JOHANNA MIKLLEITNER
Sein Ex-Koalitionspartner erkannte, dass sich auch ohne Freiheitliche an der Seite ausgezeichnet mit dem Wort Identität wahlkämpfen lässt. Sebastian Kurz veröffentlichte am Dienstag einen weiteren Teil seines Wahlprogramms. Titel: „Unsere österreichische Identität bewahren“. Die Gesellschaft habe sich durch Migration und Zuzug in den letzten Jahren „massiv“verändert, sagte Kurz bei der Präsentation. Daher sei eine Reihe von Maßnahmen notwendig, um gegenzusteuern. Neben der Bekämpfung der illegalen Migration, der „konsequenten Umsetzung“der Mindestsicherung neu, dem Kreuz im Klassenzimmer und dem Fach „Staatsbürgerkunde“findet sich der Punkt „Kampf gegen Extremismus“. Darunter subsumiert die ÖVP auch die Auflösung extremistischer Vereine wie dem der Identitären.
Ein eleganter Kniff: Man macht die Bewahrung der österreichischen Identität zu einem Kernthema des eigenen Wahlkampfs. Gleichzeitig räumt man der rechtsextremen Splittergruppe, die das Wort im Namen trägt und deren Verbot es bis zur Koalitionsbedingung für eine Neuauflage von Türkis-Blau brachte, eine Erwähnung hinten im türkisen Programm ein. Natürlich nur in dem Sinn, als ihr Verbot genauso zum Schutz der Identität beiträgt wie das Kreuz im Klassenzimmer und die Verteidigung der EU-Außengrenzen.
Der Kurs der türkisen Volkspartei schaffte es schon vor der Neuwahl in die internationalen Medien. Mehrere widmeten dem jungen Kanzler, der mit den Rechten koaliert, ein Cover. Etwa das „Time“-Magazin vergangenen November. Unter der Headline „Extreme Makeover“befanden die Autoren: „Österreichs junger Bundeskanzler bringt die Rechtsextremen in den Mainstream.“Kurz habe es verstanden, die Themen „Identität, Islam und Immigration“für sich einzusetzen.
Van der Bellens Heimat. Gehen wir drei Jahre zurück: Es ist Bundespräsidentschaftswahlkampf. Einer, der nicht nur für seine Länge in Erinnerung bleibt, sondern auch für den Moment, als der von den Grünen unterstützte Kandidat Alexander Van der Bellen in Tracht vor typisch österreichischer Landschaftskulisse posierte. Dazu der Slogan „Für unser vielgeliebtes Österreich“. Den Irritierten unter den Stammwählern erklärte er: „Ich lasse mir den Heimatbegriff von den Rechten sicher nicht wegnehmen.“Den Verdacht möglicher Nationalismen wehrte er mit der ErkläWas stiftet Identität? Die Tracht, das Kreuz an der Wand? Landeshauptfrau Niederösterreich rung ab, er verstehe unter Heimat nichts Einengendes oder Ausgrenzendes, sondern einen Ort der Vielfalt, ein offenes Österreich und Europa.
Prominente Unterstützer fand er auch im bürgerlichen Lager. Erhard Busek, Franz Fischler, Claus Raidl, Maria Rauch-Kallat, Wilhelm Molterer und andere bekannte Namen unterzeichneten ein „Manifest“für Van der Bellen. In Richtung des FPÖ-Herausforderers Norbert Hofer schrieben sie: „Unsere gemeinsame rot-weiß-rote Identität ist eine große Errungenschaft. Sie hat ihr Fundament im Miteinander, nicht im Gegeneinander.“Die Blauen reagierten erbost auf die Unterstützung für den linken 68er. „Wer eine österreichische Identität möchte, die Verantwortungsbewusstsein gegenüber anderen mit Selbstbewusstsein verbindet“, könne am 4. Dezember nur Norbert Hofer wählen, richtete Herbert Kickl den „Wegbereitern des bürgerlichen Niedergangs“aus.
