Culture Clash
FRONTNACHRICHTEN AUS DEM KULTURKAMPF
Bekenntnis-Haft. Früher hat es gereicht, wenn ein Fremder unsere Gesetze einhält. Heute ist sein Bekenntnis zu unseren Werten gefordert. Das ist bedenklicher, als es klingt.
Seit Monaten bekomme ich Mails von jemandem aus einer Partei, der mich nicht kennt, aber doch duzt. Jüngst las ich dort zum Thema Integration: „Wir erwarten von allen Menschen, die zu uns kommen, ein Bekenntnis zu unserer Kultur und unseren Traditionen.“Ähnliches höre ich von Menschen fast aller Parteien und Richtungen, und man sollte darüber nachdenken. Ich habe nämlich noch eine Zeit gekannt, wo es genügt hat, dass einer die Gesetze einhält, ohne sich zu irgendetwas bekennen zu müssen.
Wie weit soll das denn gehen? Muss ein Muslim unsere Heurigenkultur preisen? Oder ein Hindu das Rindsgulasch? Und was ist mit dem irritierenden Umstand des stetigen Wandels von Kultur und Tradition? In meiner Jugend war etwa das Siezen fremder Erwachsener üblich, und eine „Ehe für alle“gegen jede Tradition. Auch die vorsorgliche Sicherungshaft für Menschen, die unter Umständen später einmal geneigt sein könnten, eine Gewalttat zu begehen, ist unserer Kultur fremd. Und fremd ist ihr auch das staatliche Abverlangen von Bekenntnissen.
Wir haben kein bekennbares feststehendes Werteverständnis, gerade auch, was „Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichberechtigung, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte“(Zitat aus obig genanntem Mail) betrifft. Erleben wir doch zur Zeit, dass die Angst um die eigene kulturelle Identität jeden dieser Werte zu relativieren beginnt.
Ich unterstütze den Grundsatz der Integration: Eine Gesellschaft mit starken kulturellen Gemeinsamkeiten ist stabiler und friedlicher als eine multikulturelle Gesellschaft, die in Wirklichkeit nur ein prekäres Nebeneinander monokultureller Gesellschaften ist. Aber solang die Meinungs- und Gewissensfreiheit zu unseren grundlegenden Gemeinsamkeiten gehört, tun wir gut daran, niemandem Bekenntnisse abzufordern. Das sage ich gerade als Christ, der erlebt, dass sich „unsere“Kultur und Traditionen zusehends von den meinen entfernen.
Wenn Menschen aus anderer Kultur in so großer Zahl einwandern, dass sich ihnen der Reiz der Integration nicht mehr erschließt, ist das ein Problem. Umso mehr, wenn die ihnen entgegenschlagende Ablehnung das noch verstärkt. Ich wüsste aber nicht, was eingeforderte (Lippen-)Bekenntnisse hier verbessern würden. Stattdessen erwarte ich mir von unserer Gesellschaft, dass sie ihre Kultur und ihre Traditionen so vital, authentisch und überzeugend lebt, dass die Zuwanderer ihrer Attraktivität nicht widerstehen können. Das klingt vielleicht naiv, ist aber immerhin das Konzept, mit dem die USA groß geworden sind.
Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.