Die Presse am Sonntag

Das neue Burgtheate­r sieht noch nicht sehr jung aus

Die ersten Wochen von Martin Kuˇsej als Burgchef sind vorbei, wie ist er gelandet? Taugt er zum »Wunderwuzz­i«? Eine Analyse.

- BARBARA PETSCH

Ein Burgtheate­rdirektor, der seine erste Spielzeit mit elf Schließtag­en eröffnet und seine erste Neuinszeni­erung, Kleists „Hermannssc­hlacht“, erst Ende November schafft, da hätte es früher einen Aufstand gegeben. Beim Kärntner Martin Kusej,ˇ der zuletzt Intendant des Residenzth­eaters in München war, gab es keinen Widerspruc­h. Im Gegenteil, Kusej,ˇ der bei öffentlich­en Auftritten sympathisc­h rüberkommt und eloquenter wirkt als früher, erhielt reichlich Vorschussl­orbeeren. Zu Recht?

Besser Bakchen als Party. „Die Bakchen“des Euripides in der Regie von Ulrich Rasche, die erste echte Neuprodukt­ion, wurde gelobt. Für manche war das wenig überrasche­nd, nach Rasches imposanter Interpreta­tion der „Perser“von Aischylos bei den Salzburger Festspiele­n. Rasche ist der etwas andere Michael Thalheimer: Er agiert klug und stringent, verbreitet Zeitgenoss­enschaft, die dem Theater in politisch unruhigen Zeiten wohl ansteht. Wajdi Mouawads „Vögel“im Akademieth­eater erhellen, neben den Klassikern, ein weiteres wichtiges The„Die Bakchen“über Feinde der Rationalit­ät. Burgtheate­r (Termine: 2., 5. 10.). ma in Kusejsˇ Programm: Internatio­nales Theater. Die Aufführung ist aktuell, schauspiel­erisch großartig. Manche Kritiker fanden das Drama konstruier­t, es zeigt aber die fließenden Grenzen zwischen Tätern und Opfern. Diskurs ist wichtig in der Bühnenkuns­t.

Auch Sally Potters „Party“bietet weltanscha­ulichen Konfliktst­off, den Gap zwischen Reden und Handeln, im linken Milieu, aber auch anderswo. Freilich übertraf der Film der Autorin die Aufführung, trotz Besetzung mit Publikumsl­ieblingen (Regina Fritsch, Dörte Lyssewski, Peter Simonische­k), bei Weitem. Die Burg zeigt viele Übernahmen aus München, etwa „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, Edward Albees Ehekriegsk­lassiker bietet eine tolle Besetzung, aber: Ist dieses Stück wirklich noch so zeitgemäß? Hat sich die Stellung der Frau seit 1962 nicht doch stark verändert? Auch „Faust“ist eine Übernahme aus München, „Die Edda“eine aus Hannover, und „Don Karlos“war ebenfalls am Residenzth­eater zu erleben. Das Burgtheate­r bekommt seine hohen Subvention­en für Eigenprodu­ktionen. Eine Filiale des deutschen Stadttheat­ers ist es schon lang. Diese Schraube wurde wohl aus Budgetgrün­den etwas weitergedr­eht.

Die Burg sollte, hart gesagt, nicht dem Gesundheit­s- und dem Bildungssy­stem folgen, Leistungsr­ückgang bei gleich bleibenden oder steigenden Kosten. Künstleris­ch hat Kusejsˇ Konzept Qualitäten. Er untersucht Religion als Zünd- und Klebstoff, ist Kultus bloß ein Kulturphän­omen, was macht Gott dabei, gibt es ihn? Ferner werden Falltüren, Abgründe in der Gesellscha­ft erkundet. Hier muss sich das Theater aber anstrengen, wenn es gegen Meisterwer­ke wie Michael Hanekes „Happy End“(Amazon) ankommen will.

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