Der Tag der lang ersehnten Wiedereröffnung
Die strengen Ausgangsbeschränkungen sind erst kurz Geschichte, schon scheint es mancherorts, als wäre nichts gewesen. Nur die Masken und viele neue Regeln erinnern an die Gefahren der Pandemie.
Auf den ersten Blick scheint es, als wäre nichts gewesen. Wien, Samstag, der 2. Mai. Pandemie, Corona, war da etwas? Wären da nicht die Masken, die manche auch im Freien vor Mund und Nase, öfter aber unter dem Kinn oder anderweitig tragen, es wäre ein sonniger Samstag wie eh und je. Würden nicht die vollen Schanigärten fehlen, aber deren Wiedereröffnung folgt, den aktuellen Plänen nach, erst am 15. Mai. Am gestrigen Samstag war es, nach fast sieben Wochen Lockdown, für Einkaufszentren, Friseure sowie alle Geschäfte mit mehr als 400 Quadratmetern Verkaufsfläche soweit. Und die großen Elektrohändler, Modeketten, Möbelhäuser oder Sportartikelläden lockten mit üppigen Rabatten, schließlich müssen die übervollen Lager wieder leer werden.
Das zog die Massen an. Am Samstagvormittag boten sich etwa vor der Shopping City Süd Szenen, wie man sie vor Wochen vor den Baumärkten sah: Schlangen Wartender, Wagerl als Abstandhalter. Ähnliches sah man in Einkaufszentren in der Stadt, etwa im The Mall in Wien Mitte, wo Dutzende vor dem Elektromarkt anstanden. Und in vielen Lebensmittelgeschäften, auf den Märkten oder auf für Abstände ohnehin viel zu engen Gehsteigen war es nicht viel anders: Distanz? War da etwas?
Zickzackartig ausweichen. Auf den ersten Blick ist sie fast wieder da, die alte Normalität: Die Mariahilfer Straße ist so, wie man sie an einem Samstag kennt. Menschen spazieren entlang, Familien, Jugendliche, Paare. Auf den zweiten Blick wird der Unterschied zu früher offenbar: Viele tragen Schutzmasken, und auch wenn Wiens größte Einkaufsstraße viel Platz bietet, muss man hin und wieder zickzackartig ausweichen, möchte man den Sicherheitsabstand zu den anderen einhalten. Es ist sehr viel los an diesem ersten Samstag der neuen Shoppingnormalität: Freundinnen, Jugendgruppen, Familien – viele zieht es wieder in die Shops.
Die eineinhalb Meter Abstand, die sich H&M etwa von seinen Kunden per Durchsage wünscht, sind teils auch mit viel gutem Willen nicht möglich – viele huschen zumindest schnell an den anderen vorbei, anderen scheint es komplett egal zu sein, wie nahe sie jemandem kommen. Bei Esprit, wo man beim Eingang ein kleines rotes Plastikteil in die Hand gedrückt bekommt („Damit zählen wir die Kunden, bitte beim Ausgang abgeben“) und zum Desinfizieren der Hände aufgerufen wird, verteilen sich die Kunden gut. Da wie dort: Bei den Umkleidekabinen ist wenig los.
Sehr gefragt sind die Handyshops, hier wartet man in einer Schlange, ebenso vor Eissalons. Zügig voran geht es bei Gerngross – ein Security winkt Kunden weiter, sobald die vorderen ihre Hände desinfiziert und bei Bedarf eine Maske genommen haben.
Viele huschen schnell vorbei, anderen ist es komplett egal, wie nahe man sich kommt.
In den Seitengasse der Mariahilfer Straße hingegen ist spürbar weniger los, in den kleinen Läden entlang der OttoBauer-Gasse sieht man nur vereinzelt Menschen. Auch in der Neubaugasse scheint vor allem die riesige Baustelle – die Straße wird bekanntlich gerade zu einer Begegnungszone umgestaltet – die Menschen abzuschrecken, von der Mariahilfer Straße abzubiegen. Für die, die es doch tun, wird das Abstandhalten auf den baustellenbedingt schmalen Gehsteigstreifen zur Herausforderung. Aber in den kleinen Geschäften ist durchaus wieder mehr los als zuvor.
Teilweise hatten die kleineren Geschäfte zuvor offen. Martina Meixner, die Inhaberin des Maronski, einer kleinen Boutique für faire Mode aus Wien am Beginn der Neubaugasse, hatte probeweise schon offen, ausgezahlt hat sich das bisher nicht. „Bevor ich offen habe und acht Stunden so gut wie allein im Geschäft bin, ist es effizienter, ich bleibe daheim und arbeite am Onlineshop“, sagt sie. Dieser Onlinehandel habe erstaunlich gut funktioniert, die Treue der Stammkunden habe überrascht. Dennoch, der Onlineumsatz sei im Vergleich zum Geschäft minimal.
Bedarfskäufe statt Frühjahrsmode. Der Samstag war auch für sie der Tag der Wiedereröffnung. Was ist anders als in Vor-Corona-Zeiten? „Einfach alles“, sagt Meixner. In das 18-QuadratmeterGeschäft darf nur eine Kundin. „Ob es so möglich ist, das Geschäft wirtschaftlich zu führen, kann ich nicht abschätzen“, sagt sie. „Das größte Problem ist die Zehn-Quadratmeter-Regel, die bringt jeden um.“Entspanntes Stöbern und Probieren fällt aus, wenn man allein im Geschäft ist, vor der Tür die nächste Kundin wartet. Dass mit der Wiedereröffnung das große Shopping startet, erwartet Meixner nicht. „Ich glaube nicht, solang das Lebensgefühl nicht wieder da ist.“
Diese Einschätzung teilt sie mit einem, der in den vergangenen Wochen die Wiedereröffnung eines viel größeren Hauses vorbereitet hat: Freddy Schmid, der Geschäftsführer des Kaufhauses Steffl auf der Kärntner Straße, spricht über die vergangenen Wochen als „sehr herausfordernde Zeit, für alle im Haus, vor allem für die Mitarbeiter“. Nun wurde das Haus aus- und umgerüstet: Plexiglasscheiben, 1000 Liter Desinfektionsmittel, Masken mit Steffl-Logo, das – nunmehr – Übliche eben. Securitys kümmern sich darum, dass nicht zu viele Kunden zugleich kommen. Denn es kamen viele. Am Samstag war man auch im Steffl überrascht, wie viele es waren, wie groß die Wiedersehensfreude bei vielen war. Aber Schmid bezweifelt, dass in den kommenden Wochen groß Frühjahrsmode gekauft wird. „Wir erwarten eher Bedarfskäufe.“
Dazu kommt, dass die Touristen fehlen, die bisher zwei Drittel der Frequenz
Erst erinnern die Visiere der Friseurinnen an einen Zahnarztbesuch. Nach ein wenig Plauderei fühlt sich der Friseurbesuch an wie immer.