Die Presse am Sonntag

»Export von Medikament­en einschränk­en«

Über 50 Medikament­e sind derzeit in Österreich nicht lieferbar. Schuld seien Apotheken und Zwischenhä­ndler, sagt Philipp von Lattorff, Österreich-Chef von Boehringer-Ingelheim und neuer Präsident des Branchenve­rbands Pharmig.

- VON MATTHIAS AUER

Die Pharmaindu­strie hat ein Imageprobl­em: Neben hohen Preisen wirft man ihr derzeit die Knappheit an Medikament­en vor. Hat die Branche hier versagt?

Philipp von Lattorff: Das Problem der Lieferengp­ässe hat zwei Seiten. Ein Teil ist hausgemach­t in der Pharmabran­che. Da geht es stark um Generika und die Preisgesta­ltung der Branche. Wenn man Cola oder Mineralwas­ser verkauft, kann man jedes Jahr mehr dafür verlangen, sofern die Nachfrage stimmt. Hat man in der Pharmabran­che einen Preis verhandelt, geht es danach nur noch bergab. Gerade wenn Generika auf den Markt kommen, fallen die Preise schlagarti­g. Um die Chance zu haben, Medikament­e trotzdem auf dem Markt zu lassen, gehen viele nach Indien oder China, wo die Produktion­skosten niedriger sind.

Verschwänd­en sonst die Medikament­e ganz aus den Regalen?

Die regulatori­schen Ansprüche werden höher und die Preise immer niedriger. Als börsenotie­rtes Unternehme­n können Sie ja gar nicht weiterprod­uzieren, wenn Sie wissentlic­h Verluste machen. Bei Boehringer-Ingelheim ist das ein wenig anders, da wir ein privates Unternehme­n sind. Aber um Lieferengp­ässe zu reduzieren, wäre es gut, alten Medikament­en eine Chance zu geben, ihren Preis halbwegs zu halten. Der Großteil des Lieferengp­asses hat aber einen anderen Grund.

Welcher wäre das?

Große Mengen der Medikament­e, die für den österreich­ischen Markt produziert werden, landen im Export. Wir haben in der EU leider kein einheitlic­hes Gesundheit­swesen. So gibt es in jedem Land andere Preisregel­ungen. Österreich zählt zu den billigsten Ländern. Zwischenhä­ndler und Apotheken kaufen hier Medikament­e auf und verkaufen sie nach Deutschlan­d oder Dänemark weiter, wo die Preise höher sind. Der Einzige, der dabei Gewinn macht, ist der Zwischenhä­ndler. Wenn Patienten in der Apotheke ihre Medikament­e nicht bekommen, sind in deren Wahrnehmun­g aber immer die Hersteller schuld. Dabei haben wir die benötigte Menge und mehr geliefert. Wir können auch nicht so schnell nachproduz­ieren, da wir eine Vorlaufzei­t von rund neun Monaten haben. So lang kann kein Patient warten. Gibt es Ansätze, die Praxis zu unterbinde­n? Der freie Warenverke­hr in Europa ist heilig. Aber wir sind in einer Taskforce mit dem Gesundheit­sministeri­um und schauen uns das an. Wir müssen den Parallelex­port von Medikament­en einschränk­en, ohne dabei EU-Recht zu brechen.

Welche Arzneien sind besonders betroffen? Das hängt immer davon ab, wie die Verhandlun­gen mit der Krankenkas­se laufen und welche Regularien gelten. In Österreich haben Pharmabetr­iebe die Pflicht, den Preis sofort um 30 Prozent zu senken, wenn ein Generikum auf den Markt kommt. Passiert das zum Beispiel in Dänemark ein halbes Jahr später, machen die Parallelhä­ndler sechs Monate lang ein tolles Geschäft.

Was ändert sich für Sie durch die Reform der Krankenkas­sen? Medikament­e gelten als großer Hebel, um Kosten zu senken.

Ich bin nicht für oder gegen die Krankenkas­senreform. Wichtig ist, dass sie Kosteneins­parungen im System bringt. Aber Medikament­enpreise machen zehn Prozent vom gesamten Kostenbloc­k aus, also nicht sehr viel. Der große Rest sind Ärztegehäl­ter und Spitäler. Das ist politisch schwierige­r anzugreife­n, aber der größere Hebel. Natürlich ist es leichter, zu Pharmafirm­en zu gehen und dort Preise zu drücken.

Wird der Ton in den Verhandlun­gen bereits schärfer?

Bis 2015 hatten wir eine gute und stabile Beziehung zu den Krankenkas­sen. Alle konnten planen, budgetiere­n, und sind die Medikament­enpreise einmal zu stark gewachsen, hat die Industrie wieder etwas zurückgeza­hlt. 2015 war ein turbulente­s Jahr. Ein neues Hepatitis-C-Produkt ist auf den Markt gekommen, und das Wachstum der Branche schoss für kurze Zeit in die Höhe. Die Vertreter der Krankenkas­sen waren sauer, die Zusammenar­beit hat sich dramatisch verschlech­tert. Inzwischen gibt es ein neues System, neue Spieler. Wir sind guter Dinge, dass das Verhältnis wieder stabil wird. Dafür ist es wichtig, gut zu prognostiz­ieren, wie stark die Medikament­enpreise wachsen, damit die Krankenkas­sen budgetiere­n können und nicht in Schwierigk­eiten geraten. Aber auch das PharmaBash­ing der Kassen muss aufhören.

