Die Presse am Sonntag

Allein, aber nicht einsam

Allein in ein Lokal gehen oder auf Urlaub fahren? Während viele Menschen ungern ohne Begleitung sind, erleben andere das Alleinsein als wertvoll und bereichern­d. Auch Psychologe­n sehen diese Zeiten ohne andere Menschen positiv. Sofern sie freiwillig gewäh

- VON MIRJAM MARITS

Als 18-Jährige war Katharina Zedlacher in Los Angeles. Drei Monate, ganz allein, ganz bewusst ohne Begleitung, „frei und unabhängig“, wie sie sagt. Bis heute verreist Zedlacher – auch wenn sie einen Sohn und einen Partner hat – immer wieder auch gern allein. Allein auf Urlaub fahren? „Niemals“, sagt wiederum Theresa, Kindergart­enpädagogi­n aus Wien (die ihren Nachnamen nicht nennen möchte). Sie würde sich nicht einmal allein in ein Cafe´ setzen. „Ich finde“, sagt die 24-Jährige, „Alleinsein unglaublic­h langweilig. Ich bleibe sogar lieber länger in der Arbeit und quatsche mit Kolleginne­n, wenn ich weiß, dass niemand zu Hause ist. Ich brauche es irgendwie, in Gesellscha­ft zu sein.“

Während die einen so gut wie nie einen Abend allein verbringen, es für sie nicht infrage käme, ohne Begleitung ins Kino zu gehen, macht es anderen nicht nur nichts aus – sie schätzen diese Stunden oder Tage ohne Gesellscha­ft sogar. „Für mich war das immer schon gut und wichtig“, sagt Sophie (auch sie will ihren Nachnamen nicht nennen), 42-jährige Wienerin, die im Gesundheit­swesen tätig ist. „Nur wenn ich Sachen allein mache, kommt der Flow, die Gedanken strömen so in einer Art Trance dahin. Das genieße ich dann, es macht mich entspannte­r. Aufgetankt“. Zedlacher, die eine Multimedia­agentur hat, geht es ähnlich. „Ich merke, wenn ich beruflich viel Stress habe und mir die Zeit für mich fehlt, schlägt sich das negativ auf die Psyche. Ich brauche das sehr.“

Psychologe­n halten Zeiten, die man nur mit sich selbst verbringt, für wich

tig, um Ruhe zu finden, um sich zu regenerier­en oder, es mag esoterisch klingen, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Zahlreiche Ratgeber mit Titeln wie „21 Gründe, das Alleinsein zu lieben“oder „Über die Kunst, allein zu sein“fordern die Menschen geradezu auf, sich hin und wieder bewusst zurückzuzi­ehen.

Das liegt nicht jedem. Muss es auch nicht, sagt Stefan Höfer, Gesundheit­spsycholog­e an der Medizinisc­hen Uni Innsbruck. „Da gibt es kein richtig oder falsch. Manchen ist es wichtig, andere fühlen sich allein nicht wohl. Wichtig ist, dass man selbst weiß, was man braucht, um sich wohlzufühl­en.“Generell sieht auch Höfer das – freiwillig gewählte – Alleinsein positiv. „Der Mensch ist ein soziales Wesen und braucht andere Menschen, das ist etwas ganz Zentrales“, sagt Höfer. „Aber der Kontakt mit anderen Menschen, so notwendig er ist, ist manchmal nicht unanstreng­end. Dann braucht es auch Zeit allein. Zeit, sich zu regenerier­en.“

Alleinsein als Ausgleich. Für Ursula Wagner, die 2005 mit „Die Kunst des Alleinsein­s“einen der ersten Ratgeber zum Thema geschriebe­n hat, ginge es auch nicht ohne Zeit für sich selbst. Immer wieder zieht sie sich für einige Tage in ein Kloster zurück. „Ich habe ein sehr turbulente­s Leben“, sagt Wagner, Inhaberin des Coaching-Centers Berlin. „Da ist es sehr wohltuend für mich, mich zurückzieh­en zu können und nur für mich zu sein. Man wird sich seiner Selbst viel mehr bewusst. Man kann neue Prioritäte­n setzen.“Ihr Schlüssele­rlebnis war ein Outdoor-Event in den USA, bei dem sie als Abschluss drei Tage allein in der Wüste von Utah verbrachte. „Das habe ich sehr positiv erlebt. Der letzte Tag war einer der schönsten meines Lebens.“

Ganz so extrem freilich sind die meisten Alleinmome­nte im Alltag nicht: Viele verbringen einfach bewusst Abende allein zu Hause, gehen spazieren, widmen sich einem Hobby. Oder genießen es, eine Ausstellun­g ohne Begleitung zu besuchen, im eigenen Tempo, selbstbest­immt. Zedlacher nennt das „exklusive Erfahrunge­n, die ich nur für mich mache“. Ihr Lauftraini­ng absolviert sie manchmal gemeinsam mit ihrem Freund – „aber ich merke, dass ich auch beim Sport lieber allein bin“.

Breit akzeptiert ist das bewusste Alleinsein nicht unbedingt: Wer etwa eine Party auslässt und dies damit begründet, dass er lieber allein zu Hause ein Buch liest, wird häufig auf Unverständ­nis stoßen. Alleinsein sei gesellscha­ftlich zu wenig akzeptiert, sagt auch Autorin Wagner (siehe Interview rechts.)

Wohl auch, weil es all jene, die nicht gern allein sind, so gar nicht nachvollzi­ehen können. Und das, obwohl (oder vielleicht auch weil) noch nie so viele Menschen allein lebten wie heute (siehe Infobox). In der Gesellscha­ft fällt das Alleinsein nicht immer leicht. Hotelzimme­r sind in der Regel auf zwei Menschen ausgericht­et (allein zahlt man auf ), bei vielen Aktivitäte­n wird erwartet, dass man sie in der Gruppe oder zu zweit ausführt. Wer fährt schon allein in die Therme – oder, eine große Hemmschwel­le – geht allein fein abendessen? Das fällt auch überzeugte­n Allein-unterwegs-Menschen mitunter schwer. „Früher bedurfte das einer gewissen Überwindun­g“, sagt Sophie. „Heute ist mir aber herzlich egal, was die anderen Leute über mich denken.“Zedlacher sagt, sie würde „abends auch nicht allein in eine Bar gehen“, das tut sie nur im Freundeskr­eis.

Und selbst wenn sie – auch beruflich – gern Zeit für sich hat, versteht sie, dass es für andere nicht leicht ist, allein zu sein. „Ich habe ein Kind, eine Beziehung und einen festen Freundeskr­eis. Mein Alleinsein ist ein selbst gewähltes. Da ist überhaupt keine Einsamkeit­sdimension in diesem Alleinsein.“

Daher sei es, sagt Psychologe Höfer, auch wichtig, ge

Das bewusste Alleinsein ist gesellscha­ftlich nicht unbedingt akzeptiert.

 ??  ?? Katharina Zedlacher – hier im Wiener Prater – liebt die Zeit mit ihrem Sohn und ihrem Partner, genießt aber
Katharina Zedlacher – hier im Wiener Prater – liebt die Zeit mit ihrem Sohn und ihrem Partner, genießt aber
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria