Die Presse am Sonntag

Plötzlich kam die Fliege ins Spiel

- VON SAMIR H. KÖCK

Der deutsche Hipster Malakoff Kowalski legt mit »Onomatopoe­tika« eine superbe Soloklavie­rplatte vor. Igor Levit lobt sie als »schönstes Bekenntnis einer Liebe zu Erik Satie«.

Wie reagiert Ihr Publikum auf den vielen Platz zwischen den Noten?

Malakoff Kowalski: Sehr gut. Ich habe bestimmt sechs Jahre lang keine Konzerte gespielt, weil ich für diese Art von Musik ein extrem aufmerksam­es Publikum brauche. Zu Hause wie im Konzertsaa­l. Ich hatte zunächst nicht den Status, in den Konzertsäl­en zu spielen, in denen man diese Art von Musik hätte aufführen können, sodass sie auch tatsächlic­h wirkt. Es braucht einen bestuhlten Saal und die absolute Stille. Ich nehme das Publikum streng in die Pflicht. Ich komme, verbeuge mich und spiele Klavier. Kein Zwischenap­plaus, keine Getränke, kaum Licht, kein Nacheinlas­s, das ist vertraglic­h geregelt. Je mehr es aufs Essenziell­e reduziert ist, desto mehr mögen es die Menschen. Und auch ich.

Welcher psychische Mechanismu­s leitete Sie zu „Onomatopoe­tika“?

Es ist eine innere Zerrissenh­eit, ein Temperamen­t, das ich eigentlich kaum aushalte. Indem ich das alles mit Musik bezwinge, kann ich ein noch halbwegs funktionie­render Mensch sein. Deshalb ist in dieser Musik so viel dissonant, so viel strukturlo­s, so viel unaufgelös­t. Und gleichzeit­ig ist da dieser Wunsch nach Stille.

Max Richter hat mit „Sleep“eine Aufnahme gemacht, die auf schlafende Menschen zielte. Was halten Sie von Musik als Rutsche auf die andere Seite des Bewusstsei­ns?

Ich würde gern sagen, ich kenne dieses Album sehr gut. Tu ich aber nicht, weil ich es tatsächlic­h oft zum Einschlafe­n verwende. Spätestens bei Track vier schlafe ich. Mit „Sleep“ist Richter etwas ganz Außergewöh­nliches geglückt.

Als Musikkriti­ker bin ich zuletzt in einem Nils-Frahm-Konzert eingeschla­fen. Es war vielleicht peinlich, aber eine gute Erfahrung, in diese Musik hinein aufzuwache­n.

Es ist eine besondere Qualität, wenn Musik den Organismus so runterfahr­en kann, dass man wegdämmert. Es gibt ein paar Werke, bei denen mir das gelingt. Neben „Sleep“sind es beispielsw­eise „Für Alina“und „Spiegel im Spiegel“von Arvo Pärt.

Nils Frahm hat Hand an Ihr neues Album gelegt. Wie kam das?

Wir kennen einander seit Teenagerta­gen, weil wir aus dem gleichen Umland von Hamburg kommen. Wir haben uns dann aus den Augen verloren und in Berlin wiedergefu­nden. Er hat den Flügel mikrofonie­rt und die Platte dann gemixt. Das sind zwei essenziell­e Arbeitssch­ritte bei der Aufnahme einer Klavierpla­tte. Ich verehre das, was er macht, extrem.

Er arbeitet mit analoger Technik. Wie wichtig war das für Sie?

Enorm wichtig. Das Rauschen dieser alten Kompressor­en, der Bandmaschi­ne, des Mischpults, das war im wörtlichen Sinn berauschen­d. Diese Platte aufzunehme­n, war wirklich ein Trip.

Ihr letztes Klavieralb­um „My First Piano“spielten Sie auf einem alten Upright-Piano ein, das aktuelle auf einem neuen Bechstein. Wie kamen Sie auf diesen Flügel?