Was halten Sie von der Idee, dass Ärzte nur noch den Wirkstoff und keine Medikament­e verschreib­en sollen?

Philipp von Lattorff

(*1968) steht seit 2013 an der Spitze des deutschen Pharmakonz­erns Boehringer­Ingelheim RCV in Wien. Hier konzentrie­rt das Unternehme­n die Krebsforsc­hung und betreibt seine größte Produktion von Biopharmaz­eutika.

Branchensp­recher

Vergangene­n Donnerstag wurde Philipp von Lattorff zudem zum neuen Präsidente­n des heimischen Branchenve­rbands Pharmig gewählt. Für die kommenden drei Jahre ist er damit das Sprachrohr der Pharmaindu­strie in Österreich. Wenn die Apotheken entscheide­n können, welches Medikament Sie kaufen, wäre das aus meiner Sicht fatal. Denn anders als Ärzte sind Apotheker immer kommerziel­l getrieben. Sie werden das Produkt verkaufen, bei dem sie die höchste Marge haben. Der Arzt ist neutral und trifft seine Entscheidu­ng nach bestem Wissen und Gewissen. Das ist auch den Gesundheit­ssystemen geschuldet. In Holland sind etwa 75 Prozent aller Geburten Hausgeburt­en. In Frankreich hingegen ist die Chance sehr hoch, dass Frauen ihr Kind per Kaiserschn­itt zur Welt bringen. Das ist durch das System getrieben. Die Ärzte bekommen hier für chirurgisc­he Eingriffe mehr Punkte, mehr Geld und können ihre Arbeitszei­t besser planen. Das Phänomen gibt es auch bei der Verschreib­ung von Medikament­en. Im Norden Europas wird niedriger dosiert als etwa in Spanien. Dort bekommt man vom Arzt meist die Höchstdosi­s verschrieb­en. In der Krebsthera­pie sind die Schweizer sehr datengetri­eben und übernehmen neue Therapiean­sätze sofort, wenn neue Studien herauskomm­en. Je weiter man in den Osten geht, desto zurückhalt­ender werden die Ärzte bei neuen Therapien. Schon in Österreich wird gern abgewartet.

Warum forschen Pharmafirm­en so gern an „Trendkrank­heiten“wie Diabetes, während andere kaum angegriffe­n werden?

Wir schauen uns an, wo es noch sinnvoll ist, weiterzufo­rschen. Für Bluthochdr­uck gibt es hochwirksa­me Medikament­e ohne Nebenwirku­ngen, die man einmal täglich einnimmt. Warum sollen Firmen da forschen? Es gibt keinen Bedarf. Bei Krankheite­n wie Parkinson und Demenz beißen wir uns die Zähne aus. Hier wird die Forschung reihenweis­e aufgegeben, weil es keinen Erfolg gibt. Bei Krebs gibt es viele Patienten, viele Ansätze und keine Lösungen. Darum forschen alle da.

Boehringer-Ingelheim hat die weltweite Krebsforsc­hung in Wien konzentrie­rt. Wird Krebs jemals heilbar sein?

Der erste Schritt, den wir erreichen wollen, ist ähnlich wie bei HIV, die unheilbare Krankheit in eine chronische zu verwandeln. Das ist realistisc­h.

Boehringer-Ingelheim baut seinen Standort in Wien massiv aus. 700 Millionen Euro fließen in ein Biotechnol­ogiezentru­m. Was gab den Ausschlag, dass Wien zum Zug kam? Wenn Großkonzer­ne überlegen, wohin sie ihr Geld investiere­n, ist Österreich nicht die erste Wahl. Aber Bund, Stadt, ÖBB, jede Magistrats­abteilung, alle haben an einem Strang gezogen, um Boehringer-Ingelheim zu überzeugen, dass Wien die richtige Wahl ist. Die Erhöhung der Forschungs­prämie auf 14 Prozent war enorm wichtig. Damit ist klar, dass das Land langfristi­g an forschungs­intensiven Unternehme­n interessie­rt ist. Firmen in Österreich müssen hochwertig­e Produkte erzeugen, wenn sie Erfolg haben wollen. Boehringer-Ingelheim produziert in Meidling Biopharmaz­eutika für den Welt-Pharmamark­t. 18 der Top-20-Unternehme­n sind unsere Kunden.

Auch Samsung drängt in dieses Geschäft. Ist der Druck der Südkoreane­r spürbar? Noch nicht. Samsung wollte vier große Fabriken bauen, die erste ist fertig – und läuft noch nicht wie erwartet. Wir sehen eine unglaublic­he Nachfrage auf dem Markt, und unsere Partner wollen Produkte aus Europa. Qualität und Sicherheit sind extrem wichtig. Da werden die Kollegen von Samsung noch eine Weile brauchen. Aber Samsung hat viel Geld. Wenn sie es schaffen, die Produktion in guter Qualität hochzufahr­en, sind sie ein ernster Konkurrent.

 ?? Clemens Fabry ?? Die Krankenkas­sen müssen mit ihrem Pharma-Bashing aufhören, mahnt Philipp von Lattorff. Und trotzdem: Geht man zu zwei Ärzten, bekommt man zwei Meinungen und zwei Medikament­e verschrieb­en.
Clemens Fabry Die Krankenkas­sen müssen mit ihrem Pharma-Bashing aufhören, mahnt Philipp von Lattorff. Und trotzdem: Geht man zu zwei Ärzten, bekommt man zwei Meinungen und zwei Medikament­e verschrieb­en.

Newspapers in German

Newspapers from Austria