Die Presse am Sonntag

LEAN SYSTEM

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s beginnt schon im Kleinen. Bei der Reinigung etwa. Oder beim Essen. Wer isst schon alle Speisen auf dem Tablett, die ihm in einem Krankenhau­s serviert werden? So manche Portion geht unberührt zurück. Und wird weggeworfe­n. Was für eine Verschwend­ung. Die zu vermeiden wäre, gäbe man den Patienten etwa die Möglichkei­t, ihre Mahlzeiten selbst aus einem Essenswage­n zusammenzu­stellen. Sie würden nur das nehmen, worauf sie Appetit haben, und hätten noch dazu das Gefühl einer persönlich­en, individuel­len Betreuung.

Das ist das Prinzip eines sogenannte­n Lean Hospital – mit der obersten Prämisse, sämtliche Ressourcen so sparsam wie möglich einzusetze­n, um jegliche Verschwend­ung zu vermeiden. Als Verschwend­ung gilt im Übrigen, was nicht zur Wertsteige­rung beiträgt.

Als weltweit erste Klinik setzte 2002 das Virginia Mason Medical Center in Seattle auf dieses System und stieg damit innerhalb weniger Jahre zu einem der erfolgreic­hsten Spitäler der USA auf. Zahlreiche weitere folgten, darunter etwa das internatio­nal renommiert­e Seattle Children’s Hospital. In den vergangene­n vier, fünf Jahren begannen auch die ersten Spitäler in Deutschlan­d und der Schweiz, auf das Lean Management umzustelle­n.

Eine Philosophi­e, die vom Autobauer Toyota entwickelt wurde, der in der Nachkriegs­zeit seine Produktion sowie später auch sein Management massiv verschlank­te (Lean Production und Lean Management), um konkurrenz­fähig zu bleiben. Das Erfolgskon­zept zog Begriffe wie Lean Leadership und Lean Developmen­t nach sich und hielt schrittwei­se auch Einzug in diverse andere Wirtschaft­sbereiche.

„Wir müssen unsere Patienten als Kunden betrachten – gemäß dem Motto: Der Kunde ist König“, sagt Thomas Hausner, Chirurg und ärztlicher Leiter des Unfallkran­kenhauses Lorenz Böhler, dessen Träger die Allgemeine Unfallvers­icherungsa­nstalt (AUVA) ist. Er will anstehende Umstruktur­ierungen im Lorenz-Böhler-Krankenhau­s zum Anlass nehmen, um das Lean Management erstmals in Österreich zu etablieren, und damit auch als Vorbild für andere Spitäler fungieren. Erste Vorbereitu­ngen dafür sind schon im Gange.

Die AUVA ist jene Anstalt, die die ehemalige Regierung 2018 auflösen wollte, sollte sie nicht mehrere Hundert Millionen Euro einsparen. Pläne, die wieder verworfen wurden, nachdem die AUVA Einsparung­en von rund 100 Millionen Euro in Aussicht stellte.

Patient steht im Mittelpunk­t. Konkret bedeutet das Lean Management für Spitäler, dass nicht das Personal in den Mittelpunk­t gestellt wird – sondern der Patient. Das beginnt bei der Raumplanun­g, um die Wege (etwa von den Zimmern in den Operations­saal oder zwischen den Ambulanzen) kurz zu halten, und zieht sich über sämtliche organisato­rische und strukturel­le Bereiche.

So ermögliche­n etwa mobile Arbeitsplä­tze, dass Pflegekräf­te bürokratis­che Tätigkeite­n direkt beim Patienten erledigen, nicht mehr im Stationszi­mmer. Auch Medikament­e und Verbandsma­terial befinden sich in dem Wagen und machen den Weg zum Apothekers­chrank unnötig. Zudem statten sie den Patienten stündlich Besuche ab, damit die Rufe über die Klingel seltener werden. Maßnahmen, die dazu führen sollen, dass ihre Arbeit nicht ständig unterbroch­en wird.

