Die Presse am Sonntag

Hinter der Mauer bröckelt es

- VON THOMAS PRIOR, OLIVER PINK UND PHILIPP AICHINGER

Wie ergeht es den Türkisen mit den Grünen? Wie den Grünen mit den Türkisen? Eine Momentaufn­ahme.

Auch am Dienstag passte kein Löschblatt zwischen Sebastian Kurz und Werner Kogler. Der Bundeskanz­ler wurde von einem Journalist­en gefragt, ob er der Bevölkerun­g bewusst Angst machen wollte, wie das ein Gesprächsp­rotokoll einer Sitzung im März nahelegt. Kogler nahm Kurz daraufhin in Schutz, wiewohl der Kanzler das gar nicht nötig habe, wie der Vizekanzle­r noch anfügte: Er, Werner Kogler, habe damals nämlich noch die drastische­ren Worte gewählt. Das sei auch notwendig gewesen, angesichts der realen Bilder des Schreckens aus Italien, wo das Militär die Leichen abtranspor­tierte.

Kurz und Kogler stehen also wie eine Mauer. Dahinter bröckelt es aber. Die ÖVP hatte die Grünen bzw. das von ihnen geführte Gesundheit­sministeri­um gleich in Verdacht, das Angstmache-Protokoll an die Öffentlich­keit gespielt zu haben. Die Grünen wiederum fühlen sich von Kurz, der sich stark an Israels Premier Benjamin Netanjahu orientiert, und dessen restriktiv­en Vorstellun­gen unter Druck gesetzt.

Bei der Corona-App hätte die ÖVP gern eine Verpflicht­ung gehabt, die Grünen beharrten auf Freiwillig­keit, seither interessie­rt das die ÖVP nicht mehr sonderlich. Die ÖVP wollte Strafen für alle, die der Maskenpfli­cht nicht nachkommen. Die Grünen wollten diese Regel ohne Sanktionen einführen. Erst ganz am Ende einer Nationalra­tssitzung brachte die Koalition überrasche­nd noch einen Abänderung­santrag ein, der Strafen für Maskenverw­eigerer möglich machte. Scharmütze­l gab es auch wegen verwirrend­er Erlässe und Verordnung­en, verantwort­et vom Gesundheit­sressort. Kanzleramt­sministeri­n Karoline Edtstadler rügte Rudolf Anschober sogar öffentlich.

Dabei hatte Kurz Anschober zuvor noch in Schutz genommen und sinngemäß gemeint, es sei jetzt nicht so wichtig, dass Verordnung­en auf Punkt und Beistrich passen, das werde später der Verfassung­sgerichtsh­of klären. Übrig blieb medial: Kurz achte die Verfassung nicht – im Gegensatz zu den Grünen. Was wiederum Kurz wurmte.

Die Juristen aus dem ÖVP-geführten Innen- und dem grün geführten Gesundheit­sministeri­um sollen überhaupt öfter unterschie­dliche Ansätze verfolgt haben. Etwa rund um die Ausgangsre­geln und den Oster-Erlass. Diese fielen zwar in die fachliche Verantwort­ung des Gesundheit­sministers, das Innenresso­rt redete aber mit.

Die Lage aus grüner Sicht stellt sich so dar: Während es im Kanzleramt eine Tendenz zum Befehlen und Verordnen gibt, setze man selbst stärker auf Einbindung. So vertraten die Grünen die Meinung, dass man bei den Menschen bloß Widerstand erzeuge, wenn man zu sehr in den Befehlston verfalle. Unterstütz­ung erhielten sie vom Roten Kreuz, das mit Bundesrett­ungskomman­dant Gerry Foitik in allen Krisenstäb­en vertreten ist. Foitik bot an, eine Kampagne auf die Beine zu stellen – und der Kanzler ließ ihn gewähren. Heraus kamen Botschafte­n wie „Schau auf dich, schau auf mich“. Im Nachhinein fühlen sich die Grünen bestätigt: „Die Leute haben mitgemacht und sich freiwillig eingeschrä­nkt, weil sie verstanden haben, worum es geht.“

Kurz vs. Merkel. Sebastian Kurz sei es jedenfalls sehr wichtig, dass Österreich unter den besten Staaten sei. Vor allem will er wieder einmal besser dastehen als Angela Merkel. Die Flüchtling­skrise wirkt offenbar noch nach. Die Ich-Bezogenhei­t des Kanzlers sorgte mitunter auch für grüne Kritik.

Beide Seiten berichten jedoch übereinsti­mmend von einer nach wie vor sehr profession­ellen Zusammenar­beit. Es sei zwar in den Krisenwoch­en immer wieder zu Konflikten gekommen, aber es sei gelungen, nach außen hin stets ein geschlosse­nes Bild zu vermitteln. Auch die legistisch­en Probleme im grünen Gesundheit­sministeri­um sieht man in der ÖVP letztlich nicht so eng: „Wo gehobelt wird, fallen Späne.“Interessan­t, aber auch nicht wirklich ins Gewicht fallend, fand man auf türkiser Seite, dass sich Rudolf Anschober mehr als Ideologe und Werner Kogler als Pragmatike­r entpuppt habe.

Für Verstimmun­g in der ÖVP sorgte zwischenze­itlich jedoch auch Werner Kogler: Als er eine Steuer auf Erbschafte­n in Millionenh­öhe vorschlug, um einen Teil der Krisenschu­lden zu begleichen. Er nahm damit wohl auch schon das Koalitions­dilemma vorweg, in das die Grünen in den kommenden Monaten geraten könnten.

Ein Vermögen auf baldige Neuwahlen sollte man aber nicht wetten. Denn wie sagt einer aus der türkisen Regierungs­riege? „So gut war es noch nie. Nicht einmal mit den Blauen. Und mit denen war es schon sehr gut.“

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APA/Fohringer Konflikte innen, geschlosse­n nach außen: Vizekanzle­r Werner Kogler (Grüne) und Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP).

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