Warum digitale Treffen so viel von unserer Energie fressen
Von der digitalen Besprechung mit Kollegen bis zum Online-Aperitif im Freundeskreis: Die Zahl der Videokonferenzen ist zuletzt explodiert. Aber warum machen die virtuellen Treffen nur so müde? Auf der Spur eines neuen Phänomens, für das man in den USA schon ein Wort gefunden hat: Zoom Fatigue.
Am Anfang denkt man sich nichts, außer vielleicht, dass es ein langer Tag war. Und man selbst vielleicht gerade halt nicht so fit. Beim nächsten Mal schiebt man es auf den Alkohol. Oder darauf, dass einen die ganze Sache mit dem Virus offenbar doch mehr mitnimmt als gedacht. Beim dritten Mal kommt es einem spanisch vor. Irgendwann erkennt man ein Muster.
Dabei war alles ganz einfach und nett. Ein Glas Cremant in der Küche, der beste Freund per Video auf WhatsApp zugeschaltet. Ein Glas Wein und die Schwägerin. Eine Zoom-Verabredung am Samstagabend auf dem Sofa. Und jedes Mal danach: Das dringende Bedürfnis, sich hinzulegen, nie wieder mit jemandem zu sprechen. Ein Gefühl völligen Ausgelaugtseins.
So tauchen allmählich Fragen auf. Was mag das sein? Ist man allein damit? Der einzige Mensch, dem sich inzwischen allein schon beim Gedanken an das nächste virtuelle Treffen im Freundeskreis der Magen verkrampft? Zumal man im engsten Umfeld nur amüsiertes Unverständnis erntet. Schließlich hat man nichts anderes getan als sonst auch: Daheim mit vertrauten Menschen geplaudert.
Voriges Wochenende dann der Griff zum Handy. Die Frage an die Suchmaschine bringt Erleichterung: Es geht auch anderen so. Vielen. Sehr vielen. Und in den USA gibt es, zumindest umgangssprachlich, seit Kurzem dafür ein eigenes Wort: Zoom Fatigue.
Benannt nach der in der CoronaKrise boomenden Software für Videokonferenzen, steht es für die Müdigkeit,
die einen nach deren Gebrauch befällt. Vor allem in Amerika häuften sich in den vergangene Tagen Berichte zu diesem neuen Phänomen.
Gezwungen, alles von zu Hause aus zu erledigen, ist die Verwendung von Zoom und Google Hangouts, Facetime, WhatsApp oder Skype rund um den Globus explodiert. Der „National Geographic“nennt es ein inoffizielles soziales Experiment, das nun in großem Rahmen etwas zeige, das man immer schon vermutet habe: Virtuelles Interagieren setzt dem Gehirn ziemlich zu.
Das renommierte Magazin zitiert dazu etwa Andrew Franklin, einen Experten für Cyberpsychologie an der Norfolk State University in Virginia. Viele Menschen, sagt er, seien überrascht, wie anstrengend sie etwas vermeintlich Einfaches finden: Sich mit jemandem über einen Bildschirm zu unterhalten. Während eines Gesprächs konzentriert sich das Gehirn zu einem Teil auf das verbal Gesagte, gleichzeitig aber auch auf Körpersprache und nonverbale Botschaften. Viele dieser Botschaften gehen via Video verloren. Weil die Pixel unscharf sind, das Bild stockt, der Computer nur den eingekastelten Teil eines Menschen zeigt.
Ein zu großes Gesicht. Dazu fehlt der wichtige Augenkontakt, der Aufmerksamkeit versichert: Dafür müsste man nämlich auf die Kamera des Geräts schauen. Schaut man auf den Bildschirm, wirkt es, als würde man wegschauen. Gleichzeitig hat man oft ein viel zu großes Gesicht vor sich, was wiederum bedrohlich oder zu intim sein kann, sagt Jeremy Bailenson, Gründungsdirektor des Virtual Human Interaction Lab der Stanford University, der gerade einen viel beachteten Beitrag dazu im „Wall Street Journal“veröffentlicht hat. Bei einem echten Treffen würde man eine Distanz wählen, mit der man sich wohlfühlt.
