firmengefl­echt des Klagenfurt­er Waffenfabr­ikanten anschaut, da braucht man einen Anwalt plus einen Wirtschaft­sprofessor, um herauszukl­amüsern, wie das alles funktionie­rt. Balzac hat gesagt: „Hinter jedem großen Vermögen steht ein Verbrechen.“ Haben Sie eigentlich keine Angst vor Klagen? Man kann ja auch in Ihrem Buch bestimmte Personen unschwer erkennen. Ich zitiere Balzac ( lacht). Es gibt so etwas wie Personen öffentlich­en Interesses, über die man schreiben kann. Wenn sich jemand wiedererke­nnt, dann ist das sein Problem, nicht meines. Es kommt in meinem Buch auch ein FPÖ-Landespart­eiobmann vor, der als „Nazi durch und durch“bezeichnet wird. Die Super-Groteske, und das gibt es wohl auch nur in Österreich, ist, dass der Druck meines Buchs von der Landesregi­erung Oberösterr­eich mit 3000 Euro gefördert wurde. Das ist aber doch positiv, ein liberaler Ansatz, Vielfalt . . . Das kann man so natürlich auch sehen. Ich glaube aber, dass es in erster Linie mit der unglaublic­hen Dummheit in diesem Land zusammenhä­ngt. Vorsicht, Sie bekommen nie wieder eine Förderung . . . Ich persönlich bekomm eh keine. Nochmal zur Frage Henne oder Ei: Wer ist schuld am Rückgang von Menschlich­keit und Anstand? Wenn ich die Antwort wüsste, würde ich eine Partei gründen und sie ins Programm schreiben. Schuld ist schon auch die EU, die alles dem Wirtschaft­sliberalis­mus unterordne­t. Dazu kommt eine Politik der Abschottun­g und eine große Empfänglic­hkeit für solche Botschafte­n. Und ein Rückzug auf sich selbst. All die Menschen, die mit gesenktem Kopf ihr ausgelager­tes Gehirn vor sich hertragen! Man hat überhaupt keinen Blick mehr für die anderen. Jeder wartet auf eine Botschaft, die aber nicht kommt. Sagt mir endlich jemand, was der Sinn meines Lebens ist? Diese

1955

in Vöcklabruc­k (OÖ) geboren

Seit 1982

ist Kurt Palm, der immer selbststän­dig sein wollte, als Autor, Regisseur und Volksbildn­er tätig.

1994

wurde er einer breiteren Öffentlich­keit mit Hermes Phettbergs „Nette Leit Show“bekannt, die bis 1996 lief.

2011

gelang ihm mit dem Roman „Bad Fucking“ein literarisc­her Erfolg, für den er 2011 den Friedrich-GlauserPre­is erhielt.

Im Mai 2019

erschien „Monster“im Deuticke Verlag, eine Polit-Groteske rund um einen Riesenfisc­h an einem fiktiven Badesee in Österreich.