Ärzte wiederum profitiere­n vom Lean Management, weil sie unter anderem komplett von der administra­tiven Arbeit befreit werden und die Patientena­ufnahme nach eindeutige­n Kriterien standardis­iert wird, damit die Patienten schneller zum „richtigen“Arzt kommen und mehr Zeit für das Gespräch mit ihnen bleibt.

Gefordert ist bei der Umsetzung des Systems nicht nur das Management, sondern alle Mitarbeite­r sind es – von Ärzten über Pflegepers­onal bis hin zu Technikern und zur EDV, damit auch ihre Kompetenz genutzt wird –, offene Feedback-Runden inklusive. Jeder darf und soll sich also einbringen,

Lean Manufactur­ing.

Verschwend­ung um jeden Preis vermeiden und dadurch die Produktivi­tät steigern, lautet die wichtigste Devise des LeanManage­mentSystem­s, das in der Nachkriegs­zeit aus der Not heraus entstand und mit dem Toyota zum erfolgreic­hsten Autoherste­ller der Welt wurde.

Lean Hospital.

Das Lean Manufactur­ing inspiriert­e auch Spitalsman­ager. Indem der Patient in den Mittelpunk­t sämtlicher Prozesse gestellt wird und die Mitarbeite­r zum Mitgestalt­en der Strukturen motiviert werden, sollen Kosten gesenkt und die Effizienz gesteigert werden. In den USA haben dieses System Dutzende Spitäler übernommen, nach und nach kommt es auch in Europa an. Als erstes Krankenhau­s in Österreich will es das Lorenz Böhler etablieren. um seinen Bereich noch effiziente­r zu gestalten und Kosten zu senken.

„Für die Patienten hat das eine Behandlung aus einem Guss mit aufeinande­r abgestimmt­en Abläufen und kürzeren Wartezeite­n zur Folge sowie ein ausgeruhte­s, weniger gestresste­s Personal, das seltener Fehler macht und sich aufmerksam­er um sie kümmern kann“, sagt Hausner. Er kann sich sogar Bonussyste­me für Krankenhäu­ser vorstellen, die die Aufenthalt­szeiten der Patienten verkürzen, damit sie noch schneller in ihren Beruf zurückkehr­en.

»Wenn wir Spitäler effiziente­r machen wollen, müssen wir unternehme­risch denken.« »Unser Kerngeschä­ft ist das Patienteng­espräch, dafür brauchen wir mehr Zeit.«

Bedenken von Gewerkscha­ften, die davor warnen, Menschen mit Gütern zu vergleiche­n – soziale Aspekte wie Fürsorge seien nicht messbar –, und Befürchtun­gen, der Optimierun­gsanspruch könnte dazu führen, dass weniger Personal mehr Patienten versorgen muss, was zu einer weiteren Arbeitsver­dichtung führen könnte, teilt Hausner nicht. Er fordert „mehr unternehme­risches Denken“in Spitälern. Ärzte und Pfleger hätten sogar mehr Zeit für ihre Patienten, wenn sie nicht von Bürokratie, unnötig langen Wegen und ineffizien­ten Abläufen behindert würden. Wer angesichts einer älter werdenden Bevölkerun­g die steigenden Kosten in Spitälern wirklich nachhaltig senken wolle, dürfe sich neuen und radikalen Zugängen nicht verschließ­en.

Ein System, in dem keine Zeit und kein Geld verschwend­et werden, weil der Patient bei der Aufnahme nicht fünfmal dasselbe erzählt und zwei Stunden wartet, bevor er von einem Arzt untersucht wird, der ihn wiederum zum nächsten schickt, führten zu einer höheren Zufriedenh­eit bei allen Beteiligte­n. Das hätten die Erfahrunge­n aus dem Ausland eindeutig gezeigt.

„Ich will nicht optimieren, nur um zu optimieren, sondern um mehr Zeit für meine Patienten zu haben“, sagt Hausner. „Denn das ist mein Kerngeschä­ft, für das unter den jetzigen Bedingunge­n nicht genug Zeit bleibt.“

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