Parlamentswahl in Israel
Bei der am Dienstag steht erneut ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Premier Benjamin Netanjahus konservativer Likud-Partei und dem Mitte-rechts-Bündnis von Benny Gantz an. Die Linke ist chancenlos.
Avigdor Lieberman ist guter Dinge. Der Chef der rechtsnationalen Partei Israel Beitenu (Israel ist unser Heim) geht mit der Aussicht in die Parlamentswahl am Dienstag, seine fünf Knesset-Sitze zu verdoppeln. Voll Schadenfreude zieht er, als er ans Rednerpult einer Wahlkonferenz in Herzlia tritt, über seinen Erzfeind Benjamin Netanjahu (Likud) her. Den Premier hatte bei einem Auftritt in Aschdod nördlich von Gaza Raketenalarm überrascht. Von Sicherheitsleuten umringt und vor laufenden Kameras musste er seine Rede abbrechen und Schutz im Bunker suchen.
Palästinenser in Gaza zwangen also Israels „Mr. Security“zum Rückzug. „Ein PR-Desaster“, schrieb die Zeitung „Ha’aretz“. Das Video ist Wasser auf die Mühlen der Gegner. Netanjahu, der versprach, alles für die Sicherheit der um Gaza liegenden israelischen Ortschaften zu tun, hätte man nicht deutlicher, und noch dazu öffentlich, mit seinem Versagen konfrontieren können.
Wider den „Religionsstaat“. Den Netanjahu-Überdrüssigen verdankt Lieberman (61) die günstigen Wahlprognosen, und weltlichen Israelis, die es satthaben, den Kopf im Militärdienst hinzuhalten, während orthodoxe Juden davon befreit sind und die Bibel studieren. Lieberman verspricht, eine „Regierung der Halacha“zu verhindern, also einen Religionsstaat. „Eine Schule für Propheten wollen sie haben“, lästert er über den ernsthaften Vorschlag des frommen Bildungsministers. Er schüttelt verächtlich den Kopf und reitet eine Attacke gegen den Regierungschef. Der zahle „Millionen an die Hamas“und habe die Einführung der Todesstrafe für Terroristen verhindert. „Das ist keine rechte Politik.“
Lieberman nutzt die Bühne für seinen Kampf gegen die zwei aussichtsreichsten Kandidaten. Auch Benny Gantz, Offizier und Chef der Partei Blau-Weiß, kommt bei dem spröden und gern polternden Politiker, der 1978 aus der damaligen Sowjetrepublik Moldau einwanderte, nicht ungeschoren davon. Blau-Weiß sei ein „künstliches Gebilde“, sagt Lieberman in russisch gefärbtem Hebräisch. Gantz und seine Mitstreiter „gehen von Station zu Station und sammeln Trampisten auf“. Bald nach der Wahl werde dieses Bündnis auseinanderfallen und verschwinden. Die Wähler aber seien klug genug, „um zwischen dem Original und der Fälschung zu unterscheiden. Israel Beitenu sei das Original.“
Die Zuhörer erreicht Lieberman indes an diesem Tag nicht. Das Publikum im Konferenzsaal ist aus der gehobenen Mittelschicht, Aschkenasen meist, Nachfahren der Juden, die aus Europa und Osteuropa einwanderten. Eine spontane Umfrage unter den Gästen ergibt ein für die Bevölkerung wenig repräsentatives Bild. Fast die Hälfte deklariert sich als pro Blau-Weiß, auch die Arbeitspartei kommt gut weg.
Parteichef Gantz (60) wirbt auf dem Wahlplakat von Blau-Weiß mit dem Slogan: „Israel zuerst“. Er schaut mit seinen auffallend hellblauen Augen und den markanten Gesichtszügen ernst drein. Die Lage im Land ist ernst. Gantz will der korrupten Regierung Netanjahus ein Ende machen, Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und Demokratie retten. Er wirkt sympathisch, glaubwürdig, bleibt aber etwas grau. Dem früheren Generalstabschef und Kommandeur der Fallschirmjäger fehle der Kampfgeist, wirft ihm sogar manch Verbündeter vor.
Logische Große Koalition. Inhaltlich trennt Blau-Weiß und den Likud wenig. Das Wort „Palästinenser“steht im Wahlprogramm von Blau-Weiß nur an einer Stelle. Ziel sei die Trennung beider Völker. Im selben Satz schränkt das Programm ein, dass Israels Sicherheitsinteressen stets vorgehen müssten. Also gebe es keinen Abzug aus dem Jordantal und die Armee müsse Handlungsfreiheit im besetzten Westjordanland haben. Man könnte meinen, das habe Netanjahu hineingeschrieben.