Man merkt: Wo man vor drei Jahren um die Deutungshoheit für das Wort Heimat rung, war sein Bruder, die Identität, nie weit. Das legt schon die Definition im „Brockhaus“nahe: Dort steht, Heimat ist der Ort, „in den ein Mensch hineingeboren wird und in dem die frühesten Sozialisationserlebnisse stattfinden, die zunächst Identität, Charakter, Mentalität, Einstellung und Weltauffassung prägen.“
Dabei bringt Identität gegenüber dem Heimatbegriff für Kampagnen einen gewissen Vorteil mit. Das Wort ist weniger geschichtlich vereinnahmt, es tritt frischer, unschuldiger, glatter auf. Ex-ÖVP-Vizekanzler Busek formulierte es auf der Visegrad-´Konferenz in Wien im Frühling anders: Er habe große Schwierigkeiten mit dem Wort Identität, weil es schwer zu fassen sei. Ein Blick ins Wiener Telefonbuch genüge, um zu sehen, dass hier keine „urgermanische Bevölkerung“zu Hause ist. Der Durchmischung aus Habsburgerzeit verdanke Österreich viel.
Anders sah das jüngst der oberösterreichische FPÖ-Landesrat Wolfgang Klinger in der „Krone“. „Identität ist auch Sprache und Kultur“, sagte er der Zeitung und führte aus: „Also alles aus der Zuwanderung, was über Assimilation hinausgeht, führt zu Mischkulturen. Und diese Mischkulturen haben auf der
Der Verfassungsschutz hatte schon 2014 in seinem Jahresbericht klare Worte für die neue Form des Rechtsextremismus gefunden: „Seit dem Jahr 2012 versuchen jüngere Neonazis und Personen aus dem studentischen und burschenschaftlichen Milieu, ein aus Frankreich kommendes, im Internet sehr aktives, modernes und von popkulturellen Protestformen geprägtes Ideologiekonzept der ,Neuen Rechten‘ in Österreich zu etablieren. Die als ,Bewegung‘ auftretende Szene stellt die ,Identität des eigenen Volkes‘ in den Mittelpunkt ihrer Propaganda.“
Die Identitären selbst sehen sich als „Jugendbewegung, die ,von der Liebe zur eigenen Heimat‘ getragen ist.“Breitere Bekanntheit erlangten sie 2016 mit wenig liebevollen Störaktionen, etwa als sie Elfriede Jelineks Aufführung der „Schutzbefohlenen“durch Flüchtlinge im Audimax oder einen Vortrag an der Uni Klagenfurt stürmten.
Kreuz, Tracht, Neutralität. Identitäre und FPÖler sind aber nicht die einzigen, die die Deutungshoheit über das Wort in jüngerer Vergangenheit beanspruchten. Verschiedenste Politiker appellierten an die österreichische Identität und forderten ihren Schutz – und hatten sehr Unterschiedliches im Sinn.
ÖVP–Präsidentschaftskandidat Andreas Khol sprach sich im Wahlkampf gegen den Freihandelsvertrag TTIP aus – sonst würde man die „bäuerliche familiäre Landwirtschaft“opfern, die zur Identität Österreichs gehöre. Tirols Landeshauptmann Günther Platter sah sie durch die Stärkung des ländlichen Raums bewahrt. Christoph Leitl mahnte angesichts der Demontage-Tendenzen unter Türkis-Blau, in der Sozialpartnerschaft liege ein „Teil unserer Identität und der österreichischen Seele“. Doris Bures hielt in Reden als SPÖ-Nationalratspräsidentin einmal die Immerwährende Neutralität, einmal die Salzburger Festspiele als Grundpfeiler der Identität Österreichs hoch. Und die Kärntner ÖVP plädierte in Aussendungen regelmäßig für die identitätsstiftende Qualität von Vereinsfesten und Kärntner Tracht.
Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und der damalige Obmann der FPÖ-Jugend, Maximilian Kraus, waren sich 2017 in der Wortwahl einig: „Wenn wir das Kreuz als Zeichen unserer Identität freiwillig verstecken“, sagte Kraus, „senden wir eine völlig falsche Botschaft aus.“Ähnlich appellierte Mikl-Leitner an die Zuhörer auf dem Fest zum Landesfeiertag: Vorweihnachtliche Bräuche seien „mit Sicherheit nichts, was man aus falsch verstandener Toleranz verstecken soll oder muss.“Nicht in Niederösterreich. „Wenn aus Weihnachtsmärkten Wintermärkte werden, gehen unsere Traditionen verloren, dann geben wir unsere Identität auf.“
»Ich lasse mir den Heimatbegriff von den Rechten nicht wegnehmen.«