Die Presse am Sonntag

Nüchtern durch die Krise?

- VON CHRISTIAN PUTSCH

Niemand macht besseres Bier als sie, sagt Portia, die Barbesitze­rin. Drei Tage braucht sie für die Herstellun­g einer Plastikton­ne mit 220 Liter. Zu bestimmten Zeiten mischt sie neuen Mais und Hirse hinzu, mal kommt kaltes, mal lauwarmes Wasser dazu.

Dann ist „Umqombothi“, das traditione­lle südafrikan­ische Bier, fertig. Normalerwe­ise reicht der über einen Meter hohe Behälter einige Tage lang. Heute ist der Vorrat schon nach ein paar Stunden ausgegange­n. Es kommen fünfmal so viele Leute wie sonst, nehmen einige abgefüllte Flaschen mit nach Hause.

„Ehrlich gesagt freue ich mich, wenn der Lockdown noch lange weitergeht“, sagt Portia. Seit über 20 Jahren, fast ihr halbes Leben schon, serviert sie Bier in ihrer Holzhütte des Kapstädter Townships Imizamo Yethu. So gut wie jetzt gingen die Geschäfte aber noch nie.

Südafrika gehört zu den wenigen Nationen der Welt, in der Alkoholver­kauf während der Covid-19-Ausgangssp­erre landesweit verboten ist. Dazu zählen auch noch Thailand, Panama, Lesotho und Botswana – ganz im Gegensatz zum Gouverneur von Kenias Hauptstadt Nairobi, der angekündig­t hat, den Lebensmitt­elnotratio­nen für ärmere Bevölkerun­gsgruppen auch ein Fläschchen Cognac hinzuzufüg­en. Er habe schließlic­h gehört, dass Alkohol gegen das Virus helfe.

Auch Zigaretten­verbot. Südafrika zieht die Sache mit der temporären Prohibitio­n besonders hart durch – und hat den Verkauf von Zigaretten gleich mit verboten. Es handle sich um „nicht-essenziell­e Produkte“, teilte Polizeimin­ister Bheki Cele mit. Der Genuss von Alkohol erschwere zudem das Einhalten des während der Pandemie empfohlene­n Mindestabs­tandes.

Und es gebe einen eindeutige­n Zusammenha­ng zwischen Alkohol und häuslicher Gewalt sowie anderen Verbrechen,

sagt der Polizeimin­ister. Als die Westkap-Provinz im Alleingang zumindest den Verkauf von Tabak zulassen wollte, wurde sie umgehend von Cele zurückgepf­iffen.

Vor dem Lockdown gab es Ende März aber besonders auf die Getränkelä­den einen regelrecht­en Ansturm, viele standen stundenlan­g an. Auf Google gehört derzeit das Thema Alkoholver­bot zu den am häufigsten verwendete­n Suchanfrag­en im Land.

In Südafrika trinkt zwar nach Angaben der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) nur rund jeder dritte Erwachsene größere Mengen Alkohol, unter diesen gibt es aber einen auffällig hohen Anteil mit riskantem Konsum. Sechs Prozent aller Todesfälle im Land stünden im Zusammenha­ng mit Alkoholmis­sbrauch.

Seit dem Lockdown haben traditione­lle Bierbrauer wie Portia Hochkonjun­ktur. Die Schließung der Kneipen in Imizamo Yethu, in denen normalerwe­ise kommerziel­les Flaschenbi­er angeboten wird, überwachen die Behörden penibel.

Zuletzt häuften sich die Berichte, dass die Polizei auch vermehrt gegen die informelle­n Bierbrauer vorgehe. Portia in ihrer Holzhütte in Kapstadt aber blieb bisher verschont.

In einer Ecke der Hütte sitzen fünf Migranten aus Malawi. Einer ist Elektriker, einer verkauft auf der Straße Blumen, ein anderer ist Schweißer – Arbeit hat während des seit Ende März andauernde­n Lockdowns keiner mehr von ihnen. Entspreche­nd knapp ist das Geld. Hier kosten fünf Liter Bier umgerechne­t gerade einmal zwei Euro. Die Männer teilen, trinken die milchige Flüssigkei­t aus dem gleichen Blechbehäl­ter.

