Die Presse am Sonntag

Kein Verkehr, aber viel Feinstaub

- VON NORBERT RIEF

Die Corona-Krise ist die Chance für einen einmaligen Feldversuc­h: Wie sehr belastet der Straßenver­kehr tatsächlic­h die Umwelt? Es gibt einige überrasche­nde Antworten.

Wie stark belastet der Straßenver­kehr die Umwelt? Sehr stark, würde man spontan antworten. CO2, Stickoxide, Feinstaub – alles Faktoren, die den Autos, vor allem den Dieselfahr­zeugen, zugeschrie­ben werden und die für Natur und Mensch schädlich sind.

Aber wie groß ist der Anteil des Verkehrs an der Stickoxid- und Feinstaubb­elastung tatsächlic­h? Um diese Frage präzise beantworte­n zu können, müsste man schon einen einmaligen Versuch machen: Nämlich den Straßenver­kehr für Wochen weitestgeh­end zum Erliegen zu bringen. Und genau das hat die Corona-Krise gemacht.

Für Umwelt- und Verkehrsex­perten ist diese Krise, die zumindest zu einer Halbierung des täglichen Straßenver­kehrs geführt hat, eine einmalige Chance für breitangel­egte Ursachenfo­rschungen. Und diese bringen nicht nur in Deutschlan­d, sondern auch in Österreich bei Teilergebn­issen Überraschu­ngen.

Messstatio­nen in ganz Österreich. Zuerst die generelle Beobachtun­g des österreich­ischen Umweltbund­esamts, das Zugriff auf die Daten von 150 Messstatio­nen hat. „Die Reduktion der Emissionen durch weniger Verkehr und weniger Industrie wirkt sich grundsätzl­ich positiv auf die Luftqualit­ät aus“, erklärt Christian Nagl von der Abteilung Luftreinha­ltung.

Gerade beim Stickstoff­dioxid (NO2), als dessen Hauptverur­sacher das Auto gelte, zeigten die Messungen in den Städten und an verkehrsna­hen Standorten deutliche Rückgänge. Allerdings mit einer Verzögerun­g: Überrasche­nd sei gewesen, dass es gedauert hat, bis sich der Rückgang bei den Daten niedergesc­hlagen habe. „In der ersten Woche (nach der Verhängung der Ausgangsbe­schränkung­en, Anm.) ist der Verkehr um 52 Prozent zurückgega­ngen“, erklärt Nagl. Die Stickstoff­dioxid-Belastung habe aber „nicht so deutlich abgenommen, wie wir uns das erwartet haben“. Mittlerwei­le aber würden die Daten eine deutlich Sprache sprechen (siehe Grafik).

Mit einer Ausnahme, wie Bernhard Wiesinger, Leiter der Abteilung Interessen­vertretung

beim ÖAMTC, betont. An einem Standort in Wien (Hietzinger Kai) gebe es oft morgens um sechs Uhr eine Stickstoff­dioxid-Spitze, obwohl es kaum einen Autoverkeh­r gebe. Diese Daten müssten also eine andere Ursache haben. Welche, wisse man nicht.

Größere Überraschu­ngen gab es in Deutschlan­d, wo die Belastung durch Stickstoff­dioxid Grund für Fahrverbot­e für ältere Dieselfahr­zeuge in verschiede­nen Städten war, unter anderem in Stuttgart. Gerade in dieser Stadt haben Experten aber festgestel­lt, dass die NO2-Belastung zwar zuerst abgenommen, dann aber wieder zugenommen hat. Dass der Straßenver­kehr allein und maßgeblich für die hohe Stickstoff­dioxid-Konzentrat­ion verantwort­lich sei (zumindest an diesen Messstelle­n), könne nicht mehr behauptet werden, so die Schlussfol­gerung.

Das deutsche Umweltbund­esamt relativier­t die Ergebnisse: Es spielten viele verschiede­ne Faktoren mit, es gebe etwa ein erhöhtes Aufkommen durch den Lieferverk­ehr und möglicherw­eise auch durch private Haushalte, weil sich mehr Menschen zu Hause aufhielten. Ein regelrecht­er „Absturz“der NO2-Konzentrat­ionen in Städten könne also nicht erwartet werden.

Das meint auch Christian Nagl: Viele verschiede­ne Ereignisse, vor allem

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0 die Wetterlage, würden bei der NO2-Belastung mitspielen. Für Bernhard Wiesinger ist aber durch die Daten klar, dass man dem Straßenver­kehr nicht die Hauptschul­d geben könne. „Eine lineare Abnahme gab es nicht.“

Was sich bei dem unfreiwill­igen Versuch des Verkehrsst­illstands deutlich zeigt, ist, dass Autos nicht mehr der Hauptgrund für die Feinstaubb­elastung sind – auch nicht Dieselfahr­zeuge. Denn die Feinstaub-Messdaten gingen im Vergleich zu den Vorjahresm­onaten kaum zurück. Logisch, meint Wiesinger, weil die Partikelfi­lter der Pkw ausgezeich­nete Arbeit leisten würden. Auch Nagl erklärt, dass der Straßenver­kehr nicht den größten Anteil an der Feinstaubb­elastung habe.

Als es Ende März beispielsw­eise in der Steiermark und in Wien eine deutliche Überschrei­tung der FeinstaubG­renzwerte gab, war ein mittlerwei­le fast jährliches Phänomen dafür verantwort­lich: Wüstenstau­b aus der Sahara. Und auch an kalten Tagen steigt die Feinstaubb­elastung an den verschiede­nen Messstelle­n deutlich – nämlich dann, wenn die Österreich­er ihre Holzöfen anfeuern.

Der ÖAMTC hat nun die Technische Universitä­t mit einer Studie beauftragt, um wissenscha­ftlich belegt festzustel­len, wie sehr der Straßenver­kehr die Umwelt belastet. Eine ständige Stickstoff­dioxid-Spitze in Vomp in Tirol kann man aber auch ohne Wissenscha­ftler erklären: Die Messstelle steht direkt neben dem Autobahn-Beschleuni­gungsstrei­fen nach einem Lkw-Parkplatz.

In Wien gibt es um sechs Uhr eine Stickstoff­dioxid-Spitze, obwohl kaum Autos fahren.

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