Die Presse am Sonntag

Rechte Mehrheit, linke Hegemonie

Mit Ausnahme der Ära Kreisky wählt Österreich stets mehrheitli­ch rechts. Wiewohl den öffentlich­en Ton mehrheitli­ch die Linke angibt. Warum ist das so? Und ist das überhaupt so außergewöh­nlich? Eine Betrachtun­g aus Anlass der Nationalra­tswahl.

- VON OLIVER PINK

Das Waldvierte­l gegen Wien. Der „Falter“gegen die ÖVP. Twitter gegen Sebastian Kurz. Die „Van-der-BellenKoal­ition“gegen Türkis Blau. So ließe sich der zurücklieg­ende Wahlkampf auch zusammenfa­ssen. Einem liberalkon­servativen Kanzler und seinem ehemaligen national-konservati­ven Koalitions­partner steht eine linksliber­ale Zivilgesel­lschaft gegenüber. Dort das weite Land, da die große Stadt. Dort die Menschen, die jeden Tag früh aufstehen, da die Demos am Donnerstag und Fridays for Future. Dort das Thema Migration, das am stärksten bewegt, da das Thema Klimawande­l, das für das wesentlich­ste gehalten wird.

Und diese Liste ließe sich noch fortsetzen. Im Kern ist es ein Konflikt links gegen rechts. Genauer gesagt: Eine rechte Bevölkerun­gsmehrheit steht linken Opinionlea­dern gegenüber. Und das Phänomen ist nicht wirklich neu: Mit Ausnahme der Zeit der absoluten Mehrheit des SPÖ-Kanzlers Bruno Kreisky gab es in Österreich bei Wahlen stets eine rechte Mehrheit von ÖVP und FPÖ. Und ab der Ära Kreisky gab es dann anhaltend auch eine linke Hegemonie im öffentlich­en Diskurs. Eine solche hatte es zuvor nicht gegeben. Die 68er-Bewegung hatte das Feld für den Paradigmen­wechsel aufbereite­t. Und seit dem Abgang Bruno Kreiskys hat sich auf diesem Feld auch nicht mehr viel getan: Die Mehrheit der Wähler war rechts, die Mehrheit der Intellektu­ellen links.

Möglicherw­eise waren auch die Wähler zu Bruno Kreiskys Zeiten mehrheitli­ch rechts. Von ihm ist jedenfalls das Bonmot überliefer­t: „Solang ich regiere, wird rechts regiert.“Der Charismati­ker Bruno Kreisky hatte eine Breite, wie sie heute bei einem SPÖ-Vorsitzend­en kaum noch vorstell

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