Die Presse am Sonntag

Gierschlun­d Faust reißt alles an sich

Martin Kuˇsej hat seine »Faust«-Inszenieru­ng von München nach Wien transferie­rt. Im Burgtheate­r wirkt sie sehr originell, sofern man den Text nicht im Ohr hat. Fulminant: Das Ensemble.

- VON BARBARA PETSCH

Goethes Poesie in der Häckselmas­chine, Monologe zu Schlagwört­ern zerhackt, Zitate verändert, die Dramaturgi­e auf den Kopf gestellt: 2014 brachte Martin Kusejˇ am Münchner Residenzth­eater „Faust I und II“heraus, seit Freitagabe­nd ist die Inszenieru­ng im Burgtheate­r zu sehen. Ein Sakrileg, aber auch ein kühnes Unterfange­n. Der fragmentie­rte Stoff dient als Bild für eine fragmentie­rte Gesellscha­ft, Menschen im Banne von YouTube, Games, Twitter, Instagram und Handy, die sich, außer beim Meditieren, nur mehr sehr kurz auf eine Sache konzentrie­ren wollen und können.

Dieses „Faust“-Konzept ist interessan­t, das Ensemble hervorrage­nd. Die Story in Kürze: Faust hat sich bei seiner Raserei durch die Welt ruiniert. Eine Herz-OP, ausgeführt von Mephisto, der hernach als Begleiter engagiert wird, rettet dem Businessma­n das Leben. Doch wenn Mephisto seinen schwarzen Mund aufreißt, fühlt der Patient Beklemmung in der Brust. Faust geht in die Disco, er möchte mit jungen Leuten tanzen, aber die verspotten ihn nur. Im Boxring wird er ans Gitter geklatscht. Aleksandar Denic´ baute eine tolle Konstrukti­on für die Bühne, einen Kran, Plattforme­n, kleine Räume, die dominante Farbe ist Schwarz, das Innere der Kemenaten leuchtet weiß auf.

Baustelle Leben. Die Welt ist eine Baustelle wie das Leben, diese Binsenweis­heit erhält hier erschrecke­nde Wucht. „Der Kampf um Ruhe und Raum“, titelte neulich „Die Zeit“. Faust lässt alles zubetonier­en, der Kolonisato­r als Baulöwe. Bald nach dem Beginn fallen ihm das alte Paar, Philemon und Baucis, zum Opfer. Fausts Welterober­ung bildet die Klammer dieser Aufführung, seine Liebesgesc­hichte mit Gretchen ist bloß eine Episode, die Phase eines schwächeln­den Lebemannes. Faust will eine Auszeit, vielleicht gar aussteigen, aber die leidenscha­ftliche Margarete macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Auch sexuell ist das Fräulein fordernd. Faust, inzwischen Mädchen- und Waffenhänd­ler, geht zurück ins Bordell. Doch Margarete in Gestalt eines noch jüngeren Kindes verfolgt ihn. Das Ende ist unheilig. Drei Stunden und 15 Minuten mit einer Pause dauert dieser meist atemberaub­ende Abend. Werner Wölbern als Faust bleibt unverjüngt, die Hexe macht ihm bloß was vor. Hier ist alles Fake, was bei Goethe magisch oder edel wirkt. Wölbern begeistert als rastloser Manager im grauen Anzug, nicht einmal im Bett mit Margarete (Andrea Wenzl) zieht er seine Unterhose aus, ein Wüstling eben. Wenzl bezaubert mit Dramatik und Innigkeit. Ein anderer Höhepunkt der Aufführung ist die perfide Szene zwischen Faust und Schüler Wagner (Jörg Lichtenste­in): Faust will sich töten, Wagner rettet ihn, Faust ist erst zornig, dann dankbar.

Beglau. Ein bizarres Ereignis ist Bibiana Beglaus Mephisto, eingespann­t in einen Teufelskon­zern, der Versager beim Seelenfang degradiert. Beglau zeigt den größten Facettenre­ichtum. Dieser Mephisto vergnügt sich gern mit Hexen, offenbar ist auch Frau Marthe (Alexandra Henkel) eine solche, und Marie-Luise Stockinger als Magierin scheint sich gleichfall­s mehr auf sexuellen Hokuspokus denn auf echte Zauberei zu verstehen. Philemon (Jürgen Stössinger) ist ein selbstbewu­sster Bauer. Barbara Petritsch gibt Baucis im Brautkleid, ferner Margaretes barsche Mutter, die – anstelle von Lieschen - ihre Tochter vor dem Ehrverlust warnt.

Während Kusejˇ seine erlesene Mannschaft durch diesen „Faust“jagt, der ohne Himmel und Helena auskommt, dafür aber reichlich irdisches Höllenfeue­r entfacht, nimmt er sich für manche Szenen wieder sehr viel Zeit: Auf Mephistos Rücken kommt Faust nachts aus der Bar und trifft auf Margaretes Bruder Valentin (Daniel Jesch), der in seinem grandiosen Monolog auch durchschim­mern lässt, wie eine ehrlichen Kleinbürge­rfamilie durch einen Großkapita­listen ausradiert wird.

Sex und Profit statt Religion: Am Ende wartet nicht das Heil, sondern die Finsternis. Andrea Wenzl bezaubert mit Innigkeit als Margarete, die einzig Ehrliche dieses Abends.

Mit der Wortdeutli­chkeit hapert es noch in der großen Burg, das Residenzth­eater ist kleiner. In einigen Sequenzen, mit IS-Truppen und im Bordell, wo Wahnsinn und Elend ineinander­fließen, merkt man die Jahreszahl dieser Inszenieru­ng. Doch so viel hat sich auch wieder nicht geändert seit 2014. Die Scheinwerf­er der öffentlich­en Aufmerksam­keit richten sich jeweils auf die neuesten Schauplätz­e, während frühere nicht verschwind­en, sondern nur ins Dunkel sinken.

Dieser „Faust“lässt viele Möchtegern-Dekonstruk­teure von Stücken alt aussehen: Der Wahnsinn hat hier wirklich Methode. Die Aufführung zeigt einen gereiften Spielmache­r mit einer klaren, aber nicht billigen politische­n Botschaft und Einfallsre­ichtum. Starker Applaus, einige Buhs für Kusej.ˇ

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Matthias Horn Nur kurz vermag Margarete (Andrea Wenzl) den ruhelosen Faust (Werner Wölbern) zu fesseln.

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