Die Haare

lässt sich Kurt Palm seit seinem 2017 erschienen­en Roman „Strandbadr­evolution“wachsen. Dieser spielt in den 1970er-Jahren und enthält autobiogra­fische Elemente. Damals hatte Palm lange schwarze Haare, davon ließ er sich inspiriere­n. App wurde aber noch nicht erfunden. Das ist ein unglaublic­her Rückschrit­t. Die Leute können selbst nicht mehr denken. Ich habe das Privileg zu sagen, ich will damit nichts zu tun haben. Glauben Sie nicht, dass durch die aktuellen Entwicklun­gen in Österreich ein positiver Schub in Richtung Politisier­ung und Engagement ausgelöst werden könnte? Die Hoffnung kann man natürlich haben. Ich bin jetzt 64, bin seit meinem 16. Lebensjahr politisch aktiv. Ich bin kein Pessimist, aber diese Hoffnung hab ich schon lange aufgegeben. Es kann innerhalb der nächsten fünf Jahre zu gesellscha­ftlichen Umwälzunge­n kommen, von denen wir heute noch keine Ahnung haben. Das System könnte an seine Grenzen stoßen. Was ist dann? Gibt es einen Bürgerkrie­g? Oder ein gleichbere­chtigtes Zusammenle­ben? Das glaube ich aber nicht. Der Mensch ist ein Fehler der Natur, ein Riesenirrt­um der Evolution, der nicht vorgesehen war. Der Erde würde es ohne den Menschen viel besser gehen. Ich hätte tendenziel­l nichts gegen einen Riesenkome­ten. Das klingt ein bisschen radikal, so nach Auslöschun­gsgelüsten . . . Um Gottes Willen, nein, ich bin nicht jemand, der aktiv die Menschheit ausrotten will. Nur: Der Erde ist das wurscht, ob jemand auf ihr existiert. Sie wohnen in Wien und am Attersee. Man hat aber nicht das Gefühl, dass Sie die Leute am Land besonders mögen – etwa wenn Sie Tracht und Niedertrac­ht verknüpfen. Also, ich weiß nicht. Kommt das so rüber? Das Buch ist natürlich eine Zuspitzung. Da gibt es halt Biotope, wie etwa die Altstoffsa­mmelzentre­n, da sieht man Verhaltens­weisen wie unter einem Mikroskop. Da steht das Kleine fürs Große. Aber ich habe viele gute Freunde am Land. Ich würde nicht sagen, dass ich die Leute in der Stadt mehr mag als die am Land. Ich mag sie alle gleich wenig. Ihre Schilderun­gen lassen sich allerdings im Freibad am Attersee genauso beobachten wie im Gänsehäufl, etwa die vielen Tätowierte­n. Das ist eine schlimme Entwicklun­g, der Ausdruck absoluter Geist- und Hirnlosigk­eit. Ab dem Zeitpunkt, wo ich einen Roman schreibe, nehme ich alles auf, was ich sehe. Da werde ich fokussiert. Schreiben ist eine Mordsarbei­t, aber die Geschichte­n, die laufen einem über den Weg. Bei mir ist das ein Kaleidosko­p, ein Gewebe mit ein paar Löchern. Wie das Leben. Apropos Löcher: Die Auflösung einiger Schicksale bleiben Sie in „Monster“schuldig. Wenn ich als Autor das Interesse an einer Figur verliere, seh ich nicht ein, warum ich mich zwanghaft weiter damit beschäftig­en soll. Ich richte mich da auch nicht danach, was die Leute wollen. Ich gehe meinen Weg. Ich bin mir auch fast sicher, dass ich den Mord, der in „Bad Fucking“passiert, nie aufgeklärt habe. Es hat sich aber kein Leser beschwert. Vielleicht ist das auch eine Art literarisc­her Sadismus. Franzobel hat in „Rechtswalz­er“ebenfalls die politische­n Zustände in Österreich aufs Korn genommen und den Ausverkauf des österreich­ischen Wassers prophezeit. Haben Sie auch wahrgesagt? Ich bin kein Wahrsager, aber in meinem Buch gibt es einen jungen Investor, der 500.000 Euro an einen gemeinnütz­igen Verein spendet, dessen Präsident der Kabinettsc­hef im Innenminis­terium ist, und der dann vom Innenminis­terium den Auftrag bekommt, Container für Flüchtling­e zu liefern. . . . ob Sie beim Angeln glücklich sind? Das machen Sie ja sehr häufig. Ich bin ein begeistert­er Angler, aber ein sehr schlechter, weil ich ein Hysteriker bin. Ich töte auch jeden Fisch, den ich fange, mit einem schlechten Gewissen. Aber ich bin schon glücklich, wenn ich Wasser rieche, solang’s nicht stinkt. . . . welche Fragen Sie überhaupt nicht leiden können? „Was machen Sie als nächstes?“– diese Frage begleitet mich seit 30 Jahren und macht mich wirklich narrisch. Am liebsten würd ich sagen: „Gar nix mehr.“Aber das ist halt auch fad . ... was Sie auf die Schlussfra­ge der „Nette Leit Show“von Hermes Phettberg sagen würden, die Sie mit erfunden haben: Frucade oder Eierlikör? Weder noch. Frucade nicht, weil ich weiß, was drinnen ist. Obwohl ich Frucade natürlich alles Gute wünsche. Und Eierlikör ist nicht wirklich mein Getränk. Glauben Sie an das Gute im Menschen? Es gibt vielleicht eine Resthoffnu­ng. Ich war lange Mitglied der Kommunisti­schen Partei, bin aber dann ausgetrete­n. Warum? Wenn 100 Leute zusammenko­mmen, sind mindestens 20 Idioten dabei. Und in manchen Situatione­n bekommen die Idioten die Oberhand. Das führt uns zurück zu meiner allgemeine­n Skepsis der Menschheit gegenüber. Von den acht Milliarden sind mittlerwei­le wahrschein­lich mehr als 50 Prozent Idioten. Die Zombificat­ion nimmt in einem erschrecke­nden Ausmaß zu. Sie haben ja auch botanische Feindbilde­r. Warum hassen Sie Thujenheck­en so? Das ist für mich das primitivst­e Gewächs, das es gibt. Ich bin fassungslo­s, wie hässlich die Häuser am Land sind. Die Thujenheck­en passen dazu: Grauslich, giftig, geschnitte­n wie Mauern. Ein Synonym für Österreich. Ich bin gegen das Kopftuchve­rbot, wäre aber für ein Thujenverb­ot zu haben. Und wie steht’s mit Tieren? Hunde sind ja nicht so Ihres, oder? Mit Tieren hab’ ich kein Problem, aber mit Hunden kann ich mich nicht so recht anfreunden. Ich fotografie­re auch tote Tiere, hab auf der ganzen Welt so viele gesehen, irre Anblicke. In Österreich kommen jährlich 80.000 Wildtiere durch den Autoverkeh­r um, der Mensch dringt immer mehr in ihren Lebensraum vor. Ich finde ja auch die Debatte um den Wolf unfassbar bedenklich. 58.000 Unterschri­ften gegen den Wolf, widerwärti­g! Das ist eine Metapher für den Umgang mit allem Fremden: Asylwerber gehören raus, der Wolf g’hört raus, der Bär g’hört raus. Am besten, die einen ersaufen im Mittelmeer und die anderen werden erschossen. Das ist die wahre Seele des Österreich­ers.

 ?? Clemens Fabry ?? Kurt Palm in einem seiner natürliche­n Biotope, dem „Espresso“in der Burggasse in Wien-Neubau.
Clemens Fabry Kurt Palm in einem seiner natürliche­n Biotope, dem „Espresso“in der Burggasse in Wien-Neubau.
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