»Sportreporter zu sein ist mein Wunsch«
Der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier ist leidenschaftlicher Wechselwähler und Datensammler. Im ORF, mit dem er einst in »wilder Ehe« lebte, hat er stets ein Ersatzhemd parat – auch der Schokolade wegen. Im Interview erzählt er, wie es ihm gelingt, n
Ärgern Sie sich eigentlich darüber, dass Sie wegen des Ibiza-Videos den Sommer anstatt in Ihrer Finca auf Mallorca im ORF-Studio verbracht haben?
Peter Filzmaier: Durchaus. Ich hatte vor, mich an wissenschaftliche Publikationen zu setzen – daraus wurde nichts. Auch meine Hoffnung, in den Herbstferien ein paar Tage auf der Insel zu verbringen, wurde enttäuscht, da die Steirer nun auch vorzeitig wählen.
Wissenschaftliche Publikationen klingen allerdings auch nicht sonderlich erholsam. Seit mich im Vorjahr eine Erkrankung außer Gefecht gesetzt hat, halte ich mich an fixe Ruhetage – bis vor Kurzem hat das auch gut funktioniert. Nun wird es heftiger, aber ich habe die Zeit nach November im Blick.
Und einen Flug nach Mallorca?
Ein Grund, weshalb ich die Insel so schätze, ist, dass sie das ganze Jahr über direkt angeflogen wird – wenn schon unökologisch reisen, dann wenigstens ohne umsteigen. Übrigens besuche ich ab und zu auch Ibiza – aber per Fähre.
Strache haben Sie dort aber nicht besucht? (Lacht.) Nein. Ich bin zwar mit ein paar aktiven wie ehemaligen Politikern per Du, manche haben ja sogar wie ich Politikwissenschaft studiert. Strache gehört aber nicht dazu.
Nicht nur der Ex-FPÖ-Chef verlor zu Wahlkampfzeiten zuweilen seine Stimme und seine gute Laune, auch andere Politiker haben damit zu kämpfen. Sie dagegen wirken stets frisch. Wie schaffen Sie das?
Ich versuche, mich zwischen den Sendungen bewusst zurückzuziehen. Außerdem habe ich, anders als Spitzenkandidaten, die Option, mich vertreten zu lassen, das beruhigt ungemein. Aber: Ich bin ein von Grund auf politisch interessierter Mensch, daher bin ich in Wahlkämpfen immer voller Adrenalin – würde ich diesen Kick nicht mehr spüren, müsste ich Job wechseln.
Andere Hilfsmittel haben Sie nicht?
Der Hustinettenbär ist oft mein bester Freund. Kaffee schmeckt mir hingegen gar nicht, Schokolade dafür immer. In Sendepausen greifen ich und mein Kollege Christoph Hofinger vom Sora-Institut, auf dessen Hochrechnungen ich mich am Wahlabend stütze, oft unter das Pult – und begeben uns in große Gefahr. Denn Schokoladeflecken auf dem Hemd machen sich live nicht gut.
Wie man zuletzt gesehen hat, gäbe es für Sie zur Not gar einen Schlafsack im ORF. Lagern Sie dort auch Ersatzhemden? Faszinierend ist, dass dieser Gag – von Armin Wolf und mir – mit dem Schlafsack für „Willkommen Österreich“auch in sozialen Medien zu so einem Publikumshit wurde. Uns hat das einfach Spaß gemacht. Ein Zweithemd habe ich aber am Wahlabend oder bei langen Sondersendungen wirklich mit. Sicherheitshalber für alle Fälle und nicht nur wegen der Schokolade.
Abgesehen vom Griff zur Schokolade, was sind weitere Hürden am Wahlabend?
Der Faktor Zeit. Seit der Aufhebung der Bundespräsidentenwahl erhalten weder die Medien noch die Forschungsinstitute vorab Zahlen aus dem Innenministerium. Wenn dann um 17 Uhr erste Daten da sind und wenig später die erste Analyse abgegeben werden muss, ist das fordernd. Ich behelfe mir, indem ich schon Tage vorher diverse Varianten, auch die unwahrscheinlichsten, durchdenke. Was außerdem hilft, ist unsere Wahltagsbefragung – deren einziges Manko darin besteht, dass ich
Peter Filzmaier
(*5. September 1967, Wien) war u. a. als Lehrbeauftragter an den Universitäten Wien, Salzburg und Innsbruck tätig.
