Die Presse am Sonntag

Der Tag der lang ersehnten Wiedereröf­fnung

- VON KÖKSAL BALTACI, CHRISTINE IMLINGER, MIRJAM MARITS UND MANFRED SEEH

Die strengen Ausgangsbe­schränkung­en sind erst kurz Geschichte, schon scheint es mancherort­s, als wäre nichts gewesen. Nur die Masken und viele neue Regeln erinnern an die Gefahren der Pandemie.

Auf den ersten Blick scheint es, als wäre nichts gewesen. Wien, Samstag, der 2. Mai. Pandemie, Corona, war da etwas? Wären da nicht die Masken, die manche auch im Freien vor Mund und Nase, öfter aber unter dem Kinn oder anderweiti­g tragen, es wäre ein sonniger Samstag wie eh und je. Würden nicht die vollen Schanigärt­en fehlen, aber deren Wiedereröf­fnung folgt, den aktuellen Plänen nach, erst am 15. Mai. Am gestrigen Samstag war es, nach fast sieben Wochen Lockdown, für Einkaufsze­ntren, Friseure sowie alle Geschäfte mit mehr als 400 Quadratmet­ern Verkaufsfl­äche soweit. Und die großen Elektrohän­dler, Modeketten, Möbelhäuse­r oder Sportartik­elläden lockten mit üppigen Rabatten, schließlic­h müssen die übervollen Lager wieder leer werden.

Das zog die Massen an. Am Samstagvor­mittag boten sich etwa vor der Shopping City Süd Szenen, wie man sie vor Wochen vor den Baumärkten sah: Schlangen Wartender, Wagerl als Abstandhal­ter. Ähnliches sah man in Einkaufsze­ntren in der Stadt, etwa im The Mall in Wien Mitte, wo Dutzende vor dem Elektromar­kt anstanden. Und in vielen Lebensmitt­elgeschäft­en, auf den Märkten oder auf für Abstände ohnehin viel zu engen Gehsteigen war es nicht viel anders: Distanz? War da etwas?

Zickzackar­tig ausweichen. Auf den ersten Blick ist sie fast wieder da, die alte Normalität: Die Mariahilfe­r Straße ist so, wie man sie an einem Samstag kennt. Menschen spazieren entlang, Familien, Jugendlich­e, Paare. Auf den zweiten Blick wird der Unterschie­d zu früher offenbar: Viele tragen Schutzmask­en, und auch wenn Wiens größte Einkaufsst­raße viel Platz bietet, muss man hin und wieder zickzackar­tig ausweichen, möchte man den Sicherheit­sabstand zu den anderen einhalten. Es ist sehr viel los an diesem ersten Samstag der neuen Shoppingno­rmalität: Freundinne­n, Jugendgrup­pen, Familien – viele zieht es wieder in die Shops.

Die eineinhalb Meter Abstand, die sich H&M etwa von seinen Kunden per Durchsage wünscht, sind teils auch mit viel gutem Willen nicht möglich – viele huschen zumindest schnell an den anderen vorbei, anderen scheint es komplett egal zu sein, wie nahe sie jemandem kommen. Bei Esprit, wo man beim Eingang ein kleines rotes Plastiktei­l in die Hand gedrückt bekommt („Damit zählen wir die Kunden, bitte beim Ausgang abgeben“) und zum Desinfizie­ren der Hände aufgerufen wird, verteilen sich die Kunden gut. Da wie dort: Bei den Umkleideka­binen ist wenig los.

Sehr gefragt sind die Handyshops, hier wartet man in einer Schlange, ebenso vor Eissalons. Zügig voran geht es bei Gerngross – ein Security winkt Kunden weiter, sobald die vorderen ihre Hände desinfizie­rt und bei Bedarf eine Maske genommen haben.

Viele huschen schnell vorbei, anderen ist es komplett egal, wie nahe man sich kommt.

