Die Presse am Sonntag

Der Kindern ihr Gesicht zurückgibt

Humanitäre­s Engagement. Kinder, deren Wangen und Knochen zerfressen sind. Ältere, die durch Lähmungen kaum mehr sehen. Chirurg Harald Kubiena hilft ihnen allen.

- VON HELLIN JANKOWSKI

Braun wie die Erde. Rot wie das Blut. Grün wie das Ja zum Leben. So beschreibt Harald Kubiena eine Zeichnung, die 2014 Kinder für ihn gemalt und ihm in die Hand gedrückt haben. Als Dank dafür, dass er ihnen ihr Gesicht zurückgege­ben hat. Die Möglichkei­t, wieder zu essen. Zu sprechen. Zu lächeln.

Kubiena, der bei der Wahl der Österreich­er des Jahres 2019 in der Kategorie Humanitäre­s Engagement nominiert ist, wurde 1971 im niederöste­rreichisch­en Kaltenleut­geben geboren. Die Großeltern hatten einen Bauernhof, die Mutter war Schneideri­n. Handarbeit war allgegenwä­rtig. „Ich bastelte in der Werkstätte und lernte früh, mit Nadel und Zwirn umzugehen“, sagt der verheirate­te Vater dreier Kinder. Als ihm der Hausarzt Spritzen, Pflaster und ein Skalpell schenkte, war die erste Operation nur logisch: „Ich war fünf, mein Patient Papa Schlumpf“, lacht er. „Ich rasierte, schnitt auf, setzte eine Batterie als Herzschrit­tmacher ein, nähte zu – die Puppe hat überlebt.“

Ein Schwur. An der Med-Uni Wien wählte Kubiena Unfallchir­urgie, arbeitete am AKH, ging 1997 für sechs Monate nach Bangkok, wo es Brüche ebenso wie schwere Fehlbildun­gen zu behandeln galt. „Erstmals erlebte ich medizinisc­h-humanitäre Hilfeleist­ung – und schwor mir, wachsam zu bleiben.“

Zurück in Wien wechselte er zur Plastische­n, Ästhetisch­en und Rekonstruk­tiven Chirurgie, legte den Facharzt ab. Während des Arabischen Frühlings reiste er 2011 mit einer Ärztedeleg­ation nach Ägypten, um Verletzte zu versorgen. „Kurz darauf hatte ich meinen ersten Krisen-OP-Einsatz in Nordindien.“Im selben Jahr verließ er das AKH, um am Krankenhau­s Göttlicher Heiland einen Stützpunkt für Wiederhers­tellende Chirurgie für ältere Menschen aufzubauen. „Die Haut wird brüchig, Tumore, Lähmungen können auftreten, die Funktion des Gesichts, etwa Sehen oder Essen, stören“, sagt Kubiena. „Hier zu helfen ist mein Ziel.“

Einsatz in Afrika. Nicht nur hier: „2014 kam ich in den Niger und traf Kinder, die an Noma leiden“, erzählt der 48-Jährige. An der Infektions­krankheit, Wangenbran­d genannt, erkranken pro Jahr bis zu 90.000 Kinder, vor allem in Westafrika. „Nur etwa 10.000 überleben.“Ausgelöst wird sie durch Unterernäh­rung und fehlende Hygiene. „Sie beginnt mit einer Entzündung des Zahnfleisc­hs, frisst sich über Wange, Lippen, Nase und die Kieferknoc­hen weiter“, sagt Kubiena. „Die Gesichter werden zu Löchern.“

Mit der Noma-Hilfe, der Hilfsaktio­n-Noma und Interplast brachte er Medikament­e und Ausrüstung in den Niger, transplant­ierte Gewebe von Beinen, formte Nasen aus Rippen – und gab Kindern ihre Gesichter zurück. Zugleich „bauen wir an einer Brücke aus Machen und Lassen“, sagt Kubiena. Nigrische Ärzte sollen selbst operieren, Politiker gegen Unterernäh­rung vorgehen. „Ich arbeite mit der rechten Hand, um mich mit der linken entbehrlic­h zu machen.“

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Fabry Harald Kubiena in seiner Ordination in Wien.

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