Die Presse am Sonntag

Kim Jong-un ist putzmunter – oder doch nicht?

- VON ANGELA KÖHLER (TOKIO)

Offizielle Fotos vom Samstag sollen belegen, dass Nordkoreas Diktator voll handlungsf­ähig ist. Aber das Rätselrate­n über den Verbleib des bizarren Machthaber­s geht trotzdem weiter.

Er ist wieder da. Angeblich weihte der nordkorean­ische Machthaber Kim Jong-un am Freitag in der Provinz Pyongan nordöstlic­h der Hauptstadt eine fertiggest­ellte Düngemitte­lanlage ein. So vermeldet es jedenfalls die amtliche Nachrichte­nagentur KCNA. Das Parteiblat­t „Rodong Sinmun“veröffentl­ichte Fotos, die den strahlend gut gelaunten Führer im Mao-Anzug beim Durchschne­iden eines roten Bandes zeigen.

Alle Anwesenden hätten frenetisch „Hurra“geschrien, um seinen Einsatz für das volkswirts­chaftlich wichtige Werk gebührend zu feiern, sagt die Propaganda. Unabhängig­e Berichte von der Feierlichk­eit gibt es jedoch nicht. Selbst die gewöhnlich gut informiert­e Website „Daily NK“von Überläufer­n aus Nordkorea in Seoul wurde bisher nicht entspreche­nd aktualisie­rt.

Dafür soll ein weiteres Bild – Kim lachend mit Funktionär­en auf einem Podium, hinter dem eine Losung das Datum 1. Mai 2020 vermerkt – der Öffentlich­keit zeigen: der Staatslenk­er ist putzmunter, absolut handlungsf­ähig und in voller Machtfülle. Und fast nebenbei war auch die Schwester Kim Yo-jong am Rande zu sehen. Globale Spekulatio­nen hatten ihr zuletzt seit dem Verschwind­en des Führers dessen Nachfolge zugetraut.

Dabei kam es der Propaganda diesmal weniger darauf an, was der Diktator mitzuteile­n hatte. KCNA notiert lediglich, „mit großer Ergriffenh­eit“habe sich Kim gefreut, dass sein Großvater Kim Il-sung und sein Vater Kim Jong-il über „die Nachricht, dass die moderne Phosphatdü­nger-Fabrik gebaut worden ist, begeistert gewesen wären.“

Heftige Spekulatio­nen. Beide sind schon Jahre tot, aber der dritte Machthaber in der Kim-Dynastie lebt. Das war die Botschaft. Völlig offen blieb, wo der Führer in den vergangene­n knapp drei Wochen abgebliebe­n war. Die ungewöhnli­ch lange Abwesenhei­t wurde mit keiner Silbe erwähnt.

Was war nicht alles spekuliert und mit vagen Vermutunge­n garniert worden. Kim Jong-un liege im Koma oder gar schon im Sarg, vielleicht aber auch in der Sonne der exklusiven Sommerresi­denz am Strand von Wo˘nsan, wo Satelliten seinen privaten Sonderzug gesichtet hatten. Aber Genaues wusste man nicht.

Als Erste hatte die Internetze­itung „Daily NK“vermeldet, der Diktator habe sich einer Herzoperat­ion unterziehe­n müssen. Der US-Nachrichte­nkanal CNN zog mit der auf Regierungs­beamte gestützten Nachricht nach, Kim sei nach einem misslungen­en Eingriff „in ernster Gefahr“. In einem japanische­n Boulevardb­latt war zu lesen, der Diktator liege im Koma. Ein Fernsehsen­der aus Hongkong vermutete sogar, Kim sei gestorben.

Für alle diese Gerüchte sprach vor allem, dass der Diktator nicht bei den Feierlichk­eiten zum Geburtstag von Staatsgrün­der Kim Il-sung am 15. April gesehen wurde. Immerhin ist dieser „Tag der Sonne“der höchste Feiertag im Kalender des altstalini­stischen Regimes. Da grenzt die Abwesenhei­t des

Trotz nur leicht gelockerte­m Corona-Lockdown ist die Ausfahrtss­traße von Posen Richtung Bydgoszcz (dt. Bromberg) am Samstag gut befahren. Die Großstadtb­ewohner zieht es raus zu den Seen und Wäldern im Nordosten der polnischen Wirtschaft­smetropole. 30 Kilometer lang war kein einiges Wahlplakat zu sehen, doch nun prangt sie außerhalb von Lednogora von einem Zaun herab: Die Präsidents­chaftskand­idatin der liberalen Bürgerplat­tform (PO) Małgorzata KidawaBłon´ ska wirbt mit einem Victory-„V“in den Landesfarb­en Rot-Weiss und dem einprägsam­en Slogan „Kidawa 2020“.

In und um Posen wird seit der Wende von 1989 liberal gewählt. Bei den Parlaments­wahlen vom Herbst 2019 hatte hier nicht Jarosław Kaczyn´ skis rechts-konservati­ve Partei „Recht und Gerechtigk­eit“(PiS) gewonnen, sondern die PO.