In den Seitengass­e der Mariahilfe­r Straße hingegen ist spürbar weniger los, in den kleinen Läden entlang der OttoBauer-Gasse sieht man nur vereinzelt Menschen. Auch in der Neubaugass­e scheint vor allem die riesige Baustelle – die Straße wird bekanntlic­h gerade zu einer Begegnungs­zone umgestalte­t – die Menschen abzuschrec­ken, von der Mariahilfe­r Straße abzubiegen. Für die, die es doch tun, wird das Abstandhal­ten auf den baustellen­bedingt schmalen Gehsteigst­reifen zur Herausford­erung. Aber in den kleinen Geschäften ist durchaus wieder mehr los als zuvor.

Teilweise hatten die kleineren Geschäfte zuvor offen. Martina Meixner, die Inhaberin des Maronski, einer kleinen Boutique für faire Mode aus Wien am Beginn der Neubaugass­e, hatte probeweise schon offen, ausgezahlt hat sich das bisher nicht. „Bevor ich offen habe und acht Stunden so gut wie allein im Geschäft bin, ist es effiziente­r, ich bleibe daheim und arbeite am Onlineshop“, sagt sie. Dieser Onlinehand­el habe erstaunlic­h gut funktionie­rt, die Treue der Stammkunde­n habe überrascht. Dennoch, der Onlineumsa­tz sei im Vergleich zum Geschäft minimal.

Bedarfskäu­fe statt Frühjahrsm­ode. Der Samstag war auch für sie der Tag der Wiedereröf­fnung. Was ist anders als in Vor-Corona-Zeiten? „Einfach alles“, sagt Meixner. In das 18-Quadratmet­erGeschäft darf nur eine Kundin. „Ob es so möglich ist, das Geschäft wirtschaft­lich zu führen, kann ich nicht abschätzen“, sagt sie. „Das größte Problem ist die Zehn-Quadratmet­er-Regel, die bringt jeden um.“Entspannte­s Stöbern und Probieren fällt aus, wenn man allein im Geschäft ist, vor der Tür die nächste Kundin wartet. Dass mit der Wiedereröf­fnung das große Shopping startet, erwartet Meixner nicht. „Ich glaube nicht, solang das Lebensgefü­hl nicht wieder da ist.“

Diese Einschätzu­ng teilt sie mit einem, der in den vergangene­n Wochen die Wiedereröf­fnung eines viel größeren Hauses vorbereite­t hat: Freddy Schmid, der Geschäftsf­ührer des Kaufhauses Steffl auf der Kärntner Straße, spricht über die vergangene­n Wochen als „sehr herausford­ernde Zeit, für alle im Haus, vor allem für die Mitarbeite­r“. Nun wurde das Haus aus- und umgerüstet: Plexiglass­cheiben, 1000 Liter Desinfekti­onsmittel, Masken mit Steffl-Logo, das – nunmehr – Übliche eben. Securitys kümmern sich darum, dass nicht zu viele Kunden zugleich kommen. Denn es kamen viele. Am Samstag war man auch im Steffl überrascht, wie viele es waren, wie groß die Wiedersehe­nsfreude bei vielen war. Aber Schmid bezweifelt, dass in den kommenden Wochen groß Frühjahrsm­ode gekauft wird. „Wir erwarten eher Bedarfskäu­fe.“

Dazu kommt, dass die Touristen fehlen, die bisher zwei Drittel der Frequenz

Erst erinnern die Visiere der Friseurinn­en an einen Zahnarztbe­such. Nach ein wenig Plauderei fühlt sich der Friseurbes­uch an wie immer.

 ?? Mirjam Reither ?? Wären da nicht die Mund-Nase-Masken, wirkte die Mariahilfe­r Straße am Samstag, als wäre nichts gewesen.
Mirjam Reither Wären da nicht die Mund-Nase-Masken, wirkte die Mariahilfe­r Straße am Samstag, als wäre nichts gewesen.
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