Emotionen eines malenden Krokodils
Sein Werk ist von Albert Paris Gütersloh, Jean Dubuffet und der radikalen Künstlergruppe CoBrA – die jede stilistische Etikettierung ablehnt – geprägt: Franz Ringel. Die Bilder des enthemmten Künstlers entstehen aus den Tiefen des Unbewussten.
Milchgasse 1. Eine bizarre Adresse für ein Lokal, in dem Alkohol Treibstoff fantasievoller Gespräche ist. Hier, im von Rauchschwaden durchzogenen Gutruf hinter der Wiener Peterskirche, ist das erweiterte Wohnzimmer vieler Künstler und Lebenskünstler, Selbstdarsteller und Szenefiguren der Wiener Bohe` me. Seit den 1960er-Jahren verkehren hier H. C. Artmann, Hrdlicka, Hundertwasser und Wotruba. Und die junge, hochattraktive Erni Mangold. Sie ist lange Zeit die einzige Frau, die in diesem Macho-Biotop als Gast akzeptiert wird.
Michael Horowitz
Wenn Helmut Qualtinger da ist – sein gemeinsam mit Carl Merz geschriebener Monolog Der Herr Karl soll hier im kleinen Lokal in der Milchgasse seinen Ausgangspunkt haben – scharen sich alle um ihn. Jeder versucht, auch mit einer Wuchtel zu punkten. Franz Ringel, ein scheuer, introvertierter Maler aus Graz, der sich eher im Hintergrund aufhält, erzählt auch eine Geschichte: „Mein Vater hat die Äpfel im Keller aufgelegt, wir durften immer nur die essen, die schon Flecken hatten. Als ich mein erstes Bild verkauft habe, hab ich mir dann einen frischen Apfel gekauft. Das war für mich Reichtum.“
Ringels Vater ist Rossknecht, die Mutter Wäscherin. Franz wächst auf einem Bauernhof in der Nähe von Graz auf. Im Alter von sechs Jahren kommt er zu Zieheltern, den Nachbarn auf dem Gut St. Martin, zu einem steirischen Landesschulinspektor und einer Französin. Eine schillernde, resolute Person, die Kontakte zur Resistance pflegt und mit Jean-Paul Sartre befreundet ist. Sie unterrichtet Franz daheim – die Volksschule schließt er extern ab –, weckt sein Interesse für Literatur und fördert sein frühes künstlerisches Talent.
Geprägt von der kämpferischen Ziehmutter besucht der Bub die Hauptschule, der Tänzer Johann Kresnik ist sein Mitschüler. Danach absolviert er an der Grazer Kunstgewerbeschule eine Ausbildung zum Keramiker. Doch er will weg, weg aus Graz. 1959 übersiedelt er nach Wien: „Vor lauter Eile bin ich in den falschen Zug eingestiegen und über die Oststeiermark nach Wien gependelt.“
Sein enger Freund Wolfgang Bauer bleibt in Graz zurück und meint Jahre später über Ringels eindringliche Bilder, die ihn berühmt und berüchtigt machen: „Er schmiert die Farben so hin, dass man merkt, was Farben sind. Die Verrückten im leiseren Bild-Hintergrund staunen darüber lächelnd.“
In Wien studiert Franz Ringel vorerst kurz an der Angewandten und fast fünf Jahre lang zu Beginn der 1960erJahre an der Akademie der bildenden
Künste bei Albert Paris Gütersloh: Sein skurriler, seltsamer Lehrer mit Hang zum Magischen, dessen Fantasie grenzenlos scheint, fasziniert den zwanzigjährigen Steirer von Beginn an.
Ringel begeistert sich später für die radikal-skrupellose Gruppe der CoBrAKünstler, die 1948 im Pariser Cafe´ Notre Dame gegründet wird und jede stilistische Etikettierung ablehnt. Die Bilder der exzentrischen Maler sind symbolstark und sexuell besetzt, wirken verstörend, aber mitunter auch fröhlich.
Bereits seit den 1960er-Jahren steht Ringel auch in engem Kontakt mit den psychisch kranken Künstlern aus Gugging im Haus der schlafenden Vernunft. Er bewundert deren Talent zwischen Genialität und Wahnsinn, ihre Bilder, mit denen sie die Unebenheiten des Lebens ausgleichen.
1964 sind Franz Ringels emotional aufgeladene Werke erstmals in der Wiener Secession ausgestellt. Vier Jahre später gemeinsam mit der vom Kunstkritiker Otto Breicha gegründeten losen Künstlergruppe WIRKLICHKEITEN. Neben Ringels Bildern sieht man 1968 in der Secession Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen von Wolfgang Herzig, Martha Jungwirth, Kurt Kocherscheidt, Peter Pongratz, und Robert Zeppel-Sperl.
Die Ausstellung mit Malerei gegen den Strich wird ein unerwarteter Erfolg: Vom „Debüt der Handke-Generation für die österreichische Bildkunst“ist die Rede. Entgegen der damals vorherrschenden Stilrichtungen der Wiener Schule des Phantastischen Realismus und des Abstraktivismus verfolgen die WIRKLICHKEITEN-Künstler eine offene Malerei jenseits akademischer Dogmen und modischer Diktate.
Satirisch und sozialkritisch, ob gegenständlich oder abstrakt-expressiv: Die sechs Protagonisten überraschen und schockieren das Publikum mit Werken eindringlich-persönlicher Bildfindungen – mitunter bis zur Hässlichkeit verzerrt: „Das Wirkliche ist wirklich in der Einbildung, und das
Geburt. 1. April in Graz.
Gründungsmitglied der Künstlergruppe WIRKLICHKEITEN.
Auszeichnung mit dem TheodorKörner-Preis.
Freundschaft mit Jean Dubuffet in Paris.
Retrospektive zum 65. Geburtstag in der Sammlung Essl.
Tod. 28. Oktober in Graz.
1964 sind seine emotional aufgeladenen Werke erstmals in der Secession ausgestellt.