Goldrausch in der Tiefsee
Soll Bergbau am Meeresboden betrieben werden? Die Entscheidung rückt näher, Industrie und Naturschützer bringen sich in Stellung.
Diesen Sommer, am 18. Juli, wurde von der Internationalen Artenschutz-Organisation IUCN erstmals ein Tier auf die Liste der bedrohten Arten gesetzt – die Schuppenfuß-Schnecke, Chrysomallon squamiferum –, das an Vulkanen der Tiefsee lebt (Nature Ecology & Evolution 22. 7.). Dass es die überhaupt gibt, sogenannte Schwarze und Weiße Raucher, weiß man erst seit 40 Jahren, 1979 wurde der erste entdeckt. Inzwischen gelten sie als Wiege des Lebens, und sie beherbergen staunenswerteste Lebensformen, von hitzeresistenten Bakterien über riesige Röhrenwürmer bis hin zu der Schnecke, die sich mit Eisensulfid bewehrt hat, in der Schale und in Schuppen am Bein.
Damit ist sie wohlgerüstet für die unwirtliche Umwelt, in deren drückender und lichtloser Tiefe – 2,4 Kilometer – kochend heißes Wasser aus dem Boden schießt. Wovon also sollte sie bedroht sein? Im Wasser aus dem Meeresboden ist nicht nur das Eisensulfid, mit dem die Schnecke sich bewehrt, es enthält vieles, was die Begehrlichkeit des Menschen weckt – von Kupfer über Blei und Zink bis hin zu Silber und Gold –, das alles fällt in der Eiseskälte des Wassers in dicken Sulfidschichten am Rand der Vulkane aus. Von denen hat fast jeder eine eigene Chemie mit angepassten Lebensformen, die Schnecke gibt es nur an drei der heute 241 bekannten, für zwei hat der Tiefseebergbau Erkundungslizenzen, würde dort geschürft, wäre die Schnecke weg.
Das wären wohl auch Arten an anderen Meeresböden, etwa denen, die in den 1960er-Jahren überschießende Hoffnungen als Rohstoffquellen weckten, weil sie voll sind mit kartoffelgroßen Knollen vor allem aus Mangan, aber auch Nickel und Kobalt und seltenen Erden, die lagern sich in Jahrmillionen Schicht um Schicht um Sandkörner und Fischzähne an. Und die füllen ganz andere Areale als die Tiefseevulkane, allein die Clarion-ClippertonZone (CCZ) zieht sich in 4000 Metern Tiefe 7000 Kilometer von Hawaii nach Mexiko. Dort ruht, halb im Sediment, mehr Mangan, Kobalt und Nickel als in allen bekannten Reserven an Land.
Wie lang ruht es noch? Man kannte die Knollen schon seit dem späten 19. Jahrhundert, aber in den 1960erJahren kamen Warnungen vor einer drohenden Knappheit der in ihnen steckenden Elemente – etwa vom Club of Rome –, eine Bonanza brach los, in höchster Eile wurde technisches Gerät entwickelt, US-Milliardär Howard Hughes ließ ein Tiefsee-Bergbauschiff bauen, den Glomar Explorer, er suchte vor Hawaii nach Manganknollen.
Das allerdings war nur die offizielle Version: Hinter Hughes standen USNavy und CIA, und der Glomar Explorer suchte in Wahrheit ein gesunkenes sowjetisches U-Boot mit Atomraketen an Bord, es wurde unter dem Mantel der Tarnung gefunden und partiell gehoben. Mit den Manganknollen selbst hingegen wurde es vorerst nichts, die technischen Hürden waren groß, und für viele Erze fanden sich neue Lager an Land, die Preise verfielen, der Goldrausch der Tiefsee brach in sich zusammen.
Sedimente. Ende der 70er-Jahre keimte er wieder auf, und auf manchen Explorationsschiffen durfte der deutsche Ökologe Hjalmar Thiel mitfahren, er machte sich keine Freunde unter den Schatzsuchern, er wollte den Meeresboden nicht ausräumen, er wollte das dortige Leben erkunden. Und er hatte Sorge, dass der Bergbau den Meeresboden bedrohte: 1989 endlich hatte er Forschungsgeld für einen Test, er ließ durch einen Flecken von elf Quadratkilometern auf dem Grund des Pazifik eine acht Meter breite Egge ziehen, simulierte damit das Aufwirbeln der Sedimente, das mit dem Heben der Knollen verbunden war, er selbst hob keine.
Das Experiment hieß DISCOL – für „DISturbance and reCOLonization“, es war das erste seiner Art, es blieb das einzige seiner Art – ob und was die Industrie forschte, drang nicht an die Öffentlichkeit –, und es zeigte, dass die Folgen der Verwirbelung des Sediments viel gravierender waren als vermutet: Manche Lebensformen verschwanden, viele haben sich in den 30 Jahren bis heute nicht erholt, das bilanzierte Erik Simon-Lledo (Southhampton) in einer aktuelle Studie (Scientific Reports 29. 5.). „Die Beeinträchtigung ist viel größer und dauert viel länger, als wir je gedacht hätten“, schließt Thier (Nature 571, S. 465).
Viel mehr weiß man nicht, aber der Tiefseeboden lockt seit geraumer Zeit wieder, und die UNO-Organisation ISA – International Seabed Authority –, die für Konzessionen in internationalen Gewässern zuständig ist, will sich anno 2020 auf Regeln einigen, bisher hat sie nur Erkundungslizenzen vergeben.
Deshalb bringen sich beide Seiten in Stellung. Und beide berufen sich auf einen derzeit übermächtigen Verbündeten, das Klima respektive seinen Schutz. Greenpeace hat in einem Bericht im Juli („In Deep Water“) die Forderung nach einem Moratorium mit der zentralen Sorge begründet, durch Eingriffe in Meeresböden würde dortiges CO freigesetzt. Die interessierte Industrie hält dagegen, die Energiewende könne nur mit den Schätzen der Tiefsee gelingen: Anderswo sei etwa das für Elektroautos bzw. ihr Batterien nötige Kobalt nicht herzuschaffen, und viele Grundstoffe für Elektronik und Solarenergie seien es auch nicht.
Experimentell ist wenig geklärt, man weiß nur, dass die Umwelt lang leidet. Beide Seiten setzen auf das gleiche, derzeit übermächtige Argument: Klimaschutz.
So wogt das hin und her, viele Länder sind interessiert, aber das große Geld scheint zögerlich: Lange Zeit galt die kanadische Firma Nautilus Minerals als Avantgarde der Branche, sie wollte Tiefseevulkane in Gewässern von Papua-Neuguinea ausbeuten. Aber lokale Widerstände und, vor allem, versiegendes Kapital ließen die Firma aus der Börse von Toronto verschwinden. Um die neue Vorreiterrolle konkurrieren die UK Ressources Ltd, eine mit britischem Staatsgeld unterstützte Tochter des US-Rüstungskonzerns Lockheed Martin, und die kanadische Deep Green, die im Juni eine 150-MillionenDollar-Spritze aus der Schweiz verbuchen konnte. Ihr CEO, Gerard Barron, spielt die Klimakarte mit solcher Bravour respektive Chuzpe aus, dass er sogar in den Greenpeace-Report eingegangen ist: „Mir persönlich ist sehr unwohl dabei, wenn die Leute uns als Tiefsee-Bergleute beschreiben. Wir sind im Business der Transition: Wir wollen der Erde zum Ausstieg aus fossilen Energien verhelfen.“