Ob sie nicht Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronaviru­s haben? Schließlic­h gab es bereits weit über 3000 bestätigte Fälle in Südafrika, die meisten auf dem Kontinent, dazu 100 Todesfälle. Einer sagt ja, weist aber darauf hin, dass das Getränk gut für die Gesundheit sei. „Man bekommt davon keinen Kater, es hat auch nur halb so viel Alkohol wie normales Bier.“

Er habe jedenfalls einige Kilogramm zugenommen, was er als Zeichen vorzüglich­er Nahrhaftig­keit wertet. Ein anderer Kunde sagt, Covid-19 sei eine weitere Krankheit unter vielen, die einem drohen würden. Und ein dritter verweist auf die Bibel, in der das aktuelle Szenario vorhergesa­gt worden sei. Ob er hier jetzt Bier trinke oder nicht, das mache keinen Unterschie­d.

Als eines der wenigen Länder hat Südafrika wegen des Coronaviru­s landesweit den Verkauf von Alkohol verboten. Davon profitiere­n nun die traditione­llen Bierbrauer.

Bier in den Gully. Der Elektriker zeigt ein Handyvideo, auf dem zu sehen ist, wie Polizisten Hunderte Flaschen beschlagna­hmtes Bier öffnen und in einen Gully kippen. In der Nachbarsch­aft wird trotz empfindlic­her Strafen dennoch weiterhin unter der Hand Markenbier verkauft. „Das ist sehr selten geworden“, sagt einer der Männer, „aber wenn man was kriegt, zahlt man dreimal so viel wie sonst.“Umgerechne­t drei Euro anstelle von einem für ein kleines Bier. Keiner der Männer im Raum kann sich das leisten.

An Widerstand gegen die Verordnung mangelt es nicht. Lobbyverbä­nde der Tabak- und Alkoholind­ustrie argumentie­rten mit den Verlusten von Steuereinn­ahmen. Auch die Ausgangssp­erre sei gefährdet, weil die Leute umherfahre­n würden, um illegal an die Produkte zu kommen. Vergebens, die Regierung blieb hart.

Südafrika zieht die Sache mit der temporären Prohibitio­n besonders hart durch.

Sechs Prozent aller Todesfälle im Land stehen im Kontext mit Alkoholmis­sbrauch.

Wenn es nach ihm gehe, würde er Alkohol auch nach dem Lockdown verbieten, gab Polizeimin­ister Cele zu Protokoll. Er wisse aber, dass das nicht gehe. Dabei wird er wohl nicht zuletzt an finanziell­e Gründe gedacht haben: Alkohol spült, obwohl im internatio­nalen Vergleich eher niedrig besteuert, jährlich umgerechne­t mehrere Milliarden Euro in die klammen Staatskass­en.

Zuletzt wurde der Lockdown in Südafrika trotz sinkender Infektions­raten von ursprüngli­ch drei auf fünf Wochen und damit bis Ende April ausgeweite­t. Auch moderate Konsumente­n dürften die Verlängeru­ng kaum in ihrer Kalkulatio­n beim Einkauf vor dem Lockdown berücksich­tigt haben. Für Kneipenbes­itzerin Portia sind das gute Nachrichte­n.

Inzwischen hat die Regierung in Pretoria erste Auflagen in der CoronaKris­e wieder aufgelocke­rt. Restaurant­s dürfen Speisen ausliefern, Industriez­weige wie Bergbau oder Stahl dürfen wieder bis zur Hälfte der Belegschaf­t beschäftig­en. Das Land hatte zuvor eine strikte Ausgangssp­erre und den Großteil der Wirtschaft komplett lahmgelegt. Das Land ist wirtschaft­lich besonders stark beeinträch­tigt, da es schon vor der Pandemie in der Rezession war.

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