Hinter der Mauer bröckelt es
Wie ergeht es den Türkisen mit den Grünen? Wie den Grünen mit den Türkisen? Eine Momentaufnahme.
Auch am Dienstag passte kein Löschblatt zwischen Sebastian Kurz und Werner Kogler. Der Bundeskanzler wurde von einem Journalisten gefragt, ob er der Bevölkerung bewusst Angst machen wollte, wie das ein Gesprächsprotokoll einer Sitzung im März nahelegt. Kogler nahm Kurz daraufhin in Schutz, wiewohl der Kanzler das gar nicht nötig habe, wie der Vizekanzler noch anfügte: Er, Werner Kogler, habe damals nämlich noch die drastischeren Worte gewählt. Das sei auch notwendig gewesen, angesichts der realen Bilder des Schreckens aus Italien, wo das Militär die Leichen abtransportierte.
Kurz und Kogler stehen also wie eine Mauer. Dahinter bröckelt es aber. Die ÖVP hatte die Grünen bzw. das von ihnen geführte Gesundheitsministerium gleich in Verdacht, das Angstmache-Protokoll an die Öffentlichkeit gespielt zu haben. Die Grünen wiederum fühlen sich von Kurz, der sich stark an Israels Premier Benjamin Netanjahu orientiert, und dessen restriktiven Vorstellungen unter Druck gesetzt.
Bei der Corona-App hätte die ÖVP gern eine Verpflichtung gehabt, die Grünen beharrten auf Freiwilligkeit, seither interessiert das die ÖVP nicht mehr sonderlich. Die ÖVP wollte Strafen für alle, die der Maskenpflicht nicht nachkommen. Die Grünen wollten diese Regel ohne Sanktionen einführen. Erst ganz am Ende einer Nationalratssitzung brachte die Koalition überraschend noch einen Abänderungsantrag ein, der Strafen für Maskenverweigerer möglich machte. Scharmützel gab es auch wegen verwirrender Erlässe und Verordnungen, verantwortet vom Gesundheitsressort. Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler rügte Rudolf Anschober sogar öffentlich.
Dabei hatte Kurz Anschober zuvor noch in Schutz genommen und sinngemäß gemeint, es sei jetzt nicht so wichtig, dass Verordnungen auf Punkt und Beistrich passen, das werde später der Verfassungsgerichtshof klären. Übrig blieb medial: Kurz achte die Verfassung nicht – im Gegensatz zu den Grünen. Was wiederum Kurz wurmte.
Die Juristen aus dem ÖVP-geführten Innen- und dem grün geführten Gesundheitsministerium sollen überhaupt öfter unterschiedliche Ansätze verfolgt haben. Etwa rund um die Ausgangsregeln und den Oster-Erlass. Diese fielen zwar in die fachliche Verantwortung des Gesundheitsministers, das Innenressort redete aber mit.
Die Lage aus grüner Sicht stellt sich so dar: Während es im Kanzleramt eine Tendenz zum Befehlen und Verordnen gibt, setze man selbst stärker auf Einbindung. So vertraten die Grünen die Meinung, dass man bei den Menschen bloß Widerstand erzeuge, wenn man zu sehr in den Befehlston verfalle. Unterstützung erhielten sie vom Roten Kreuz, das mit Bundesrettungskommandant Gerry Foitik in allen Krisenstäben vertreten ist. Foitik bot an, eine Kampagne auf die Beine zu stellen – und der Kanzler ließ ihn gewähren. Heraus kamen Botschaften wie „Schau auf dich, schau auf mich“. Im Nachhinein fühlen sich die Grünen bestätigt: „Die Leute haben mitgemacht und sich freiwillig eingeschränkt, weil sie verstanden haben, worum es geht.“
Kurz vs. Merkel. Sebastian Kurz sei es jedenfalls sehr wichtig, dass Österreich unter den besten Staaten sei. Vor allem will er wieder einmal besser dastehen als Angela Merkel. Die Flüchtlingskrise wirkt offenbar noch nach. Die Ich-Bezogenheit des Kanzlers sorgte mitunter auch für grüne Kritik.
Beide Seiten berichten jedoch übereinstimmend von einer nach wie vor sehr professionellen Zusammenarbeit. Es sei zwar in den Krisenwochen immer wieder zu Konflikten gekommen, aber es sei gelungen, nach außen hin stets ein geschlossenes Bild zu vermitteln. Auch die legistischen Probleme im grünen Gesundheitsministerium sieht man in der ÖVP letztlich nicht so eng: „Wo gehobelt wird, fallen Späne.“Interessant, aber auch nicht wirklich ins Gewicht fallend, fand man auf türkiser Seite, dass sich Rudolf Anschober mehr als Ideologe und Werner Kogler als Pragmatiker entpuppt habe.
Für Verstimmung in der ÖVP sorgte zwischenzeitlich jedoch auch Werner Kogler: Als er eine Steuer auf Erbschaften in Millionenhöhe vorschlug, um einen Teil der Krisenschulden zu begleichen. Er nahm damit wohl auch schon das Koalitionsdilemma vorweg, in das die Grünen in den kommenden Monaten geraten könnten.
Ein Vermögen auf baldige Neuwahlen sollte man aber nicht wetten. Denn wie sagt einer aus der türkisen Regierungsriege? „So gut war es noch nie. Nicht einmal mit den Blauen. Und mit denen war es schon sehr gut.“