Wenn viele Teilnehmer gleichzeitig zu sehen sind, macht es die Sache nicht leichter. Auch die Galerieansicht ist eine Herausforderung fürs Gehirn, das verzweifelt versucht, mehrere Gesichter gleichzeitig zu lesen und am Ende keines so richtig wahrnimmt, auch nicht denjenigen, der gerade spricht. Und bei all dem sieht man sich in irgendeinem Eck des Bildschirms auch noch selbst und denkt mit einer Restkapazität darüber nach, wie man auf die anderen wirkt, ob man nicht doch ein vorteilhafteres T-Shirt hätte anziehen sollen. Man fühlt sich beobachtet, nicht zuletzt von sich selbst. Als würde man bei einer Unterhaltung ständig nebenbei in den Spiegel schauen.
Auch die BBC hat sich inzwischen mit der Frage beschäftigt, „warum Zoom-Anrufe so viel Energie kosten“. So sei es dabei nicht nur schwerer, nonverbale Hinweise zu sammeln und zu dekodieren, sondern es entstehe auch eine Dissonanz: Man sei im Geiste zusammen, körperlich aber nicht. Das sei auf Dauer anstrengend und verhindere eine entspannte Unterhaltung.
Die Menge macht’s auch. Auch die Stille ist ein Faktor: In einer Unterhaltung sind Pausen normal, via Video wirken sie seltsam, man sucht den Fehler bei der Technik, den anderen oder bei sich.
Oft hat die Erschöpfung wohl auch einfach mit der schieren Menge an virtuellem Leben zu tun, das plötzlich eingesetzt hat. Dass mit dem HomeOffice auch die Kollegen (und Vorgesetzten) im eigenen Wohnzimmer Einzug gehalten haben, darüber wurde in den vergangenen Wochen schon viel geschrieben (ebenso wie über die vorteilhafteste Wahl des Hintergrunds: Leere Wand? Tolstoi? Digitale Fototapete mit Palmenstrand?). Dazu kommen nun allerdings auch zunehmend viele Freizeitverpflichtungen, vom digitalen Afterwork-Drink mit Kollegen und der Onlinegeburtstagsparty bis zum Handytreffen mit der Oma.
Die Wienerin Annabel Loebell macht sich in ihren Facebook-Stories inzwischen schon lustig über die Vorbereitungen (je nach Uhrzeit Haare kämmen/Drink nehmen) auf schon wieder „einen Zoom-Call, der ein E-Mail hätte sein können“. Der Telefonanruf der „Presse am Sonntag“erreicht sie – während eines Zoom-Calls.
Ist man der einzige, dem sich schon beim Gedanken daran der Magen verkrampft?
Schon wieder ein Zoom-Gespräch, das einfach ein E-Mail hätte sein können.
Loebells Zoom-Tag beginnt derzeit um acht Uhr morgens mit einer Stunde scherzhaftem „Hausfrauenturnen“mit sechs bis acht Freundinnen aus verschiedenen Städten, für jeden Tag sucht eine andere ein Video eines „absurden kalifornischen Girls“. Um halb zehn trifft sie ihr Team zum virtuellen Büro-Check-in, tagsüber kommen rund drei Meetings mit Kunden dazu. Auch auf Teams oder Skype, meistens aber auf Zoom als unkompliziertestem Kanal. Es sei ja auch schön, ganz ohne Anfahrt sozial interagieren zu können. Da gebe es dann die unterschiedlichsten Gesprächskulturen – von jenen, die sich hübsch hergerichtet und mit Filter präsentieren (Snap Camera für die schöne Haut!) bis zu jenen, die dem Gespräch ohne Kamera und Mikro folgen, „wo man dann gar nicht weiß, ob sie überhaupt da sind.“
Die PR-Beraterin führt derzeit Tagebuch über den Ausnahmezustand und beobachtet etwas, das sie einen „Lupeneffekt“nennt. Einen „glasklaren, konzentrierten, puren“Blick auf Familie, Freunde, Job. Dieser Verstärker-Effekt zeige sich auch in Zoom-Meetings, in denen positive wie negative Eigenschaften der Teilnehmer stärker zu Tage treten würden – der Humor der einen wie die Tendenz des anderen, ständig zu unterbrechen. Wobei das aber auch nicht nur an der Technik liege. „Ich glaube, man hat in der derzeitigen Phase auch eine dünnere Haut.“
Jeden Freitagabend trifft sich Loebell dann auch noch in einer Runde von acht Freunden auf Zoom zum Aperitif. Dinge, die man sonst nur als kleine Bemerkung zum Nebenstehenden