Seit 2005
hat er den Lehrstuhl für Demokratiestudien und Politikforschung an der Donau-Universität Krems inne, wo er bis 2018 auch das Department für Politische Kommunikation leitete. Seit 2010 ist er als Professor für Pol. Kommunikation an der Karl-FranzensUniversität in Graz tätig.
Seit 2015
ist Filzmaier, der verheiratet und Vater einer Tochter ist, auch Kolumnist in der „Kronen Zeitung“. Zudem fungiert er als Analyst im ORF und ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Strategieanalysen (ISA) in Wien.
Tipp:
Peter Filzmaier ist kommende Woche zu Gast im neuen „Presse“-Podcast
bei AnnaMaria Wallner. Den Podcast kann man auf Apple, Google und Spotify abonnieren.
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immer viel mehr Leute als möglich befragen würde. Wissenschaftler eben.
Haben Sie trotz Vorbereitung auch schon einmal gründlich danebengegriffen?
Ich wurde von den Wählern einmal sehr überrascht – und zwar von den Kärntnern bei der „Jörg-Haider-Gedächtniswahl“nach dem Tod des damaligen Landeshauptmanns 2008. Ich hatte mit einem guten Abschneiden des BZÖ gerechnet, dass es so ein krasser Sieg werden würde (44,9 Prozent vor der SPÖ mit 28,7 Prozent, Anm.), hätte ich nicht zu träumen gewagt. Und ich habe mich einmal vor laufender Kamera in Grund und Boden verrechnet: Ich habe mit zu vielen Zahlen hantiert und letztlich kamen anstelle von 100 120 Prozent heraus – allerdings ist das zunächst niemandem aufgefallen, nicht mal dem Interviewer, Armin Wolf.
Besagter Moderator holte Sie Ende der 1990er zum ORF, nachdem er eines Ihrer Seminare besucht hatte. Sie sprachen über das Amtsenthebungsverfahren des früheren US-Präsidenten Bill Clinton. Haben Sie sich damals gedacht: Schau, Mutter, jetzt habe ich es geschafft? Sie hätte Sie ja lieber im Bankensektor, denn als Politologe gesehen. Armin Wolf ging damals ein Risiko mit mir ein. Ich hatte bis dato nie live im Fernsehen gesprochen. Zum Glück ging alles gut, und so rutschten der ORF und ich in eine wilde Ehe. Mittlerweile sind wir vertraglich aneinander gebunden. Zu meiner Mutter: Eines auswischen wollte ich ihr nie, ich verstand ja ihre Bedenken. Als Kind der Nachkriegsgeneration wollte sie für ihren Sohn einen vermeintlich sicheren Job mit geregelten Arbeitszeiten.
Sie verspüren also weder Stolz noch Reue, wenn Sie an diese Zeit zurückdenken?
Ich war glücklich, den Auftritt geschafft zu haben. Wehmut kam erst später, als der ORF merkte, dass ich nicht nur für US-Analysen tauge, sondern auch für die österreichische Politik. Seither muss ich um die Zeit für meine USA-Forschung kämpfen. Vielleicht klappt es 2020. Aus jetziger Sicht wählen die Wiener noch vor dem Sommer. Ich hege daher die Hoffnung, im Herbst bei den Präsidentschafts- und Kongresswahlen dabei sein zu können – aber seit „Ibiza“bin ich vorsichtig beim Hoffen.
Sehen Sie sich die Interviews, die Sie im Fernsehen geben, eigentlich an?
Nein, denn ich bin ständig mit mir unzufrieden und wenn ich sie dann ständig noch einmal sehe, steigert sich diese Unzufriedenheit noch weiter. Es gibt nur einen Grund für mich, mich dem auszusetzen, nämlich, wenn ich mir den Wortlaut ins Gedächtnis holen will. Das kommt sehr selten vor.