Im traditions­reichen Dorf Lednogora ist von der Corona-Krise wenig zu spüren, von den Präsidents­chaftswahl­en, die kommenden Sonntag stattfinde­n sollen, noch weniger. Trotz Maskenpfli­cht haben die wenigen Passanten alle Mund und Nase unverhüllt. Im Park am See trinken ein paar Junge mitgebrach­tes Bier. „Wahlen? Die finden doch eh nicht statt“, sagt einer von ihnen mit einer Pose zwischen Verwunderu­ng und Verachtung.

Wegen der Corona-Pandemie sollen die Polen am nächsten Sonntag per Briefwahl den Staatspräs­identen für die nächsten fünf Jahre bestimmen. Die Wahlen wurden für den 10. Mai anberaumt, lange bevor Covid-19 in Europa erste Opfer forderte. Inzwischen jedoch gilt in Polen seit über sechs Wochen Abstand halten und damit auch ein Versammlun­gsverbot von mehr als zwei Personen. An einen normalen Wahlkampf ist deshalb nicht zu denken. Der Streit der politische­n Akteure hat sich deshalb auf Wahldatum und -modalitäte­n verlagert.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass am nächsten Sonntag Wahlen stattfinde­n“, sagt auch der Bürgermeis­ter von Posen, Jacek Jas´kowiak. Er jedenfalls werde an solchen „Pseudowahl­en“auf dem Korrespond­enzweg bestimmt nicht teilnehmen, sagt der Liberale. Bei einer Pressekonf­erenz im Innenhof des Rathauses hatte Jas´kowiak angekündig­t, der Polnischen Post die für den Briefwahlv­ersand nötigen Wahllisten seiner Bürger mit den Adressen nicht zu übergeben.

Die 700.000 Einwohner-Stadt hat sich symbolisch zur „Freien Stadt“in Opposition zu Warschau erklärt. „Refugees welcome“prangt stolz ein Graffito am Hauptbahnh­of. In der Innenstadt sind jedoch fast genauso wenige Wahlplakat­e zu sehen wie im Umland. Ganz selten sieht man hier neben KidawaBłon­ska aber auch das Konterfei von Andrzej Duda (PiS), des Amtsinhabe­rs, der gern weitermach­en und Kaczyn´ ski bei seinem illiberale­n Staatsumba­u noch bis 2025 unterstütz­en möchte.

Beim Supermarkt der deutschen „Aldi“-Kette im Stadtteil Winogrady tragen wie überall in der Stadt die meisten Passanten Gesichtsma­sken. Man erledigt die Einkäufe schnell, die Anspannung angesichts der CoronaKris­e ist spürbar. Ein Gespräch über die Präsidents­chaftswahl­en ist unter diesen Bedingunge­n kaum möglich.

Politische­s Chaos. Frau Joanna hat mehr Zeit. Sie ist fast 90 und an ihr Haus gefesselt. Dort wartet sie bereits auf die Briefsendu­ng der staatliche­n Zentralen Wahlkommis­sion. „Ich habe gerade eine 13. Monatspens­ion erhalten und bekomme seit Jahresanfa­ng 400 Zloty mehr pro Monat. Keine Regierung vorher hat mir mehr gegeben. Natürlich werde ich Duda unterstütz­en“, sagt die Rentnerin.

Vor dem Coronaviru­s, der sich laut Opposition auf den Wahlunterl­agen befinden könnte, hat die Rentnerin keine Angst. „Das sagen die doch nur, weil sie selbst wieder an die Futtertrög­e zurückwoll­en.“Wenn die Regierung mit Gott zusammenha­lte, gelänge auch die

Rund 30 Millionen

Wahlberech­tigte sollen am kommenden Sonntag den polnischen Staatspräs­identen per Briefwahl wählen. Dafür muss kommende Woche aber noch das entspreche­nde Gesetz durch das Parlament, was angesichts einer wackeligen Mehrheit der regierende­n PiS nicht so sicher ist.

Favorit bei der Wahl

ist eindeutig der bisherige Amtsinhabe­r Andrzej Duda von der PiS. Laut Meinungsum­fragen kann er mit 63 Prozent der Stimmen rechnen. Alle anderen neun Kandidaten landen weit abgeschlag­en mit Werten unter zehn Prozent.

Wahl am 10. Mai und Duda sei seines Sieges sicher. Sobald das Kuvert da ist, will sie das Kreuz bei Duda machen.

Tadeusz P. steht noch voll im Berufslebe­n und ist beileibe kein PiS-Anhänger, wie er im Gespräch sofort betont, doch die Aufregung um den Wahltermin und die -modalitäte­n kann der Büroleiter nicht verstehen. „Trotz Corona können wir ins Geschäft, aber ins Wahllokal sollen wir nicht können, das ist doch absurd“, regt er sich auf.

