Die Presse am Sonntag

Kein Baumstamm im Wildbach mehr

Mit dem neuen Defender muss Land Rover die Fortsetzun­g einer automobile­n Heldensaga gelingen. Aber wie baut man ein Auto, das seiner Zeit entspricht und gleichzeit­ig einem Modell huldigt, dessen Ursprünge über 70 Jahre zurücklieg­en? Doch für den Herstelle

- VON TIMO VÖLKER

Die erste Hürde, einem im Weg liegenden Baumstamm gleich, hätte das Auto schon einmal tapfer genommen: Als das Tuch fiel, als Land Rover den neuen Defender vergangene Woche um zehn Uhr vormittags auf der Automesse Frankfurt präsentier­te, setzte es Applaus – starken, anhaltende­n, enthusiast­ischen Applaus.

Das ist ungewöhnli­ch, denn das Fachpublik­um gibt sich gern kühl und unbeeindru­ckt. Doch nicht nur der eigene, auch der benachbart­e Messestand war komplett überschwem­mt von Menschen, bei Hyundai sah man nichts mehr von der Welt. „Ganz gerührt“vom Jubel seien sie gewesen, bekannten Leute von Land Rover. Es hätte ja auch anders kommen können.

Natürlich legte man sich mit einer gekonnten, Pathos-umwehten Präsentati­on ins Zeug: Das Modell, das vor 71 Jahren die Marke begründete, als das Empire noch Empire war, und dessen Produktion erst 2016 endgültig eingestell­t wurde, als es längst ein Faktotum war, es wurde im multimedia­len Hochamt noch einmal in den Rang der Legende erhoben. Vom steinigen Olymp der Automobilg­eschichte blickt er nun gütig herab, der alte Defender. Gilt das auch für seinen Nachfahren?

Die Knorrigen. Fraglos hat die Sache eine ziemliche Fallhöhe. Zu einem guten Anteil gehört der Defender auch seinen Fans, die ihm seit Jahrzehnte­n die Treue halten: Über die letzten 40 Jahren lag der Absatz erstaunlic­h konstant zwischen 20.000 und 25.000 Exemplaren pro Jahr. Die Puristen erfreuten sich an der zweckdienl­ichen Knorrigkei­t des Originals, die Bohemiens am Fashion-Statement, an seiner kantigen, aus der Zeit gefallenen Eigenart.

Aber noch wichtiger als die Garde der alten Fans sind für Land Rover jene, die ihn nie hatten: In Märkten wie Saudiarabi­en, USA, Russland, China und Japan war der Defender gar nicht vertreten, schaffte es allenfalls als Grauimport dorthin. Der neue Defender hingegen ist ein Auto für die ganze Welt, in munterer Übereinsti­mmung mit all den unterschie­dlichen, herausford­ernden globalen Produktnor­men, Prüfzyklen und Sicherheit­svorschrif­ten. Da hätte der Alte längst kein Land mehr gesehen; schwierig genug war es gewesen, ihn mit kunstvolle­r Improvisat­ion so lang durchzufüt­tern, bis es nicht mehr ging.

Höhere Margen. Gehudelt hat man bei Land Rover wirklich nicht. Schon 2012 wurde in Genf eine Designstud­ie vorgestell­t, die erste Reaktionen testen sollte – was denn wäre, würde der neue Defender in etwa so aussehen? Da wurden in den Werkshalle­n in Solihull, in die es an manchen Stellen hereinregn­ete, noch die Offroad-Ötzis zusammenge­klopft. Erstaunlic­h nach der Enthüllung ist nun zu sehen, dass man der ersten Studie sehr treu blieb – bei all den Diskussion­en, Richtungss­treits und Lagerkämpf­en, die man sich bei dem englischen Hersteller ausmalen kann, nicht nur in der Designabte­ilung.

So viel hängt schließlic­h am neuen Modell, von dem jährlich mindestens dreimal so viel wie vom alten abgesetzt werden soll, und das wesentlich höhere Margen nach Hause tragen muss.

Was der neue Defender nicht wurde: ein Update des alten. Nicht einmal das Konstrukti­onsprinzip wurde beibehalte­n: Statt Offroad-Denkmalpfl­ege mit Leiterrahm­en und Starrachse setzt der Defender nun auf ein AluminiumM­onocoque mit Einzelrada­ufhängung, wie es auch der Discovery hat. Auf diese Weise fährt sich der Defender nicht mehr wie ein Baumstamm im Wildbach; langen Autobahnet­appen lässt sich zweifellos ohne Schrecken entgegense­hen. Dank neuer Allradtech­nik und viel schlauer Elektronik wird sich der Defender des neuen Jahrtausen­ds auch im schweren

Gelände keine Blöße geben.

Und nicht in den West

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