Kunstherbst am Bosporus
Contemporary Istanbul. Nach dem Putschversuch 2016 brach der Kunstmarkt in der Türkei ein. Jetzt zeigen die türkischen Sammler wieder Interesse.
Es ist gerade mal acht Jahre her, dass Istanbul als Hoffnungsmarkt für Kunst entdeckt wurde. Immer mehr türkische Sammler begannen international zu kaufen. Fünf Jahre später brach der Markt ein. Nach dem Putschversuch 2016 musste die Kunstmesse Art International Istanbul aufgeben, die Contemporary Istanbul (CI) schrumpfte empfindlich. Seit Ekrem ˙Imamoglus˘ Wahl zum Bürgermeister Istanbuls im Juni ist die Lage in der türkischen Metropole wieder stabil – und das macht sich sofort am Kunstmarkt bemerkbar.
Wiener Gemeinschaftsstand. Heuer findet die 14. CI statt. 73 Galerien aus 23 Ländern stellen im Kongresszentrum aus, darunter erstmals auch Wiener Galerien. Prominent gleich beim Eingang präsentieren sie auf einem Gemeinschaftsstand eine kleine Auswahl ihres Programms: Karl Karner bei Lisa Kandlhofer, Andreas Fogarasi bei Georg Kargl Fine Arts und Sudarshan Shetty bei Krinzinger. „Die türkischen Sammler kaufen wieder“, erklärt Ursula Krinzinger ihre Entscheidung zur Teilnahme. Die Vasen aus Keramik und Glas des indischen Bildhauers zogen immer wieder Interessierte an. Fogarasis Wandobjekte mussten sogar mit einer Sperrkordel vor den Besuchern geschützt werden. Denn die CI gleicht am Tag der Eröffnung einem Volksfest. Über 80.000 Besucher kommen zu der Messe. Sogar der beliebte Bürgermeister ˙Imamoglu˘ gönnte sich am ersten Publikumstag einen schnellen Rundgang.
Trotz einiger internationaler Galerien ist es vor allem eine nationale Messe. Für unsere auf die Reduktion der Moderne trainierten Augen kann das irritierend sein. An vielen Ständen gibt es schrille, bunte, gerne glitzernde Objekte, die keinen tiefgehenden Inhalt aufweisen. Die türkischen Bürger suchen „Kunst als Dekoration“, sagt CI-Vorstandsmitglied Hasan Bülent Kahraman auf der Pressekonferenz. CI-Gründer Ali Güreli will expandieren. Schon bald soll die Messe auch in anderen türkischen Städten stattfinden. Allerdings glauben die wenigsten Galeristen daran. Fulya Sade von der alteingesessenen Galeri Siayh Beyaz in Ankara sieht den Markt auf Istanbul konzentriert und kann sich eine Teilnahme in der Provinz kaum vorstellen, ganz zu schweigen von den internationalen Galerien. Wie stark die nationale Kaufkraft ist, beweist im hinteren Teil der Messe die Sonderausstellung mit „Recent Acquisitions“von 43 türkischen Sammlern. Hier findet man zwar auch ein Bild von Sarah Morris oder Skulpturen von Pawel Althammer und Erwin Wurm, es überwiegt aber türkische Kunst. Nicht dabei ist der wichtigste Sammler, Ömer Koc.¸ Er hat Arter, sein riesiges, von den Londoner Grimshaw Architects entworfenes Privatmuseum, das Kunst auf 14 Etagen zeigt, dem Publikum geöffnet.
Biennale. Die Familie Koc¸ ist Hauptsponsor der Istanbul Biennale, deren 16. Ausgabe einen Tag vor Messebeginn eröffnete. „Der Siebte Kontinent“betitelte der französische Kurator die Schau. Damit ist jene gigantische Plastikmüllansammlung gemeint, die im Meer treibt – ein Kontinent aus Abfall. „Es ist eine neue Welt, die wir nicht kolonisieren wollen, die aus dem gemacht wurde, was wir abgelehnt haben.“56 Künstler lud er ein. Ursprünglich sollte die Biennale im Istanbul Shipyards am Goldenen Horn stattfinden. Doch dieser Standort fiel wegen Verzögerungen der Asbestbeseitigung aus. Jetzt sind die Werke im ehemaligen Lagerhaus Antrepo 5 ausgestellt, architektonisch leider weniger ideal für die Präsentation von Kunst. Beeindruckend sind Simon Fujiwaras Skulpturen, die aus Reststücken der Walt-Disney-Kultur neue Freizeitparks entstehen lassen. Es ist eine düster-dekadente Zukunftsvision. Die Zukunft der Türkei basiere auf „Soft Power“, wozu auch kulturelle Faktoren gehörten, betonte CI-Gründer Güreli in seiner Eröffnungsrede – und adressierte damit auch die politische Führung.
Mit dem neuen Bürgermeister Istanbuls hat auch der Kunstmarkt Rückenwind.