Gantz schwebt in der Tat eine Große Koalition mit dem Likud vor. Lieberman würde sich dem gern anschließen. Es wäre endlich eine Koalition ohne religiöse Partner. Nur eine Bedingung müsste erfüllt sein: Netanjahu geht.
„An dem Tag, an dem Netanjahu keine 61 (der 120 Knesset-Mandate) zusammenbringt, ist seine Karriere vorbei. Eine dritte Wahl wird es nicht geben“, prophezeit Lieberman, und man fragt sich, woher er das nimmt: Sollten die Rechtsparteien nicht noch zulegen, um ohne Lieberman die 61 Sitze zu erreichen, kann es nur eine Große Koalition oder Neuwahlen geben. Letzte Umfragen zeigen indes ein Bild wie bei der Wahl im April: Je ein Viertel der Stimmen geht demnach an die beiden Großparteien, mit leichtem Vorsprung für Blau-Weiß. Ohne den Likud kann Gantz keine tragfähige Koalition bilden.
Zum zweiten Mal in weniger als sechs Monaten also müssen die Bürger wählen. Wer nicht ab und zu den Fernseher oder das Radio einschaltet, könnte die Wahl glatt verpassen. Die Kampagnen finden in den Medien, in der Knesset oder in Konferenzräumen statt, weniger auf der Straße, wo Müdigkeit herrscht, vor allem im linken Lager. Die einst so stolze Arbeitspartei und die linksliberale Merez ringen ums Überleben. Ein radikaler Kurswechsel ist sowieso unwahrscheinlich. Allenfalls fällt Netanjahu. Damit wäre viel erreicht.
Ein Kampf ums Überleben. Netanjahu (69), der Langzeitpremier, der 1996 bis 1999 regiert hatte und das seit 2009 wieder tut, bleibt sich bei seiner Kampagne treu. An der Seite mit US-Präsident Donald Trump zeigt ihn dasselbe Wahlplakat, das der Likud schon im April aufhängen ließ. Er hetzt gegen die arabischen Bürger und „die Linken“, zu denen er Gantz und sogar Lieberman zählt. Und er produziert Nachrichten. Seine jüngste Ankündigung, das Jordantal zu annektieren, hallte weltweit wider, bei seinem Besuch bei Russlands Präsident Putin in Sotschi begleiteten ihn viele Reporter, und passt ihm die Berichterstattung nicht, macht er selbst Videos und stellt sie ins Internet.
In einem seiner jüngsten Filme wirft er dem Wahlkampfchef von Gantz vor, das Gerücht über israelische Abhöranlagen im oder beim Weißen Hauses in die Welt gesetzt zu haben. „Totale Lüge“, sagt Netanjahu ernst in die Kamera. In einem anderen Video fordert er rechte Wähler auf, ihre Stimme nicht an die Otzma Jehudit (Jüdische Macht) zu vergeuden, eine offen rassistische Partei, die mit der Sperrklausel von 3,25 Prozent ringt und potenzieller Koalitionspartner für den Likud wäre. Fast alle Umfragen zeigten, „dass Otzma Jehudit es nicht schaffen wird“, mahnt Netanjahu. Es geht um vier für ihn entscheidende Mandate und sein politisches Überleben. Denn wird er nicht wieder Premier, drohen ihm Prozesse wegen Korruption, vermutlich Gefängnis. Schafft er es, hätten ihm die Wähler das wichtigste Argument geliefert, gesetzliche Immunität für den Premier durchzusetzen.
Jung, hübsch, faschistisch. Die „Umfragen können sich irren“, meint Ajelet Schaked, einst Justizministerin für die Siedlerpartei und jetzt einzige Parteichefin Israels. Jamina (Nach rechts) heißt ihre Liste, die gleich alle besetzten Gebiete annektieren will, mehr als 60% des Westjordanlandes. Die charismatische 43-jährige Rechtspopulistin meint, bei ihr gingen dezidiert rechte Stimmen sicher nicht verloren. Und sie nagt an Pfeilern des Rechtsstaats: Sie will etwa dem Höchstgericht die Möglichkeit nehmen, Parlamentsbeschlüsse zu kassieren. Und im Frühjahr hatte sie mit einem Video, das wie ein Werbefilm inszeniert war, irritiert: Darin besprüht sie sich aus einem Parfumflakon, auf dem der Name „Faschismus“steht, und haucht lasziv: „Faschismus. Für mich klingt es wie Demokratie.“
Netanjahu, Gantz, Lieberman: Das entscheidende Dreigestirn bei der Israel-Wahl. Wird Netanjahu nicht wieder Premier, drohen ihm Prozesse wegen Korruption.