Die Stunde der Selbstversorger
Die Nachfrage nach Gartenparzellen, in denen man sein eigenes Gemüse anbauen kann, ist durch die Krise enorm gestiegen. Dabei geht es meist nicht nur um das Erlebnis in der Natur.
Wenn der Bewegungsradius eingeschränkt ist, besinnen wir uns auf das, was in unserer unmittelbaren Umgebung vorhanden ist. Auch wenn viele das Wort Regionalität schon nicht mehr hören können, hat die Krise gezeigt: Da geht noch ein bisschen mehr. Es ist uns derzeit offenbar besonders wichtig, bei „unseren“Bauern einzukaufen, am besten gleich direkt ums Eck – oder zur Not eben über den eigens dafür eingerichteten Onlineversand.
Aber es gibt noch eine Stufe darüber hinaus. Manche wollen es ganz genau wissen und die Gemüseproduktion gleich selbst in die Hand nehmen. Natürlich lässt sich das nicht mit einer professionellen Landwirtschaft vergleichen. Immerhin verdient kein Hobbygärtner Geld mit seinem Gemüse, im Gegenteil, er zahlt meist etwas dafür (fürs Gemüse und die Arbeit). Aber es fällt auf, dass in Zeiten der Coronakrise das Interesse an mietbaren Gartenparzellen steigt.
Egal, welchen Anbieter man fragt, während in den frühen Anfängen der Coronakrise die Nachfrage nach den Gartenparzellen eher verhalten war, stieg sie mit dem Beginn der Ausgangsbeschränkungen massiv an. „Die Nachfrage ist in den letzten Jahren immer ein bisschen gestiegen, aber heuer war sie besonders stark“, sagt Angelika Schneckenleitner. Die Boku-Studentin ist Teil des Teams des Selbsterntegartens, wie er sich nennt, der in Wien Liesing an zwei Standorten Gartenparzellen vermietet. Wobei der Leiter des Selbsterntegartens, Hanno Essl, darauf hinweist, dass er das Wort Mieter lieber nicht verwendet. „Das sind Selbsterntegärtner oder von mir aus Kunden“, meint er.
Die beiden sind derzeit gemeinsam mit zwei weiteren Mitarbeitern – Quereinsteiger
Martin Rod und Student Matthias Baas – am Standort Ketzergasse damit beschäftigt, die erste Saat auszubringen. Heuer laufe naturgemäß einiges anders. Normalerweise gibt es im Selbsterntegarten zwei Termine. Anfang April werden die weniger kälteempfindlichen Kulturen, wie Radieschen, Salate, Karotten oder auch Sojabohnen angebaut – was heuer wegen der Unsicherheit etwas später stattfindet. Anfang Mai, nach den Eisheiligen, kommen dann die wärmeliebenden Pflanzen wie Paradeiser oder Paprika
Der Selbsterntegarten gehört zur privaten Brenner Felsach’sche Gutsverwaltung und betreibt in Wien Liesing zwei Gärten mit mietbaren Gartenparzellen. Der Standort Carlbergergasse ist bereits ausgebucht, in der Ketzergasse gibt es noch Restplätze (Saisonstart: 5. Mai). Die Miete beträgt 198 Euro (40 m2) bzw. 285 Euro (80 m2) pro Saison. www.selbsterntegarten.at dran, die bei einem Übergabetag an die Kunden gehen. „Heuer müssen wir einen Kompromiss machen“, sagt Essl. Immerhin ist der Übergabetag meist eine Art kleines Gartenfest, bei dem sich die Kunde ndie Jungpflanzen vom Anhänger holen. Heuer wird das anders gehandhabt, um die Abstände einzuhalten. Am 4. und 5. Mai geht dennoch an beiden Standorten entlang der U6 die Gartensaison los.
Dafür wird derzeit in der Ketzergasse an fünf langen Feldern gesät. Auf Holzpflöcken am Beginn der Reihen stehen die Namen der Kulturen: Buschbohnen, Zuckererbsen, Radieschen, Pflücksalat, Rote Rübe, Mangold, Petersilie, Dill, Spinat, Kraut, Zwiebel, Karotten, Pastinaken und Soja.
Zuerst war die Nachfrage verhalten, ab dem Shutdown ist sie massiv gestiegen.
Kontrolle durch das Kollektiv. Ganz links, dort wo die Saatmaschine ins Feld gefahren ist, sind die Reihen noch unbeschriftet. Dort können die Kunden ihre eigene Pflanzen einsetzen oder eben wärmeliebende Pflanzen wie Paradeiser. Wichtig ist nur, dass es sich um Biopflanzen handelt, immerhin wird die gesamte Anlage bio
logisch bewirtschaftet. „Die Gärtner schmeißen uns den Nachweis, dass es Biojungpflanzen sind, ins Postkastl. Wir müssen das schon kontrollieren, aber die Kontrolle durch das Kollektiv funktioniert am besten“, sagt Essl.
