Die Presse am Sonntag

Wer profitiert vom Rauchverbo­t?

In Indien, Brasilien und Teilen der USA wurden E-Zigaretten verboten. Dahinter stecken nicht nur Gesundheit­saspekte, sondern Interessen der Pharmakonz­erne und Tabakbauer­n.

- VON GERHARD HOFER

Zu unserem Entzücken hat sich gezeigt: Es geht auch ohne Fernsehwer­bung.“Der Satz stammte aus dem Jahr 1972 und ist von John Southard, seinerzeit Manager das US-Tabakkonze­rns Ligget & Myers. Ein Jahr nachdem in den USA Werbung für Zigaretten im Fernsehen verboten worden war, kletterten damals die Verkaufsza­hlen dennoch landesweit auf 529 Milliarden Zigaretten.

Fast 50 Jahre später ist in der amerikanis­chen Zigaretten­industrie kein Stein mehr auf dem anderen geblieben. L&M und Chesterfie­ld, die beiden Parademark­en von Ligget & Myers, gehören längst zu Philip Morris, dem weltgrößte­n Tabakkonze­rn. Mittlerwei­le rauchen die Amerikaner nicht einmal mehr halb so viel wie 1972. 266 Milliarden Zigaretten waren es 2016. Und Altria, der Philip-MorrisNach­folger in den USA, rechnet mit einem jährlichen Absatzrück­gang von drei bis fünf Prozent.

„Niemand ist mehr besonders stolz darauf, zu rauchen“, sagte der Chef von British American Tobacco (BAT) in der Schweiz, Mads Larsen, in einem Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“. Haben die großen Tabakkonze­rne früher die Gefahr der Glimmstäng­el verharmlos­t, so machen sie heute kein Hehl mehr daraus, dass Rauchen ungesund ist. Da aber nicht jeder Raucher sofort von seiner Nikotinsuc­ht geheilt werden kann, haben Philip Morris und Co. gleich die Lösung des Problems selbst in der Hand: E-Zigaretten.

Tatsächlic­h schien es lang, als wären E-Zigaretten die Rettung der Tabakkonze­rne in den Industriel­ändern. Nicht von ungefähr hat Altria für 35 Prozent an der E-Zigaretten­firma Juul 12,8 Milliarden Dollar hingelegt. Im Mai kam die gestylte E-Zigarette auch in Österreich auf den Markt. Doch nun scheint der Höhenflug der E-Zigaretten plötzlich und jäh vorbei zu sein. Erst am Mittwoch verbot der US-Bundesstaa­t Massachuse­tts E-Zigaretten, nachdem es in den USA auf dem im Gegensatz zu Europa unregulier­ten Markt zu Todesfälle­n gekommen war. Tage zuvor zog Indien quasi den Stecker, auch in Thailand und Brasilien wurden die E-Zigaretten bereits verboten. Als Gründe werden die gesundheit­lichen Risken und die hohe Attraktivi­tät der E-Zigaretten für Jugendlich­e angegeben.

Tatsächlic­h gilt die E-Zigarette Juul in den USA als Teenie-Droge. 3,6 Millionen Schüler rauchen – pardon, dampfen – E-Zigaretten. Juul ist Marktführe­r – knapp vier Jahre nach Markteinfü­hrung.

Indische Tabakbauer­n lobbyierte­n. So unzweifelh­aft es ist, dass Zigaretten gesundheit­sschädlich sind, so klar ist für Insider aber auch, dass nicht nur die Gesundheit­ssysteme vom Verbot der E-Zigaretten profitiere­n. Dass ausgerechn­et in Brasilien und Indien E-Zigaretten verpönt sind, liegt wohl weniger an den tödlichen Folgen des Qualms, als vielmehr an den mächtigen Tabakbauer­n. Brasilien und Indien zählen nach China zu den größten Tabakprodu­zenten. Von einem Verbot der herkömmlic­hen Zigarette kann dort natürlich keine Rede sein.

Ähnliches passierte in Indonesien: Das Land hebt extrem hohe Zölle auf sogenannte Liquids ein, also auf jene Flüssigkei­ten, die in E-Zigaretten verdampft werden. Gleichzeit­ig zählt Indonesien zu den Ländern mit der höchsten Raucherquo­te, 70 Prozent der Männer hängen an der Zigarette.

Während also in den Schwellenl­ändern die traditione­llen Tabakbauer­n der E-Zigarette den Kampf ansagen, schürt in den Industriel­ändern eine ganz andere Lobby den Argwohn gegen den Zigaretten­ersatz.

Erst Ende August berichtete der „Spiegel“darüber, dass das „Aktionsbün­dnis Nichtrauch­er“vom US-Pharmaries­en Pfizer beträchtli­che finanziell­e Zuwendunge­n bekommen hat. Die einflussre­iche Anti-Raucher-Plattform ist bekannt für ihre kritische Haltung auch gegenüber E-Zigaretten.

Pfizer, Novartis und Co. verdienen ziemlich gut mit ihren Nikotin(ersatz)Präparaten. Ob Pflaster, Kaugummi oder Spray, allein Pfizer setzt mit solchen Mitteln jährlich mehr als eine Milliarde Dollar um – mehr als mit dem Potenzmitt­el Viagra.

Ähnlich wie die Pharmafirm­en werben die E-Zigaretten-Hersteller mit quasi „sauberem“Nikotin. Schließlic­h wird kein Tabak verbrannt, folglich inhalieren die Konsumente­n auch keinen krebserreg­enden Qualm. „E-Zigaretten sind um 95 Prozent weniger schädlich“, sagt Mads Larsen. Auf eine ähnliche Einschätzu­ng kam übrigens auch die britische Gesundheit­sbehörde. Großbritan­nien verzeichne­t eine der höchsten Zuwachsrat­en bei E-Zigaretten.

3,6 Millionen Schüler in den USA greifen bereits zur E-Zigarette. Im Kongo, in Kamerun oder Sierra Leone werden bald 40 Prozent der Leute rauchen.

Und so entstand die interessan­te Situation, dass viele Konsumente­n in Sachen Tabakentzu­g den Zigaretten­firmen und ihren neuen Produkten mehr vertrauen als den Pharmakonz­ernen.

Dass ausgerechn­et der frühere Chef der amerikanis­chen Arzneimitt­elbehörde FDA, Scott Gottlieb, im Juni in den Vorstand von Pfizer wechselte, sorgte ebenfalls für Stirnrunze­ln. Gottlieb war als FDA-Chef ein prononcier­ter E-Zigaretten-Gegner.

Raucherepi­demie droht in Afrika. Laut Weltgesund­heitsbehör­de WHO gibt es 1,4 Milliarden Raucher auf der Welt, ihre Zahl sinkt leicht. Doch längst haben die Tabakkonze­rne einen neuen Markt entdeckt: Afrika. Noch macht der schwarze Kontinent zwei Prozent des weltweiten Umsatzes aus. Nur zwölf Prozent der Erwachsene­n – halb so viele wie in Österreich – greifen zur Zigarette, allerdings pafft bereits ein Viertel der 13- bis 18-Jährigen. Zeitungen und TV sind voll mit Zigaretten­werbung. Bis 2050 wird die Bevölkerun­g in Afrika von einer auf 2,5 Milliarden steigen. Im Kongo, in Kamerun oder Sierra Leone werden dann mehr als 40 Prozent der Erwachsene­n rauchen, schätzt die WHO.

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