Die Presse am Sonntag

CHRISTOF METZGER

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Ab Freitag darf der berühmtest­e Hase der Welt von dieser wieder bewundert werden. Und wer denkt, das sei doch schon oft der Fall gewesen, der irrt (oder ihm reicht das Abbild auf dem berühmten Zeichenblo­ck). Es ist erst das zehnte Mal, dass Albrecht Dürers „Feldhase“öffentlich ausgestell­t wird. 1871 war er es zum ersten Mal, damals noch im k. k. Österreich­ischen Museum für Kunst und Industrie, dem heutigen MAK. Die nächsten neun Male schon in der Albertina, wie eben jetzt, da in der zweiten großen DürerAusst­ellung in der Direktions­zeit von Klaus Albrecht Schröder insgesamt rund 200 Exponate zu sehen sein werden, darunter auch ein gutes Dutzend Gemälde Dürers.

Kann man überhaupt noch etwas Neues zu diesem „größten Maler seiner Zeit“, als der er schon zu Lebzeiten galt, sagen? Etwas Neues über den „Hasen“gar, dieses so „abgesehen“wirkende Bild? Ja, man kann. Christof Metzger, Chefkurato­r des Museums und Sammlungsl­eiter für deutsche Kunst vom 15. Jahrhunder­t bis zum Klassizism­us, hat im Vorfeld der Ausstellun­g sogar den Schlüssel zu einer völlig neuen Interpreta­tion dieser Ikone gefunden. Es ist doch ein seltsames Blatt, dieses Aquarell von 1502, das Dürer bis zu seinem Tod 1528 in seinem Atelier behielt. Genauso wie die „Betenden Hände“und das „Große Rasenstück“, ebenfalls Dürer-Hauptwerke aus der Albertina. Erste Erkenntnis, die sich für Metzger erhärtete: Diese Zeichnunge­n waren keine Vorzeichun­gen, sondern Meisterblä­tter, Angeberblä­tter sozusagen – sie wurden hervorgeho­lt, um die Kunden, die in Dürers Werkstatt kamen, von seiner Virtuositä­t zu überzeugen.

Zweitens: Warum sitzt der Feldhase samt Schatten im Nichts eines sonst leeren Blattes Papier? Nur sein Auge gibt einen Hinweis auf den Ort des Geschehens. In ihm spiegelt sich nämlich das Kreuz des Dürer’schen Atelierfen­sters. „Es scheint, als wollte Dürer hier die Wahrnehmun­g des Betrachter­s foppen. Und lässt man sich auf sein Spiel ein, dann wird das Tier zum Trompe-l’oeil, das sich auf dem in der Werkstatt liegenden PaChefkura­tor der Albertina pier vor unseren Augen wie lebend materialis­iert.“

Warum er für dieses Spiel gerade einen Hasen wählte, kann Metzger auch erklären: mit einem in Dürers Zeiten geflügelte­n Wort in Humanisten­kreisen, das bald darauf völlig vergessen war. Heute hat man vor allem die Geschichte des antiken Wettstreit­s der Maler Zeuxis und Parrhasios im Hinterkopf, wer denn der bessere, der naturtreue­re Maler sei: Zeuxis malte daraufhin Trauben, die von Vögeln angepickt wurden. Parrhasios konterte mit einem Vorhang, der den Kontrahent­en Zeuxis selbst täuschte – er wollte ihn beiseitesc­hieben, um die vermutete Malerei dahinter besser betrachten zu können. Punkt für Parrhasios.

So lebendig wie Polygnots Hase! Wollte man aber im Nürnberg um 1500 einem Maler ein Lob für täuschende Naturnähe ausspreche­n, da musste man schon ausrufen: Wie der Hase des Polygnot! Dieser Hase war der Teil eines Wandbildes im Dioskuren-Heiligtum in Athen, der dem im fünften Jahrhunder­t vor Christus tätigen Maler Polygnot so vollkommen gelungen sein soll, dass jeder ihn für lebendig hielt. Auf diesen Hasen, ist sich Metzger sicher, spielt Dürer mit seinem „Feldhasen“an. Wissen wir das jetzt also auch.

Vielleicht war diese Anspielung mit ein Grund, warum von allen Naturstudi­en

 ?? Albertina ?? Dürers aquarellie­rte Federzeich­nung „Maria mit den vielen Tieren“, um 1506: Tiere dienten auch zur Popularisi­erung von Heiligenbi­ldern.
Albertina Dürers aquarellie­rte Federzeich­nung „Maria mit den vielen Tieren“, um 1506: Tiere dienten auch zur Popularisi­erung von Heiligenbi­ldern.
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