Die Corona-Krise hat Polen innerhalb weniger Wochen in ein politische­s Chaos gestürzt, das zu einer veritablen Staatskris­e auszuwachs­en droht. Begonnen hatte alles Anfang April, als die regierende PiS im Sejm, der großen Abgeordnet­enkammer, in einer typischen Nacht-und-Nebel-Aktion eine Klausel über eine Briefwahl des Präsidente­n an ein Anti-Krisenpake­t knüpfte.

Seitdem verharrt das umstritten­e Gesetz im Senat, wo die liberale und linke Opposition über eine hauchdünne Mehrheit verfügt. Tomasz Grodzki (PO), der Senatsvors­itzende, hat bekannt gegeben, das Briefwahlg­esetz genau zu analysiere­n und möglichst spät (voraussich­tlich am 7. Mai) zurück zur letzten Lesung an den Sejm zu geben. Und je länger diese Unsicherhe­it dauert, desto eher wackelt die PiS.

Zwar sitzt Kaczyn´skis Regierungs­partei immer noch fest im Sattel, doch dem Regierungs­lager droht nun zunehmend Widerstand auch von innen. Vor vier Wochen warf ausgerechn­et Vizepremie­rminister

Jarosław Gowin Kaczyn´ski den Fehdehands­chuh hin, indem er eine Verlegung der Präsidents­chaftswahl wegen der Corona-Krise forderte. Zuerst sprach Gowin von zwei Jahren, dann von fünf Monaten. Für beide Versionen konnte der Parteichef des kleinen PiS-Koalitions­partners „Verständig­ung“(„Porozumien­ie“) keine Mehrheit finden. Einer Verlegung auf 2022 widersprac­h die Opposition, einer auf Herbst 2020 Kaczyn´ ski.

Gowin zog die Konsequenz­en und trat zurück, doch beließ er seine 18 Abgeordnet­en in der Regierungs­fraktion – vorerst. Für Kaczyn´ski sind sie das Zünglein an der Waage, denn die Mehrheit der PiS im Sejm ist schwach abgesicher­t. Das Abspringen von nur fünf Gowin-Abgeordnet­en würde genügen, um PiS der Mehrheit zu berauben. Von PiS umworben werden derweil auch die acht Sejm-Mitglieder der rechtsextr­emen „Konföderat­ion“sowie offenbar einzelne Abgeordnet­e der kleinen Bauernpart­ei PSL und gar der PO. Dies zeigt, dass Kaczyn´ ski sich der Mehrheit nicht mehr sicher ist.

Von einem normalen Wahlkampf kann so keine Rede sein. Wenn überhaupt noch über politische Inhalte debattiert wird, dann nur noch am Rande und nur im Fernsehen und Internet.

Durchhalte­appelle. Im Staatsfern­sehen soll Mitte der Woche eine TV-Debatte zwischen Duda und fünf Herausford­erern stattfinde­n. Unklar ist, ob KidawaBłon­ska teilnimmt, zumal die PO-Kandidatin angekündig­t hat, die Briefwahl am 10. Mai zu boykottier­en; eine Haltung, die inzwischen laut einer Umfrage 73 Prozent der PO-Anhänger teilen.

Auch Duda hat bereits mehrere Debatten im Internet boykottier­t. Er kann sich das leisten, denn er ist der einzige, der in der breiten Öffentlich­keit präsent ist. Mit immer neuen Durchhalte­appellen an die Nation kämpft er um seine Wiederwahl.

Die Opposition fordert geschlosse­n eine Verschiebu­ng der Wahlen auf einen Zeitpunkt nach der Corona-Krise, der allen der insgesamt zehn Kandidaten erlauben würde, frei im Land herumzurei­sen und einen klassische­n Wahlkampf zu führen.

Die PiS-Regierung verweist auf die Verfassung, die den Beginn der Präsidente­nwahl spätestens 75 Tage vor Ablauf der Amtszeit des regierende­n Präsidente­n vorsieht. Für möglichst frühe Wahlen sprechen nicht nur Dudas gute Umfragewer­te, sondern auch die Tatsache, dass die ökonomisch­en Folgen der Corona-Krise für jede Regierung zur enormen Belastung werden.

PiS-Chef Jarosław Kaczy´nski kann sich der Mehrheit im Sejm nicht mehr sicher sein.

Die wirtschaft­lichen Folgen der Corona-Krise werden für jede Regierung zur Belastung.

 ?? AFP ?? Wenn’s wahr ist, hat Kim Jong-un am 1. Mai eine neue Fabrik für Düngemitte­l besucht und wie immer seine Anweisunge­n erteilt, die brav notiert wurden.
AFP Wenn’s wahr ist, hat Kim Jong-un am 1. Mai eine neue Fabrik für Düngemitte­l besucht und wie immer seine Anweisunge­n erteilt, die brav notiert wurden.

Newspapers in German

Newspapers from Austria