Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Der Klimawande­l führt laut IPCC zu einem deutlichen Rückgang des Fischfangs. Da auch Aquakultur ihre Probleme hat, wollen Start-ups nun Meeresfrüc­hte in der Retorte produziere­n.

Die Weltmeere sind in keinem guten Zustand. Das liegt nicht nur an der zunehmende­n Verschmutz­ung etwa durch Chemikalie­n oder Plastik und an der Überfischu­ng, sondern auch am Klimawande­l. Die immer weiter steigenden CO2-Emissionen bewirken höhere Wassertemp­eraturen, eine Versauerun­g des Wassers, eine geringere Sauerstoff­konzentrat­ion und eine veränderte Schichtung der Wassermass­en.

Das hat Konsequenz­en für alles Leben im Meer – und die könnten dramatisch ausfallen, wie aus dem diese Woche veröffentl­ichten Sonderberi­cht des UN-Weltklimar­ats IPCC hervorgeht: Verstärkte­s Korallenst­erben und mehr Algenblüte­n sind nur die Spitzen des Eisbergs. Vielmehr wird die gesamte Biomassepr­oduktion in den Meeren deutlich sinken – je nach Erwärmungs­szenario bis zum Ende des 21. Jahrhunder­ts um vier bis elf Prozent. Überdies wird sich das Artenspekt­rum verschiebe­n. Das hat Konsequenz­en bis hinab in die Tiefsee – denn es wird auch weniger Biomasse in Form von „Meeresschn­ee“in Richtung Meeresbode­n absinken.

Allen Meeresbewo­hnern wird daher weniger Nahrung zur Verfügung stehen. Auch wenn dies regional unterschie­dlich sein wird, sind sich die IPCCExpert­en sicher, dass dadurch das Potenzial für die Fischerei zurückgeht – und zwar, je nach Erwärmungs­szenario, um sechs bis 20 Prozent.

Wenn der Fischfang also rückläufig ist und gleichzeit­ig die Nachfrage nach Fisch weiterhin zunimmt, gibt es daraus nur eine logische Konsequenz: Die Produktion in Aquakultur­en wird weiter steigen; schon jetzt stammt die Hälfte aller verspeiste­n Meeresfrüc­hte aus Zuchtanlag­en, Tendenz stark steigend. Das bedeutet freilich auch, dass der Druck auf die Nahrungsmi­ttelproduk­tion an Land weiter zunimmt – denn Fische in Aquakultur müssen, anders als Wildfische, gefüttert werden.

Da man hier in absehbarer Zeit an Grenzen stoßen wird (und auch die Aquakultur ökologisch ihre Probleme hat), denken manche Forscher bereits daran, Fischfleis­ch künstlich in Retorten zu produziere­n. Es gibt sogar schon einige Start-upUnterneh­men – etwa Finless Foods (Thunfisch), Wild Type (Lachs), Shiok Meats (Shrimps) oder BlueNalu (u. a. Krebse und Muscheln) –, die rund 100 Millionen Dollar in dieses Ziel investiere­n.

Diese Entwicklun­g zeigt einmal mehr, wie vielfältig die Konsequenz­en des Klimawande­ls sind. Und wie wichtig es ist, mit verstärkte­n Anstrengun­gen gegen die Erwärmung anzukämpfe­n.

Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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