Das tragische Ende eines Partylöwen
Vor 25 Jahren, am 17. September 1994, verstarb Tennisspieler Vitas Gerulaitis an den Folgen einer Kohlenmonoxidvergiftung. Erinnerungen an einen Profi, der mit Sprüchen, Affären und Clubtouren an der Seite von Mick Jagger glänzte.
Sage und schreibe 16 Mal in Folge hatte Vitas Gerulaitis gegen Jimmy Connors verloren, ehe er ihn Anfang 1980 im MastersHalbfinale im New Yorker Madison Square Garden endlich in zwei Sätzen bezwingen konnte. Auf der anschließenden Pressekonferenz wollte ein Journalist von ihm wissen, warum er denn ausgerechnet heute gewonnen habe. Ohne eine Miene zu verziehen, gab er zur Antwort: „Lasst euch das eine Lehre sein: Niemand schlägt Vitas Gerulaitis 17 Mal hintereinander!“
Für solch einen Spruch war der am 26. Juli 1954 in Brooklyn, New York, als Sohn litauischer Einwanderer geborene Gerulaitis immer gut. Das Tennisspielen wurde ihm förmlich in die Wiege gelegt – sein Vater war Tennislehrer und ehemaliger litauischer Meister. Ab dem 13. Lebensjahr besuchte der überaus talentierte Vitas die Port Washington Tennis Academy auf Long Island, wo er später unter dem legendären australischen Davis-Cup-Kapitän Harry Hopman trainierte. Nachdem er 1971 die High School in Queens abgeschlossen und anschließend ein Jahr die Columbia University in New York besucht hatte, beschloss er, Tennisprofi zu werden.
Blonde Mähne, harte Schläge. Das Spiel des „litauischen Löwen“, wie Gerulaitis wegen seiner langen blonden Lockenmähne genannt wurde, basierte vor allem auf Geschwindigkeit und Angriffslust. Sein Freund und langjähriger Trainingspartner, der fünfmalige Wimbledonsieger Björn Borg, beschrieb diese Spielweise voller Bewunderung so: „Seine Beweglichkeit und sein Tempo auf dem Platz waren seine größten Stärken. Er besaß ein hervorragendes Auge für das Spiel und war einer der besten Volleyspieler, egal ob mit der Vorhand oder der Rückhand. Und er spielte immer aggressiv.“Doch Gerulaitis hatte auch eine Schwäche: An manchen Tagen war sein zweiter Aufschlag so furchterregend wie ein Marshmallow.
Dieses Manko konnte ihn freilich nicht daran hindern, im Jahr 1977 die Australian Open zu gewinnen. Ein weiterer Einzeltitel bei einem GrandSlam-Turnier sollte ihm allerdings verwehrt bleiben, denn sowohl 1979 bei den US Open (gegen John McEnroe) als auch 1980 bei den French Open (gegen Björn Borg) verlor er das Finale jeweils glatt in drei Sätzen. Dennoch zählte Vitas Gerulaitis unbestritten zur absoluten Weltklasse: In den Jahren 1977 bis 1983 war er ununterbrochen unter den besten zehn Spielern der Tennisweltrangliste – seine höchste Platzierung war der dritte Rang im Februar 1978. Darüber hinaus erreichte er zweimal das Halbfinale von Wimbledon (1977, 1978).
Ein Frauenschwarm. Dass es der 1,83 Meter große Rechtshänder nicht ganz bis an die Spitze schaffte, mag zum einen daran gelegen haben, dass er das Pech hatte, in einem „goldenen Zeitalter“zu spielen, das von drei absoluten Heroen dominiert wurde: Borg, Connors und McEnroe. Zusammen brachten sie es auf insgesamt 26 GrandSlam-Einzeltitel.
Zum anderen gab sich Gerulaitis gern den süßen Seiten des Lebens hin und galt als eine der schillerndsten Persönlichkeiten im Tenniszirkus. Der gut aussehende und meist sehr spendable Frauenschwarm spielte Gitarre in einer Underground-Rockband, war mit Andy Warhol und Mick Jagger befreundet und machte in den New Yorker Bars und Clubs die Nacht zum Tag. Wenn sich der Partylöwe dann im Morgengrauen in seinem Rolls-Royce oder Lamborghini auf den Heimweg begab, saß er nur selten allein im Wagen. Aber auch Alkohol und Kokain waren seine Wegbegleiter – bei einem Turnier in der Wiener Stadthalle soll er laut Aussage seines österreichischen Kontrahenten Peter Feigl so zugedröhnt gewesen sein, dass er nicht mehr wusste, wo er sich überhaupt befand.
Gleichzeitig zeichnete sich der vergnügungssüchtige Lebemann durch einen ausgeprägten Sinn für Humor aus. In Huntsville, Alabama, hielt ein Autogrammjäger Gerulaitis für Borg, obwohl dieser direkt danebenstand. Gerulaitis unterschrieb mit Borgs Namen und erklärte später augenzwinkernd: „Gib ihnen immer etwas, das sie glücklich macht.“Und als seine Kurzzeit-Verlobte Janet Jones – die spätere Ehefrau von Kanadas Eishockey-Legende Wayne Gretzky – bei einem gemeinsamen Abendessen mit Freunden zum Besten gab, sie würde mit 40 gern Mutter von vier Kindern sein, erwiderte er schlagfertig, er wolle mit 40 gern sechs Ehefrauen haben.
1986 beendete Gerulaitis nach 25 Einzeltiteln auf der Profitour seine Karriere. In den folgenden Jahren arbeitete er als Kommentator und Experte bei verschiedenen US-amerikanischen Fernsehsendern. Anfang 1993 kehrte er in den Tennissport zurück und schloss sich der neu gegründeten Seniors Tour für ehemalige Profitennisspieler an.
Im Rahmen der Tour spielte Gerulaitis im September 1994 zusammen mit Jimmy Connors ein denkwürdiges Doppel gegen Björn Borg und den Briten John Lloyd. Bei diesem Match in der Seattle Center Arena glückten dem „litauischen Löwen“jeder Schlag und jeder Gag. Es war eine Riesenshow, die er den 3000 begeisterten Zuschauern bot.
Fehlfunktion der Klimaanlage. Nur drei Tage später, am 17. September 1994, hielt Vitas Gerulaitis im Gästehaus eines Freundes auf Long Island einen Mittagsschlaf, aus dem er nicht mehr erwachte. Der 40-Jährige starb an einer Kohlenmonoxidvergiftung, ausgelöst durch eine Fehlfunktion der Klimaanlage. Die gesamte Sportwelt stand unter Schock. Gerulaitis wurde auf dem Saint Charles Cemetery in New York beigesetzt. Seine großen Rivalen und Freunde, Borg, Connors und McEnroe, befanden sich unter den Sargträgern. Vor 500 Trauergästen beendete Connors seine Grabrede mit den Worten: „Er war mein Freund. Ich mochte ihn sehr und werde ihn vermissen.“Dann begann er zu weinen.
Und obwohl Vitas Gerulaitis die Heimat seiner Eltern niemals besucht hat, tragen heute in der litauischen Hauptstadt Wilna ein Tennisstadion und eine Straße seinen Namen.
Gerulaitis folgte seinem Credo: »Gib den Fans immer etwas, das sie glücklich macht.«