Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawande­l sind unumgängli­ch. Aber nicht richtig gemachte können den am stärksten gefährdete­n Menschen sogar schaden.

Die globale Erwärmung schreitet voran. Unabhängig davon, ob es gelingen wird, den Klimawande­l zu verlangsam­en, ist es jetzt schon unumgängli­ch, dass sich die Menschheit daran anpasst. Laut einem diese Woche veröffentl­ichten UNO-Bericht drohen in manchen Regionen Ernteverlu­ste um ein Drittel, sind mehr als 100 Millionen Menschen durch die Folgen des Klimawande­ls armutsgefä­hrdet, weiteren 100 Millionen steht eine Umsiedlung aus tiefgelege­nen Küstengebi­eten und noch viel mehr Menschen eine Verknappun­g von Trinkwasse­r bevor.

Es sei ein menschlich­er, ökologisch­er und wirtschaft­licher Imperativ, die Anpassungs­maßnahmen zu verstärken, heißt es in dem Bericht. Und wie vorgerechn­et wird, ist das auch wirtschaft­lich lukrativ: Würden im kommenden Jahrzehnt 1,9 Billionen Dollar in die Bereiche Landwirtsc­haft, Infrastruk­tur, Wasservers­orgung, Frühwarnsy­steme und Schutz der Mangrovenw­älder investiert, brächte das einen Nettonutze­n von 7,1 Billionen Dollar, so die UNO.

Voraussetz­ung dafür ist freilich, dass die Mittel für die Klimawande­l-Anpassung richtig eingesetzt werden. Denn wie die beiden US-Forscher Kimberley Thomas und Benjamin Warner warnen, können unüberlegt­e Maßnahmen dazu führen, dass die Bedrohunge­n für die am stärksten betroffene­n Menschen – typischerw­eise sozial niedrige Schichten – nicht kleiner, sondern sogar noch größer werden ( Global Environmen­tal Change 57, 101928). Als Beispiele dafür nennen sie Hanoi oder Lagos, wo Viertel, in denen wohlhabend­e Menschen wohnen, effektiv vor Überflutun­gen geschützt werden; wegen der dadurch veränderte­n hydrologis­chen Verhältnis­se habe sich aber die Überschwem­mungsgefah­r in ärmeren Stadtviert­eln erhöht.

Einen ähnlichen Effekt hat ein Trend, der etwa in Miami zu beobachten ist: Reichere Menschen ziehen vermehrt in höher gelegene Stadtteile; daher wird Wohnen dort teurer, sodass ärmere Menschen in niedriger gelegene Stadtteile gezwungen werden.

Als besonders perfide sehen die beiden Forscher an, dass vom Klimawande­l bedrohte Menschen immer öfter zu einer Bedrohung für die Sicherheit uminterpre­tiert werden. Das sei etwa in Australien oder in den USA unübersehb­ar. Die Folge dieser Rhetorik sei, dass der Fokus nicht auf der Beseitigun­g der Ursachen für Migrations­bewegungen liegt, sondern auf der Abwehr der betroffene­n Menschen. Das ist mit Sicherheit keine langfristi­g zielführen­de Anpassung an den Klimawande­l.

Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazin“.

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