Warum sind Sie unzufrieden mit sich?
Weil mir im Nachhinein immer einfällt, was ich noch alles hätte sagen können, welche historischen Vergleiche ich hätte ziehen können und dergleichen mehr. Doch dafür reicht die Zeit im Fernsehen eben nie.
Wenn Sie sich selbst in drei Sätzen analysieren müssten, wie würden diese lauten?
Ich bin ein typischer Wissenschaftler, am liebsten inmitten von Büchern, der immer mehr wissen möchte. Für mich gibt es nie genug Datenmaterial.
In Ihre Analysen packen Sie nicht nur Umfragewerte und Hochrechnungen, sondern so manche Wuchtel – 2016 meinten Sie etwa, Norbert Hofer sei „mit Panzerfaust und Dreschflegel“gegen Alexander Van der Bellen vorgegangen. Wie viel Bauchgefühl mischt bei solchen Aussagen mit?
Es handelte sich dabei um die letzte direkte Konfrontation der beiden vor der Bundespräsidentenstichwahl. Und es . . . welchen Parteien Sie bisher Ihre Stimme gegeben haben?
Als Politikwissenschaftler bin ich leidenschaftlicher Wechselwähler – und gut beraten, nicht zu verraten, wo ich mein Kreuzerl gesetzt habe. So viel sei aber verraten: Ich habe, nimmt man bundesweite, Landtags-, Gemeinderats- und EU-Wahlen zusammen, schon fünf verschiedenen Parteien meine Stimme gegeben.
. . . ob Sie zur Abwechslung gern einmal ein Skirennen oder ein Fußballmatch kommentieren möchten?
Sportreporter zu sein ist mein größter Wunsch – am liebsten wäre mir ein Marathon, etwa der Weltrekordversuch, den Eliud Kipchoge im
Oktober im Wiener Prater plant. Denn bis zum Vorjahr war ich selbst regelmäßiger Volksläufer.
. . . welche Frage Sie nicht beantworten möchten?
Alles, was mit meinem Privatleben zu tun hat. Meine Haustür ist verschlossen – das dient auch dem Selbstschutz. war äußert offensiv. Insbesondere Hofer, der davor betont gelassen aufgetreten war, griff seinen Kontrahenten sehr heftig an, nahm zig Mal das Wort Lüge in den Mund, wahrscheinlich mit dem Ziel, potenzielle Van-der-Bellen-Wähler zu demobilisieren. Eine solche Strategie kommt selten gut an, wie wir aus Fokusgruppen wissen – die Analyse war also durchaus datenbasiert.
Nehmen Sie an Umfragen teil, wenn Sie auf der Straße angesprochen werden, oder gehören Sie zu den Schnell-Weggehern?
So unhöflich bin ich nicht, dass ich mich umdrehe und wegeile, aber ich warne alle davor, einen Sozialwissenschaftler zur Umfrage zu bitten. Denn, wir haben es geradezu in den Genen, dass wir immer über die Fragestellung diskutieren wollen, anstatt die Fragen einfach zu beantworten.
Umgekehrt gefragt: Standen Sie je auf der Straße, etwa in Ihrer Studienzeit, und haben Passanten um Antworten gebeten?
Ja, das habe ich wirklich mal als Studentenjob gemacht. Allerdings waren es meistens Telefoninterviews. Doch das ist fast noch schwieriger: Ohne Blickkontakt und ohne zu wissen, ob man jemanden vielleicht gerade beim Essen oder Fernsehen stört, um Interviews zu bitten. Vielleicht wollte der Gesprächspartner ja auch gerade dringend aufs Klo . . .
Seit Ihrem 26. Lebensjahr sind Sie Doktor, hatten zahlreiche Lehraufträge, analysieren und kommentieren Wahlen, haben Professuren in Krems und Graz, sind geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Strategieanalysen, seit rund 21 Jahren verheiratet und haben eine Tochter. Wie viel Zeit bleibt für Familiäres?
Sie sprechen mit dieser Frage mein immerwährendes schlechtes Gewissen an. Ich muss zugeben: viel zu wenig.