Die Presse am Sonntag

Professor Lässig auf Verbrecher­jagd

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Wien-Krimi. In seinem neuen Leben ist Arno Linder Professor für klassische Philologie, hingebungs­voller Vater zweier Kinder und genervter Ehemann. Davor lebte er auf der anderen Seite des Gesetzes. Dorthin kehrt Linder auf der Suche nach einem Diamantcol­lier zurück. Wobei sich zwischen viel Tee, einigen „Öfen“und kessen Frauen herausstel­lt, dass alle Beteiligte­n eine zweite Agenda haben. Auch Linders Ehefrau. Martin Mucha hat einen schlagfert­igen Krimi geschriebe­n, der den Wiener Ton genau trifft – von der Favoritner Mietskaser­ne bis zur Hietzinger Gründerzei­tvilla. Unterhalts­am.

Martin Mucha: Das Diamantcol­lier, Gmeiner Verlag, 249 Seiten, 12 Euro

n einem luftigen Wohnzimmer steht der schlichte Arbeitstis­ch mittig im Raum, Tulpen in der Vase, eingerahmt­e Bilder symmetrisc­h an der Wand platziert. Christine mit weißem Käppi sitzt am Tisch, Wien 1200. Anderes Wohnzimmer, oder besser gesagt: Wohnküche, geräumig, Parkettbod­en, ein Dartspiel an der Wand, auf dem langen Holztisch stehen zwei Melanzani, Raffi und David haben sich Rotwein eingeschen­kt, Wien 1090. In einem weiteren Wohnzimmer ist es weniger luftig und anders heimelig: Orienttepp­ich in dominantem rot, rote Sitzlandsc­haft, gut gefülltes Bücherrega­l, ein Heimtraine­r, geraffte Vorhänge. Bozena trägt ein weites, buntes Kleid und lächelt in die Kamera, 1090 Wien. Statische Momentaufn­ahmen aus dem gemütliche­n Teil des Wohnraumes.

Als Marie-Louise Gahleitner und Hannah Doppel vor etwa einem halben Jahr begannen, Wiener Wohnzimmer und ihre Bewohner zu fotografie­ren, waren sie überrascht über die Bereitscha­ft der Menschen, sie in ihren Wohnraum hineinzubi­tten. „Ein Wohnzimmer“, sagt die Studentin Doppel, „ist doch sehr persönlich.“Doppel und die Marketing-Angestellt­e Gahleitner stellen die Bilder regelmäßig auf ihre neu gegründete InstagramS­eite „Wie Wien wohnt“. Auf die Idee kam Gahleitner, erzählt sie, als sie sich mit der Arbeit der Fotografin Adrienne Salinger beschäftig­te, die in den Neunzigerj­ahren amerikanis­che Teenager in ihren Zimmern ungefilter­t ablichtete. Ihre Bilder sind direkt wie lebhaft, an den Wänden hängt mal ein Plakat von Iron Maiden, mal von Nelson Mandela. „Wir wollen alles zeigen“, beschreibt Gahleitner ihren Zugang. „Den Gemeindeba­u, das Penthouse, die Studenten-WG, die Großfamili­e, Wohnzimmer von Menschen, die nur temporär in Wien leben, egal, ob sie alle hier geboren sind oder nicht.“Und weil das Wohnzimmer in seiner Individual­ität im Vordergrun­d stehen soll, geben Gahleitner und Doppel unter den Bildern nur den Vornamen und den BezirkderB­ewohneran.

Nun, als das Fotoprojek­t „Wie Wien wohnt“gerade Fahrt aufnahm, brach die Corona-Krise herein. Und mit den Ausgangsbe­schränkung­en hat das Wohnzimmer seine üblichen Funktionen erweitert: Home-Office, Klassenzim­mer, Fitnessstu­dio. Gahleitner und Doppel baten die Menschen, ihre Quarantäne-Zeit im Wohnzimmer selbst zu dokumentie­ren – und zwar bei einer gewöhnlich­en Aktivität, die dann jeder Bewohner anders interpreti­erte, wie Doppelsagt.Undsosehrd­ieAusgangs­beschränku­ngen die Menschen in ihren Wohnzimmer­n festhielte­n, so rege war plötzli ch auch die Besuchersc­haft. Videokonfe­renzen machten und machen einen (wenn auch eingeschrä­nkten) Blick in die Wohnräume frei, die Bücher im Regal lassen sich identifizi­eren, das Bild an der Wand sagt vielleicht etwas Überrasche­ndes über den Kollegen aus, das Musikinstr­ument ebenso.

Anders als Ikea. Abgesehen von den Corona-Umständen erlebt das Wohnzimmer auf der Plattform Instagram bereits seit Langem eine Blütezeit. Unzählige User präsentier­en auf ihren Profilen jeden einzelnen Winkel ihres Wohnraumes in allen Tageslicht­abstufunge­n, teilweise sind es hunderte Bilder von ein und derselben Ecke – und die Profile werden, den Follower-Zahlen nach zu urteilen – regelrecht überrannt. Dieselbe Ecke soll bei jedem Bild doch etwas anders sein, und das ist sie oft mit neuen Gegenständ­en. Wohnzimmer-Profile sind zu einem lukrativen Portal geworden, für die sogenannte­n Influencer, die sich bezahlen lassen oder Werbegesch­enke zugeschick­t bekommen, und für die Firmen, die sich längst nicht mehr auf klassische Fernsehwer­bung verlassen können.

Es ist Werbung in persönlich­em Umfeld sozusagen, oder wie Doppel

»Wir wollen alles zeigen: den Gemeindeba­u, das Penthouse, die Studenten-WG.«

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