Als „quer durch“beschreibt er seine Kunden, von Veganern über Jungfamilien bis hin zu älteren Damen. Was ihm aber aufgefallen sei: „Die Kunden mit Migrationshintergrund, die wissen noch wie das geht, denen muss man wenig erklären.“
Generell müssen sich die Hobbygärtner nur um leichte Arbeiten kümmern, wie Unkrautjäten und Ernten. Bewässert wird drei Mal die Woche. Langstielige Gartengeräte werden zur Verfügung gestellt, alles, was man problemlos mit der U-Bahn transportieren kann, nehmen die Kunden selber mit.
Garteln statt Strandurlaub. Je nach gemieteter Größe – 40 oder 80 Quadratmeter – wird ein langer, schmaler Streifen entlang der Reihen gemietet. So bekommt jeder Kunde dieselbe Vielfalt der rund 20 Kulturen. Neben den Parzellen befinden sich die Dauergärten, die ähnlich wie Kleingärten das ganze erreicht. „Es ist schon gestiegen, aber nicht mehr so stark. Aber jetzt ist es noch einmal ordentlich in die Höhe gegangen“, sagt Essl.
Und auch die aus Deutschland stammenden Ackerhelden, die in Wien zwei Standorte betreiben, sind auf der Suche nach neuen Flächen. „Wir merken das extrem, wir haben derzeit sehr viele Anfragen. Das Thema Selbstversorgung ist wieder mehr in den Köpfen“, sagt Jan Peter Pech von den Ackerhelden, die ihren dritten Wiener Standort nächstes Jahr in Betrieb nehmen wollen.
Seit 2019 sind die Ackerhelden in Wien, davor waren sie in Niederösterreich. Das habe aber nicht so gut funktioniert, sagt Pech. Für ein solches Konzept brauche man die Stadt und vor allem die Städter.
Auch die Ackerhelden setzen, ebenso wie die Morgentaugärten und der Selbsterntegarten, auf biologische Bewirtschaftung. Immerhin lassen sich synthetische Spritzmittel auch nicht so gut mit der Sehnsucht nach nachhaltigen, regionalen Lebensmitteln vereinbaren.
Jahr über genutzt werden können – und längst ausgebucht sind. Und worauf man beim Selbsterntegarten besonders stolz ist: Der Nachbar betreibt ein Bioerdbeerfeld zum Selbstpflücken. „Das ist eine tolle Ergänzung“, sagt Essl.
Auf jenem Areal bei der Ketzergasse sind noch ein paar Restplätze frei, die beim nächsten Übergabetermin am 5. Mai vergeben werden. Der Standort in der Carlbergergasse ist hingegen schon ausgebucht. „Der ist näher an der U-Bahn. Das merken wir schon, alles, was öffentlich besser angebunden ist, ist sofort weg“, meint Essl. Generell hat er das Gefühl, dass durch die Coronakrise der Bedarf an Gartenparzellen steigen wird. Das hat nicht nur mit der Beschäftigung in der Natur zu tun, sondern auch mit der Sicherheit, zu wissen, woher die Lebensmittel kommen. „Und was noch dazu kommt: Viele werden im Sommer nicht auf Urlaub fahren, aber sie wollen trotzdem ein bisschen raus und entdecken das Garteln“, sagt Schneckenleitner.
Sie selbst bewirtschaftet auch eine 80 Quadratmeter große Parzelle und hat den Ertrag, der im Vorjahr zwischen Mai und Oktober zusammenkommt, dokumentiert. Auf 165 Kilogramm Gemüse ist sie über die Saison gekommen. „Ich hab mir angeschaut, wie viel das im Supermarkt kosten würde, das wären ein Warenwert von 800 Euro bei Biogemüse“, sagt sie nicht ohne Stolz. Wobei ihr Kollege, Hanno Essl, anmerkt: „Aber die Parzelle ist sicher vorbildlich geführt, das kriegt wohl nicht jeder raus.“Und das bedeute auch viel Arbeit. Immerhin lässt sich nicht jedes Gemüse, wie etwa Karotten oder Kürbisse, lang lagern. „Da hat man dann plötzlich jede Woche zehn Kilogramm Zucchini oder muss andauernd Tomatensauce machen“, sagt Schneckenleitner. Aber genau darum gehe es ja auch, dass man eben ein Bewusstsein dafür entwickelt, wann was reif ist, dass man den Ertrag schätzt und die Ernte verarbeitet. Zeit dafür hat man heuer ja wohl ein bisschen mehr als sonst.
Es geht darum, zu wissen, woher das Gemüse kommt – und um Beschäftigung.