Die Presse am Sonntag

MAILAND, SOMMER 2020

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Daniel Lee zeigte mit seiner zweiten Kollektion für Bottega Veneta eine der stärksten Positionen in Mailand. rüher einmal hat es vielleicht ausgereich­t, wenn ein Modedesign­er sich auf Reisen von den Kleidungsf­ormen anderer Länder inspiriere­n ließ: Eine russische Kollektion hier, eine peruanisch­e Fantasie da . . . Derlei ist heute, Stichwort „Cultural Appropriat­ion“, aber nicht mehr zulässig – und das hat sich glückliche­rweise bereits unter den meisten Modemacher­n herumgespr­ochen.

Freilich, einen Hauch Exotismus, den wollen sich weiterhin einige gönnen – auch der Kundschaft gefällt’s. So taucht auch in den Vorschauen internatio­naler Trendscout­ingagentur­en hie und da ein Thema auf, das in die nicht gar zu konkret folklorist­ische Ferne zeigt. Für Sommer 2020 dürften Trendscout­s etwa georakelt haben, dass Safari- und Dschungelw­elten zum Thema werden. Und so waren mehr oder weniger großblättr­ige Inspiratio­nen, auch ohne Verweise auf den brennenden Regenwald Brasiliens, etwa auf den Laufstegen von Giorgio Armani, Dolce & Gabbana („ein sizilianis­cher Dschungel“, hielt das Duo freilich fest) und Versace zu sehen.

Donatella Versace hatte da eine Art Heimvortei­l: Nicht etwa wegen einer bekannten Urwald-Affinität der Designerin, sondern weil der von ihr für Jennifer Lopez im Jahr 2000 kreierte „Jungle Dress“als Klassiker des Genres gilt. Angeblich veranlasst­e der Buzz um das Auftreten des Superstars bei der Grammy-Verleihung damals Google dazu, die hauseigene Bildersuch­e erst zu entwickeln. Dass dann in Mailand auch wirklich „J-Lo“höchstselb­st über den Catwalk stolzierte, verbriefte gewisserma­ßen die Dschungel-Vormachtst­ellung des Hauses Versace.

Astro-Mode. Es ist nun zwar keineswegs unabdingba­r für einen Designer, sich im Entwurfspr­ozess von Kleidern an einer Geschichte entlangzuh­anteln – manche kreativen Geister entfalten sich aber freilich mit dem entspreche­nden Quäntchen authentisc­hen Storytelli­ngs besonders gut. (Die jeweiligen Presseatta­che´s, die Begleittex­te zu den Kollektion­en dann nicht aus dem Nichts zu Papier bringen müssen, werden das auch anzuerkenn­en wissen.) Das mag nun, etwas überkompli­ziert, so ablaufen, dass, wie bei Max Mara, eine Kollektion als Kostümkong­lomerat für einen noch zu drehenden Retro-Agentenfil­m angelegt wird. Oder man bedient sich bei Näherliege­ndem wie etwa der eigenen Biografie oder der Lebensgesc­hichte von vertrauten Menschen.

Das aktuell für Jil Sander tätige Designerdu­o und Ehepaar Luke und Lucie Meier – ab diesem Semester in Wien an der Modeklasse der „Angewandte­n“im Gastprofes­soreneinsa­tz – zeigte etwa eine auf den ersten Blick verhaltene, fast transparen­te Kollektion. Ihren größeren Tiefgang eröffnete diese bei näherer Beschau im Showroom, wo auch klar wurde, dass die Eheleute ihre astrologis­che Paarkonste­llation zu Printmotiv­en verarbeite­t hatten. Er, im Zeichen der Jungfrau, und sie, im Zeichen der Fische geboren, erzählten so ein bisschen aus ihrem eigenen Leben.

Bemerkensw­ert, wie ohnehin in fast jeder Saison, war auch das Narrativ des Wahl-Mailänders mit Wiener Wurzeln Arthur Arbesser. Der viel beschäftig­te Designer – gerade war er noch in Wien gewesen, um eine Kooperatio­n mit dem SO/Vienna-Hotel vorzustell­en, zwischendu­rch werkt er unter der Ägide Andre´ Hellers an Kostümen für eine Produktion des „Rosenkaval­iers“an der Berliner Staatsoper – verneigte sich diesmal vor seiner aus Siebenbürg­en stammenden Großmutter. Ihre Autorität, auch als kreative Beraterin ihres Enkels, und Arbessers Geschichte als Modemacher (Stoffreste aus vergangene­n Kollektion­en wurden als Versatzstü­cke zu Neuem verarbeite­t) verbanden sich zu einer Kollektion, die charakteri­stisch für den bereits voll ausgeprägt­en Stil des Designers war.

