Zentralbanken, gefangen in einem Teufelskreis
Die Geldpolitik der Notenbanken wird wohl auch nach Corona expansiv bleiben (müssen). Doch das ist problematisch.
Die Coronakrise ist beispiellos. Die jüngsten Maßnahmen der Zentralbanken waren es auch. Als gut, richtig und notwendig bezeichneten Ökonomen das Vorgehen in Frankfurt und Washington. Billionen flossen und fließen in den Wirtschaftskreislauf, um diesen vor dem Kollaps zu bewahren. Die Notenbanken können aber nicht alles richten. Viele Staaten werden das schmerzlich spüren. Doch nicht auszudenken, was passiert wäre, hätten die Zentralbanker nicht reagiert. Die Pleitewelle hätte die Unternehmen bereits mit voller Wucht erfasst, und möglicherweise nicht nur sie.
Nach der dritten Krise in rund zehn Jahren (Finanzkrise, Euroschuldenkrise, Coronakrise) sind die Notenbanken jedoch in einer Art Teufelskreis gefangen. „Ich glaube nicht, dass es den Zentralbanken jemals wieder gelingen wird, aus der expansiven Geldpolitik auszusteigen“, sagt Markus Demary vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Auch, weil der Konjunkturzyklus
sich in einigen Jahren erneut in Richtung Rezession bewegen wird. Bis dahin könne man durchaus mit einer Staatsschuldenkrise rechnen, möglicherweise zwingt diese wieder Banken (die auf den Staatspapieren sitzen) in die Knie. Auch Unternehmen und Haushalte müssten sich nach Corona erst entschulden, bevor sie investieren und den Konsum ankurbeln. „Ich sehe gewisse Parallelen zu den Jahren nach 2008“, sagt Demary. Eine straffere Geldpolitik gelang seither jedenfalls nie.
Werden die Notenbanken für die nächste Krise gewappnet sein, wenn sie sich jetzt derart exponieren? „Viele dachten bereits in der Vergangenheit, dass die Europäische Zentralbank ihr Pulver verschossen hat. Aber jetzt sehen wir: Da geht noch einiges. Das wird bei der nächsten Krise ähnlich sein.“Der Kauf von Kreditverbriefungen (schon dagewesen) und Kommunalanleihen – all das ist nicht undenkbar, solang es sich im Rechtsrahmen bewegt. Mit Zinssenkungen jedoch kommt man wohl nicht mehr weit. Banken zahlen seit dem Jahr 2014 Strafzinsen, wenn sie ihr Geld bei der EZB parken. Die Leitzinsen befinden sich im Euroraum seit über vier Jahren bei null Prozent.
Rute ins Fenster stellen. Früher habe ein Zinssatz den Marktakteuren Orientierung für Ertrag und Risiko geboten, sagt Peter Brezinschek, Chefökonom bei der Raiffeisen Bank International. „Jetzt ist er eine Willenserklärung der Notenbank.“Und das ist durchaus gefährlich. Denn so werde die realwirtschaftliche Investition gegenüber der Finanzinvestition benachteiligt. Auch, weil die Teilnehmer wissen: Die Notenbank ist und bleibt der Kreditgeber letzter Instanz.
Zwar könne man mit Geldpolitik Finanzierungsprobleme zudecken, das löse aber das Problem des Produktivitätsrückgangs nicht. Ob nun Eurobonds kommen oder solche mit Corona
pausieren muss, darf nicht noch einmal passieren.
Aber werden europäische Unternehmen tatsächlich ihre „Lieferketten verkürzen“und die Wertschöpfung räumlich konzentrieren, wie viele erwarten? Auf die Vorteile der Globalisierung zu verzichten und ohne Not höhere Kosten in Kauf zu nehmen, wäre bei Unternehmen genauso irrational wie bei Staaten. Eine logischere Lehre aus der Krise wäre, zur Absicherung mehr Lieferanten aus mehr Regionen aufzubauen – was eher mehr als weniger Globalisierung bedeutet. Aber prüfen werden viele Konzerne die Möglichkeit eines „Reshoring“sehr wohl. Es kann auch darauf hinauslaufen, gut entwickelte Schwellenmärkte wie China nicht mehr nur als Werkbank zu nutzen, sondern bestimmte Produkte komplett dort zu produzieren – und damit die wachsenden Mittelschichten der Region zu bedienen. Ein echtes „Heimholen“einer Fertigung in ein europäisches Hochlohnland dürfte sich nur dann als sinnvoll erweisen, wenn sie sich großteils automatisieren lässt, also „zu Hause“kaum Jobs schafft.
Noch mehr online. Damit wären wir beim größten positiven Trend, den sich die Auguren von dieser Krise erwarten: einen massiven Schub für weitere Digitalisierung und Automatisierung. Aber auch er hat einen bitteren Beigeschmack: Die großen Gewinner sind die US-Internetkonzerne. Ihre schon jetzt beunruhigende Machtfülle nimmt noch schneller zu. Es wird weit mehr online bestellt, gestreamt und kommuniziert. Das verstärkt den Druck auf die Regulatoren, das Datenoligopol der Riesen zu zerschlagen.
Geopolitisch scheint bisher nur ein Verlierer festzustehen: die EU. Europa ist besonders stark vom Virus betroffen, die Lage in Italien könnte die Eurokrise neu aufleben lassen, samt dem fruchtlosen Streit um finanzielle „Solidarität“und „Corona-Bonds“.
Firmen entdecken das Lager neu. Aber nur wenige werden „Lieferketten verkürzen“.
Weniger klar sind die Karten zwischen den Streithähnen USA und China verteilt. Die Coronapandemie ist ein Katalysator für die sich ohnehin schon anbahnende Trennung der eng verwobenen Wirtschaften. Das hat seinen Preis. Für China entfällt die größte Quelle der Auslandsnachfrage, und das zu einer Zeit, in der die Exporte immer noch 20 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) ausmachen. Man verliert auch den US-Dollar als Währungsanker. Zugleich fällt auf der anderen Seite des Pazifiks der wachstumsschwachen US-Wirtschaft ein großer Brocken der Auslandsnachfrage weg, da China zum drittgrößten und am schnellsten wachsenden Exportmarkt Amerikas geworden ist. Außerdem braucht das Land einen Ersatz für den Hauptabnehmer seiner Staatspapiere.
Trumps Regierung hat sich mit der Agenda „America First“nach innen gewandt. Ihre einst treuen Verbündeten verachtend, zieht sie die Unterstützung für multilaterale Institutionen zurück, wie die Welthandelsorganisation und, mitten in einer Pandemie, die Weltgesundheitsorganisation. China füllt das Vakuum zum Teil mit der neuen Seidenstraße, der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank und Hilfstransporten medizinischer Güter in vom Virus heimgesuchte Länder. Eine geostrategische Wende: Auch das gehört wohl zur Wirtschaftswelt nach Corona.