Die Geister, die der Schamane rief
Der sibirische Heiler Alexander Gabyschew wollte »Dämon Putin« aus dem Kreml austreiben. Die Behörden werfen ihm nun Extremismus vor. Sie fürchten nichts so sehr wie politische Eigeninitiative.
Die russische Staatsmacht sei „schrankenlos und dämonisch“, hat Alexander Gabyschew einmal gesagt. Der 51-Jährige ist in seiner Heimat besser bekannt als „der Schamane“, der aus dem sibirischen Jakutsk einen 8000 Kilometer langen Fußmarsch nach Moskau angetreten ist, um Russland von Wladimir Putin zu befreien. Die Behörden haben seinen Plan vereitelt und halten ihn fest. In seiner jüngsten Videobotschaft ist Gabyschew kaum wiederzuerkennen. Jemand hat ihn auf ein braunes Sofa vor einer beigen Wand gesetzt. Er trägt eine sehr ordentliche graue Strickjacke, bis zum Hals zugezippt. Bisher trat er stets in fröhlichen T-Shirts auf. Doch der Clip ist aus einem anderen Grund verstörend. Nicht der Schamane ist Autor des Auftritts, sondern die Männer, die nicht im Bild zu sehen sind. Dieselben, die ihn anweisen, sich vorzustellen und ein wenig über sich zu erzählen. „Freunde, ich bin in Jakutsk“, sagt der Schamane an seine Anhänger gerichtet. „Hier geht man normal mit mir um, korrekt, im Rahmen des Gesetzes.“Dann erwähnt er die Verhöre und den erzwungenen Rückflug nach Jakutsk so beiläufig, als befände er sich auf Erholung, als wäre nicht sein großes Projekt von den Behörden mit Methoden vereitelt worden, die kaum als gesetzmäßig zu bezeichnen sind. Seinen Anhängern rät er, nach Hause zu gehen, sich auszuruhen, so wie er. Und er beteuert, nervös in Richtung der Männer im Hintergrund blickend: „Alles ist im Rahmen des Gesetzes, es hat keine Verletzung der Menschenrechte gegeben, alles normal, ich bin zufrieden.“
Dem Schamanen drohen bei einer Verurteilung bis zu vier Jahre Gefängnis.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist jedem Zuseher klar, dass nichts normal ist. Und dass der Schamane, dessen Fußmarsch nach Moskau in diesem Sommer immer mehr Russen mitverfolgt haben, im Namen des Gesetzes nicht beschützt, sondern bedroht wird. Gabyschews nächtliche Verhaftung am 19. September am Ufer des Baikalsees glich einem behördlichen Raubüberfall (40 zum Teil schwer bewaffnete Männer waren beteiligt); sein Abtransport in einem Kleinbus einem Kidnapping; sein erzwungener Rückflug einer Abschiebung. In der Operation schwang eine Mixtur aus Härte und Panik, Willkür und Hilflosigkeit mit. Mittlerweile wird gegen den Mann, der nicht aus Jakutsk ausreisen darf, wegen „öffentlicher Aufrufe zu extremistischen Handlungen“ermittelt. Das kann mit bis zu vier Jahren Haft bestraft werden. Lokalmedien berichten, dass auch seine Anwälte unter Druck stehen. Auf seine Mitwanderer, die zunächst seinen Weg fortsetzen wollten, dürfte man ebenfalls eingewirkt haben. Sie brachen diese Woche ihren Marsch ab. Die Idylle des Freiheitssommers geht im nahenden sibirischen Winter unter. Keine Lagerfeuer und Lieder mehr im Abendrot, keine Selfies mit Bewunderern der bunten Truppe, die am Straßenrand anhielten.
Amnesty International erklärte Gabyschew nach seiner Festnahme zum