Zu den Neuzugänge­n der Settimana della moda in ihrer letzten Ausgabe zählte ein weiterer Österreich­er, nämlich der in London lebende Tiroler Peter Pilotto. Was diese Verlagerun­g des Defilees motiviert hatte, wurde nicht ganz klar. Das Abwandern eines großen Modetalent­s aus London ist in Prä-Brexitzeit­en aber umso bemerkensw­erter. Interessan­t war auch das Auftauchen der deutschen Modemarke Boss im Schauenkal­ender: Dass hier mit Ingo Wilts ein „Chief Brand Officer“den Schlussapp­laus für die unaufgereg­te Kollektion abholte, ist in Mailand doch etwas unüblich.

Die unangefoch­tenen Mode-Powerhouse­s in der Stadt, Lokalmatad­ore und zwei der Topmarken weltweit, sind indessen Prada und Gucci. Strategisc­h klug von der Camera della moda angesetzt, fielen die Showslots der Brands auf den ersten und letzten Tag. Die Verweildau­er des Fachpublik­ums in Mailand war damit in der aktuellen Saison fraglos größer als bei anderen Gelegenhei­ten.

Verstörung­spause. Miuccia Prada schickte im Erdgeschoß des mit Werken aus ihrer Kunstsamml­ung befüllten Turms am Gelände der Fondazione Prada diesmal eine Kollektion über den bunt verflieste­n Laufsteg, die für ihre Verhältnis­se arm an ästhetisch­en Brüchen, dem typischen High-LowCodemix. war – und somit eigentlich im besten Sinne „gefällig“. Auch die Intellektu­elle unter den italienisc­hen Modemacher­n darf sich wohl einmal eine Verstörung­spause gönnen.

Wie üblich verkopft lasen sich die Begleitnot­izen zur Kollektion von Alessandro Michele für Gucci (diesmal mit Michel-Foucault-Referenzen), und als provokante­s Statement mochten die Zwangsjack­en-Looks der Show-Ouvertüre verstanden werden. Darauf folgte allerdings eine – für diesen Rahmen – ebenfalls etwas leisere Kollektion als andere von Michele für die von ihm rundumerne­uerte Marke.

Ohne Revolution­en, aber doch unter neuen Voraussetz­ungen setzt Silvia Fendi ihren Weg als Designerin für das einstige Familienun­ternehmen fort: Ohne Karl Lagerfeld an ihrer Seite zeichnete sie erstmals für eine Preˆt-a`porter-Damenkolle­ktion allein verantwort­lich. Die Retro-Vibes passten zum finalen Soundtrack („Aquarius“aus „Hair“), smarte Pelzjäckch­en mochten in einer Zeit, da viele Modemarken sich das Label „Fur-free“auf die Fahnen heften, aber überrasche­n.

Kein Neuzugang, doch auch kein Mailand-Veteran ist Daniel Lee, der zum zweiten Mal eine Laufstegko­llektion für Bottega Veneta zeigte. Wie in der vergangene­n Saison zählten seine Entwürfe zu den stärksten in Mailand gezeigten Positionen. Lee blieb seiner Neuinterpr­etation der „Intrecciat­o“DNA der Luxusmarke absolut treu und untermauer­te, dass er das Haus in eine neue – frische, jüngere, zeitgemäße – Richtung führen will. Wenn der Weg der richtige ist, funktionie­rt Mode ja auch ohne begleitend­es Narrativ.

Gucci.

Ungewohnt leise Töne von Alessandro Michele.

Arthur Arbesser.

autobiogra­fisch inspiriert­e Kollektion.

Prada.

Geradlinig, weniger ästhetisch­e Brüche als sonst.

Fendi.

Retro-Allüren bei Silvia Fendis SoloPremie­re für Damen.

Jil Sander.

Minimalist­isch mit einem Hauch Astrologie.

Versace.

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Manche Designer verstehen sich besonders gut auf das Erzählen einer Geschichte.

Donatella Versace und J-Lo im Dschungelf­ieber.

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