Die Presse am Sonntag

Ein Fund, der alles verändert

Eine Lieferung Bananen, in der Kokain versteckt wurde: Eine folgenschw­ere Entdeckung steht am Anfang des neuen, clever konstruier­ten Thrillers von Erfolgsaut­or Bernhard Aichner.

- VON MIRJAM MARITS

Später, daheim, wird sie alles auf die Küchenwaag­e legen, die kleinen weißen Päckchen nacheinand­er abwiegen, und ihr genaues Gewicht kennen: Zwölfkomma­fünfundsie­bzig Kilogramm Kokain liegen da vor ihr.

Sie weiß es sofort, als sie hinten im Lager des Supermarkt­s die Bananensch­achtel öffnet und das weiße Pulver unter den gelben Früchten entdeckt: Es ist ein Fund, der ihr Leben verändern kann. Wenn sie jetzt niemandem etwas sagt. Was tun? Wie es sich gehört, die Polizei rufen? Oder schweigen und den millionens­chweren Fund als Chance sehen? Noch einmal neu beginnen, mit Anfang 50 alles hinter sich lassen, die miese Ehe, den tristen Job im Supermarkt?

„Was würden Sie an Ritas Stelle tun?“Es ist ein durchaus moralische­s Szenario, das Bernhard Aichner an den Beginn seines neuen Thrillers „Der Fund“stellt. Und sollte es beim Leser während dieser ersten Zeilen noch Zweifel geben, wie sich Rita entscheide­n wird, ist schon am Ende der ersten Seite klar, was Rita tut und wie die ganze Sache enden wird:

Rita wird jemanden töten.

Und dann wird jemand sie töten.

Weil sie diesen Karton geöffnet hat, wird Rita sterben.

Bald schon.

Nein, Aichner war noch nie ein Autor, der lang fackelt. Diesmal aber beginnt er sozusagen überhaupt gleich mit dem Ende – und hat den Leser schon mitten hineingezo­gen in seine Geschichte, die allein schon wegen einer Supermarkt­verkäuferi­n als unerwartet­er Thriller-Protagonis­tin eine ungewöhnli­che ist. Rita ist also tot – verbrannt in ihrem Auto, wie man wenig später erfährt, offensicht­lich ein Werk von Profis. Man klaut eben besser nicht kiloweise fehlgeleit­etes Kokain und versteckt es bei seiner todkranken Nachbarin.

Im Vergleich zu seiner erfolgreic­hen „Totenfrau“-Trilogie, mit der dem Tiroler Autor ab 2014 der weltweite Durchbruch gelungen ist, rast die Handlung diesmal nicht ganz so schnell dahin, „Der Fund“ist auch – die gute Nachricht für alle, die knallBernh­ard Aichner Der Fund btb-Verlag

352 Seiten

20,60 Euro harte Thriller weniger schätzen – keine besonders leichen- und blutlastig­e Geschichte geworden.

Weniger spannend macht das die Sache aber keineswegs, und es zeigt sich – nach seinem charmanten Ausflug ins Liebesroma­n-Genre („Kaschmirge­fühl“) im heurigen Frühling – einmal mehr: Aichner kann das einfach. Thriller schreiben. Spannung aufbauen. Das Genre hat er zwar nicht neu erfunden – aber wieder einmal überrasche­nd variiert und mit einem komplexen und durchdacht­en Plot versehen, den man in den ersten Seiten noch nicht ansatzweis­e erahnt.

Wie schon im letzten Thriller „Bösland“verlässt sich Aichner in „Der Fund“dankenswer­terweise nicht auf jene Elemente, mit denen die „Totenfrau“-Teile so unsagbar gut funktionie­rt haben. Kein mehr desselben, kein Abklatsch des alten Erfolgs, sondern eine ganz neue Story, die auf andere, etwas langsamere und, ja, auch nachdenkli­chere Art mitreißt. So nachdenkli­ch ein Thriller eben sein kann.

Seinem charakteri­stischen Stil bleibt der Autor aber treu: Knappe, präzise Sätze, kurze Kapitel, in denen kein unnötiges Wort, kein nebensächl­iches Detail vorkommt, dafür aber viele, viele Dialoge. Jedes zweite Kapitel besteht aus Befragunge­n, die ein gesichts- und namenloser Kriminalbe­amter in Ritas Umfeld führt. Wieso wird da etwa ein Staatsanwa­lt befragt, dem sogar eine Affäre mit der Supermarkt­verkäuferi­n unterstell­t wird? Und wieso scheinen alle Befragten nicht ganz die Wahrheit zu sagen?

Bestseller­verdacht. Viel mehr lässt sich über den Inhalt nicht erzählen, will man nicht eine der Wendungen verraten. Auf seiner Facebookse­ite, auf der sich seine Fans von ihm „Schnuggis“nennen lassen, postete Aichner kürzlich: „Das ist wohl das schönste und beste Buch, das ich je geschriebe­n habe.“Ob das alle Fans so sehen? Bleibt abzuwarten. Ob es weit oben in den Bestseller­listen auftauchen wird? Mit Sicherheit. Und mit Recht.

 ?? Www.fotowerk.at ?? In Bernhard Aichners neuem Thriller spielen Südfrüchte eine wichtige Rolle.
Www.fotowerk.at In Bernhard Aichners neuem Thriller spielen Südfrüchte eine wichtige Rolle.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria