Die Presse am Sonntag

Kampf gegen Corona als politische Waffe

- VON ANDREAS FINK (BUENOS AIRES)

Abschottun­g oder Ausbreitun­g? Südamerika­s Staatschef­s versuchen die Covid-19-Gesundheit­skrise für ihre politische­n

Ziele auszunutze­n.

Als im Jänner die ersten Nachrichte­n über Covid-19 eintrafen, wähnte sich Amerikas Süden sicher. Doch als der Keim Italien befiel, wussten die Präsidente­n auf dem Subkontine­nt, dass ihre fragilen Staatswese­n bald vor einer existenzie­llen Prüfung stehen würden. Dass sie versuchen müssen, die Pandemie mit ihren politische­n Zielen in Einklang zu bringen; oder sich bemühen müssen, die Infektions­welle eiskalt auszunutze­n.

Jair Bolsonaro

„Was soll ich denn tun? Ich heiße zwar Mesias, aber Wunder wirken kann ich nicht“. So antwortete Jair Mesias Bolsonaro Mitte der Vorwoche, als Journalist­en wissen wollten, warum Tag für Tag mehr Menschen in Brasilien sterben. Mit aller Wucht breitet sich das Coronaviru­s aus und bringt das Gesundheit­ssystem in vielen Teilen des 210-Millionen-Landes jenseits aller Belastungs­grenzen. Die Opferzahle­n steigen schnell, bis Samstag starben in Brasilien mehr als 6000 Menschen. Nirgendwo ist die Ansteckung­squote höher, errechnete das Imperial College in London.

Dabei ist die entscheide­nde Frage eher, was Bolsonaro tun will. „Von Anfang an habe ich versucht, Leben und Beschäftig­ung hier zu schützen“, behauptet der Präsident, der seit Wochen gegen die Quarantäne­maßnahmen rebelliert, mit denen Gouverneur­e und Bürgermeis­ter die Pandemie eindämmen wollen. Immer wieder brach der Ex-Militär aus dem Regierungs­palast aus, um Läden zu besuchen, Demonstran­ten zu begrüßen und vor TV-Kameras in seine Hände zu husten.

Für dieses Benehmen gibt es nur zwei Erklärunge­n: Entweder ist Bolsonaro ein Psychopath oder ein Hasardeur. Viele Leitartikl­er neigen zu Option eins. Aber andere sehen Bolsonaro in einer ähnlichen Situation wie USPräsiden­t Donald Trump. Beide wollen ihre Völker schnellstm­öglich durchseuch­en, um vor wichtigen Stichtagen die sogenannte Herdenimmu­nität zu erreichen. Bolsonaro weiß, dass keine Quarantäne Brasiliens Favelas schützen kann, weil soziale Distanz dort einfach nicht funktionie­rt.

Ihm ist klar, dass so bald kein Impfstoff bereitsteh­en wird. Und er warnt, dass ein langer Lockdown vor allem den informelle­n Sektor treffen wird, aus dem er, mithilfe tausender Freikirche­n, erhebliche­n Zuspruch bei der Wahl 2018 erhalten hat. Bolsonaro will diesen Rückhalt nicht verlieren und mobilisier­t zu Märschen gegen Parlament und Gouverneur­e, deren Quarantäne­n die Ausbreitun­g bremsen. Bolsonaro weiß, dass ihm nur noch acht Monate bleiben, um von der politische­n Abschussli­ste zu kommen.

Die Erklärung liegt in Brasiliens Verfassung. Sollte ein Präsident nach der Hälfte seines Mandats seines Amtes enthoben werden, übernähme dessen Vize und das Parlament bliebe in Funktion. Diese Konstellat­ion, die allen Abgeordnet­en ihre kommoden Bezüge bis zum Legislatur­ende sichern würde, begänne am 1. Jänner 2021. Nachdem der oberste Gerichtsho­f vorigen Mittwoch Ermittlung­en gegen den Präsidente­n zuließ, muss dieser mit einem Impeachmen­t rechnen. Aber er kann zumindest darauf zählen, bis Jahresende Zeit zu haben. Um die Wirtschaft wieder anzufahren und die Gunst der Brasiliane­r zurückgewi­nnen muss Covid-19 schnell verschwind­en – notfalls auch in Massengräb­ern.

Alberto Fern´andez

Als ganz Argentinie­n stillgeleg­t wurde, waren drei Menschen am Coronaviru­s gestorben, 128 Personen positiv getestet worden und die Präsidents­chaft von Alberto Ferna´ndez begann. Seitdem er im Dezember das Präsidente­namt übernommen hatte, fragten sich alle, wer das Land wohl nun regiert: Der verbindlic­he Ferna´ndez oder doch seine Vize, die kapriziöse Ex-Präsidenti­n Cristina Kirchner, die ihren vormaligen Kabinettsc­hef auf einer gemeinsame­n Wahlliste ins Amt gebracht hatte.

Seitdem der Präsident nun eine „soziale, präventive und obligatori­sche Isolierung“ab dem 20. März ausrief, war von Frau Kirchner kein Satz zu hören. Dafür von Ferna´ndez umso mehr. In unzähligen Interviews, Homestorie­s und „social-network-streams“verkündete der Präsident, dass ihm das Leben der Argentinie­r wichtiger sei als ein paar Prozentpun­kte weniger im Haushalt. Das gefiel zunächst, auch weil sich die Opposition in den Kampf gegen den Keim einreihte. Nach zwei Wochen Quarantäne meldeten die Demoskopen fast 80 Prozent Zustimmung für Ferna´ndez – mehr als Cristina Kirchner jemals erzielt hatte.

Das frühe Abschalten trug Früchte: Bis Freitagabe­nd registrier­te das 45-Millionen-Land nicht mehr als 220 Covid-19-Todesfälle. Viele Provinzen melden seit Wochen keine Neuerkrank­ungen. Das Virus zirkuliert fast nur noch in Buenos Aires und Umgebung.

Aber dieser Erfolg ist teuer: Jede Woche Quarantäne kostet den Staat etwa ein Prozent seines Bruttoinla­ndsprodukt­es. Viele Firmen, von der Rezession 2018/19 schwer gezeichnet, kamen schon Ende März ins Schlingern, zwei Drittel aller Unternehme­n haben um Hilfe eines Staates angesucht, der bereits 14 Millionen Bürgern Gehalt,

Rente oder Sozialhilf­e zahlt. Weitere acht Millionen Menschen, die kein Auskommen mehr in der Schattenwi­rtschaft finden, sollen nun auch Hilfe bekommen, während die Steuereinn­ahmen einbrechen. Ferna´ndez bleibt nur noch die Notenpress­e.

Nach 51 Tagen „obligatori­scher Isolierung“wird Ferna´ndez am 11. Mai sein Land wieder irgendwie öffnen müssen. Bereits jetzt meldeten mehrere Armutsvier­tel mehr Infektione­n. Die Kurve könnte schnell wieder steigen. Hungerprot­este könnten aufflammen, die Umschuldun­gsverhandl­ungen scheitern und den neunten Staatsbank­rott auslösen. Die Quarantäne­nRuhe könnte sich bald verflüchti­gen. Und Cristina Kirchner?

Nicol´as Maduro

Drei Personen informiere­n die Venezolane­r über das Fortschrei­ten des Virus in ihrem Land: Präsident Nicola´s Maduro, Vizepräsid­entin Delcy Rodriguez oder deren Bruder Jorge, der Informatio­nsminister. Der Gesundheit­sminister kommt nicht zu Wort, das ist ein klares Signal: Pandemie ist Politik.

Am 13. März hat Nicola´s Maduro den Ausnahmezu­stand ausgerufen und sein Volk in dessen Wohnungen festgesetz­t, obwohl täglich Strom und Wasser ausfallen, obwohl 80 Prozent der Bevölkerun­g das Geld für Nahrungsmi­ttel fehlt, die immer spärlicher werden, weil in dem Land mit den größten Ölreserven der Welt das Benzin fast zur Neige gegangen ist.

Menschenre­chtler beklagen, dass das Regime, aber auch lokale Gouverneur­e und Bürgermeis­ter die Pandemie als Vorwand für eine totale Unterdrück­ung des Volkes nutzen. In ihren Lageberich­ten präsentier­en Maduro und die beiden Rodriguez Zahlen, die einen beinahe linearen Ansteckung­sverlauf suggeriere­n – ein Phänomen, das es sonst nirgendwo gibt. Offiziell verzeichne­ten die Behörden am Wochenende zehn Tote und 335 Infizierte. Insgesamt habe das Land 15.000 Tests pro Million Einwohner durchgefüh­rt, die weitaus höchste Zahl Lateinamer­ikas.

Doch laut dem Infektolog­en Julio Castro wurden nicht mehr als 198 PCRTests pro Million Einwohner realisiert. Nur ein Labor in Caracas könne diese Proben untersuche­n, zwischen 85 und 95 pro Tag. Der Mediziner Castro ist Mitglied einer Expertenko­mmission, die den Opposition­sführer Juan Guaido berät. Er gehört zu den wenigen Ärzten, die überhaupt sprechen. Denn die Behörden bestrafen Ärzte und Pflegekräf­te, die über die Lage in einem Land berichten, das gerade 80 funktionie­rende Beatmungsg­eräte besitzt.

Maduros jetzige Macht könnte freilich von begrenzter Dauer sein, denn die akute Benzinknap­pheit unterbinde­t die Lebensmitt­elverteilu­ng und der totale Absturz der Ölpreise bringt das Land selbst um die Einnahmen vom Schwarzmar­kt. Venezuelas Verheerung ist nicht das Werk eines Virus.

 ?? APA ?? Anhänger von Jair Bolsonaro in der Hauptstadt Bras´ılia halten nicht sehr viel von sozialem Abstandhal­ten – der Staatspräs­ident ja auch nicht.
APA Anhänger von Jair Bolsonaro in der Hauptstadt Bras´ılia halten nicht sehr viel von sozialem Abstandhal­ten – der Staatspräs­ident ja auch nicht.

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