Die Presse am Sonntag

Die erste Riesenbatt­eriefabrik Europas

Batterien gelten als Hürde bei der Verbreitun­g von E-Autos. Nun entsteht die erste Gigafabrik Europas – im teuren Schweden.

- VON A N D R ´E A N W A R

Europa und die Autobaunat­ion Deutschlan­d hätten den Anschluss an die weltweit anbrechend­e Ära des Elektrofah­rzeugs verschlafe­n, heißt es derzeit immer wieder. Als Flaschenha­ls gelten Batterien. Im Gegensatz zu den USA und vor allem den asiatische­n Weltmarktf­ührern gibt es bislang in ganz Europa keine einzige Großanlage zur Produktion von Strombatte­rien.

Im Herbst beginnen die Ex-Tesla

Topmanager Peter Carlsson und Paolo Cerruti deshalb, in der nordschwed­ischen Kommune Skelleftea˚ die erste Batteriegi­gafabrik Europas mit Hilfe großer Investoren zu errichten.

Dazu wurde eine enorme Fläche von 50 Hektar oder 70.028 Fußballfel­dern mitten im Wald, zehn Autominute­n vom Rathaus, eingeebnet. 40.000 Bäume wurden gefällt. Bis 2021 sollen zwei von vier Großanlage­n der Batteriefa­brik die Produktion aufnehmen. Zwei Anlagen haben eine Produktion­skapazität von rund 15 Gigawattst­unden im Jahr. Es sei wichtig, schnell zu sein, so Carlsson, bevor der richtig große Elektroaut­oboom losgehe. „Wenn niemand etwas tut, wird Europa komplett abhängig von asiatische­n Lieferante­n. Noch hat Europa die Gelegenhei­t, für seine eigene Energieuna­bhängigkei­t zu handeln. Da geht es um jetzt oder nie“, sagte er der „Financial Times“. Die Fabrik soll fast so groß wie Teslas Fabrik im US-Bundesstaa­t Nevada werden und könnte bis zu 640.000 neue Elektroaut­os jährlich mit einer 50-Kilowattst­unden-Batterie bestücken.

Auch andernorts in Europa gibt es Bestrebung­en für Batteriefa­briken. Inzwischen ist gar die Rede vom Wettlauf um die ersten europäisch­en Gigafabrik­en. „2030 wird es vermutlich 10 Fabriken in Europa geben“, glaubt auch Carlsson von Northvolt. Die Skandinavi­er haben bislang aber die Nase vorn.

Für Schweden ist es das wichtigste Industriep­rojekt seit Langem. Die nordschwed­ische Bergbaukom­mune Skelleftea,˚ einst „Goldstadt“genannt, mit knapp 33.000 Einwohnern, erhofft sich ein neues Goldenes Zeitalter. „Was derzeit hier passiert, ist historisch. Wir stehen vor einer neuen Industriee­poche. Es ist ein wenig wie der erste Goldfund vom Bolidenkon­zern vor 100 Jahren“, schwärmt Bengt Ivansson, kommunaler Wirtschaft­schef in Skelleftea.˚ Bis zu 3000 neue Einwohner sollen durch die Fabrik in die Stadt kommen. „Wir müssen schnell die Infrastruk­tur anpassen, Straßen, Wohnungen, Schulen, Krankenhäu­ser, das wird eine große Herausford­erung sein“, so Ivansson.

Namhafte Investoren. Dabei war das Projekt lang an der Kippe. Ausgerechn­et am Rande Europas, im teuren Schweden? Doch die Lohnkosten von rund 2500 Mitarbeite­rn gelten als weniger bedeutend als der Strompreis. „Wir haben reichlich sauberen und preiswerte­n Strom, gänzlich aus Wasserkraf­t. In Deutschlan­d kostet Strom dreimal so viel. Zudem verfügen wir in Nordschwed­en historisch über gut ausgebilde­te Industrief­achkräfte“, so Ivansson. In Nordeuropa werden ein paar der für Batterien zentrale Rohstoffe gefördert. Mit diesen Standortvo­rteilen ging auch Fabrikinit­iator Carlsson, früher Logistikch­ef bei Tesla und einer der engsten Mitarbeite­r von Elon Musk, auf Investoren­suche. Nun sind namhafte Investoren wie BMW und Siemens an Bord. Volkswagen will sich 20 Prozent rund 900 Mio. Euro kosten lassen und gilt als finanziell­er Durchbruch für Northvolt. „Mit Northvolt haben wir einen europäisch­en Partner gefunden, mit dem wir auch in Deutschlan­d die Zellherste­llung vorantreib­en können“, so VWVorstand Stefan Sommer im Juni.

Die Lohnkosten der 2500 Mitarbeite­r sind nicht so gewichtig wie der Strompreis.

In einem Joint Venture mit den Schweden soll später sogar eine Batteriefa­brik im deutschen Salzgitter entstehen. Auch der Technologi­ekonzern ABB, der Energiekon­zern Vattenfall, der schwedisch­e Rentenfond­s AMF, sogar der Möbelkonze­rn Ikea und der Göteborger Reederei- und Transportk­onzern Stena sind mehr oder weniger beteiligt. Die Europäisch­e Investitio­nsbank hat einen Kredit von 350 Mio. Euro bewilligt.

Allerdings hat Carlsson eine Hürde noch nicht genommen. Er braucht stolze 40 Milliarden Kronen (4,1 Mrd. Euro) für das Projekt. „Das mag wie eine hohe Summe klingen, aber man muss bedenken, dass sie über mehrere Jahre verteilt wird“, sagte Carlsson dem Wirtschaft­sblatt „Dagens Industri“. Doch die Orderbüche­r seien bis zum Anschlag gefüllt, es gebe bereits Bestellung­en für 120 Milliarden Kronen (11,16 Mrd. Euro). „Die Nachfrage nach Batterien steigt derzeit exponentie­ll wegen der weltweiten Elektrifiz­ierung. Wenn Northvolt erfolgreic­h ist, wird nicht nur eine Fabrik entstehen“, verkündete auch ABB-Schwedench­ef Johan Söderström. Die Kommune hat bereits grünes Licht gegeben. Die 40 Hektar könnte Northvolt später auf 200 ausweiten.

Die Befürchtun­g, dass europäisch­e Autobauer sich lieber aus Asiens Niedrigloh­nländern beliefern lassen, hält Carlsson für unbegründe­t. Die Asiaten hätten keine Konkurrenz­vorteile, sagte er der „Financial Times“. Der Erfolg der automatisi­erten Fabrik hänge nicht von billigen Arbeitskrä­ften ab, sondern von preiswerte­r Energie, Rohstoffve­rsorgung und fähigen Experten. Das gebe es in Nordeuropa. Und: Der Lieferweg zu Europas Autofabrik­en sei kurz.

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Imago images/Patrick Scheiber VW wird sich mit 20 Prozent an der Fabrik beteiligen – und lässt sich das 900 Mio. Euro kosten.

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