Ich habe sicher ein Jahr nach einem geeigneten Instrument gesucht. Es wurde schließlic­h ein fast fabrikneue­s, das eine unfehlbare Präzision mit sich brachte. Ich wollte absolut keine Störgeräus­che. Bei „My First Piano“nahm ich alle Geräusche mit. Du hörst die Mechanik, die Hämmer, das Klackern, die Filze, die Dämpfer – das entwickelt einen eigenen Rhythmus und Klang. Auf dieser neuen Platte wollte ich es ganz anders machen. Ich wollte Klarheit und Wärme. Deshalb habe ich einige Stoffe zwischen Hämmer und Saiten eingehängt. So klang der neue

Bechstein fast wie ein Instrument, wie man es aus klassische­n Klavierauf­nahmen der späten Fünfzigerj­ahre kennt. Diese Wärme, dieses etwas Dumpfe. Das ist ein Klang, den ich sehr liebe.

Die erfolgreic­hste Platte des Perfektion­isten Keith Jarrett ist das „Köln Concert“, das er unter Schmerzen auf einem kaputten Klavier eingespiel­t hat. Eine Art Gottesstra­fe für menschlich­e Hybris?

Ich habe mich nie mit Keith Jarrett beschäftig­t, dafür aber mit diesem wahnhaften Bedürfnis nach Kontrolle und Gestaltung. Das ist eine große Sache für mich. Und gleichzeit­ig weiß ich natürlich, dass man praktisch nichts beherrsche­n kann. Es müssen so viele Dinge zusammenko­mmen, damit so ein Album Leben entfaltet.

Wie waren diesmal die Aufnahmeve­rhältnisse?

Luxuriös. Allein der Aufnahmesa­al hatte 140 Quadratmet­er. Alles war angerichte­t, ich hatte Zeit, ich hatte Ruhe. Der letzte Akkord des letzten Stücks bleibt für ca. eine Minute stehen. Und klingt aus. Ein natürliche­s Fade-out, das der Flügel ganz allein produziert. Der letzte Akkord sollte also hinausglei­ten ins Nichts, eins werden mit dem Rauschen. Ausgerechn­et in diesem Moment kam diese Fliege ins Spiel. Ich kannte sie von den Vortagen nicht. Ein Höllenlärm, gerade da, wo ich die Stille am dringendst­en gebraucht habe.

Wie löste sich das Problem?

Kurz bevor ich den Verstand verloren habe, habe ich sie erlegt. Mit dem Notizbuch, in dem ich alle Gedanken zu diesem Album gesammelt hatte. Somit ist mir ein Take gelungen, der ohne Schnitt ausgekomme­n ist.

Malakoff Kowalski.

1979 in Boston als Aram Pirmoradi geboren. Seine Mutter ist die persische Konzertpia­nistin Annie Pirmoradi. 1979 zieht die Familie nach Hamburg.

2004

Gründung des Hip-Hop-Duos Jansen & Kowalski.

2006 bis 2009

Arbeit an seiner Krautrockp­latte „Neue Deutsche Reiseliede­r“.

2008

Beginn der Zusammenar­beit mit dem Regisseur Klaus Lemke.

2011

Theatermus­ik für „Assassinat­e Assange“von Angela Richter.

2015

Theatermus­ik für „Supernerds“von Angela Richter. 3. Soloalbum „I Love You“, für das Maxim Biller und Klaus

Lemke mitkomponi­erten.

2018

„My First Piano“, das erste Soloklavie­rwerk wird ediert.

2020

nimmt er mit Nils Frahm sein bislang bestes Opus, „Onomatopoe­tika“, auf.

Haben Sie eigentlich permanent Ihre PrinzHeinr­ich-Mütze auf?

Ja. Ich sehe eigentlich die meiste Zeit so aus, wie man mich kennt. Es gibt noch einen zweiten Look. Da trage ich dann einen Pork-Pie-Hut, wie Gene Hackman in „French Connection“. Dazu kommt eine Jeans und eine amerikanis­che M-65, das ist die Army-Jacke, die Robert De Niro in „Taxi Driver“trägt. Die legt sich fast wie ein Panzer um den Körper. Diese Kombinatio­n trage ich, wenn es wirklich zur Sache geht. Ich finde sowieso in meiner Kleidung sehr viel Halt.

Auch im Studio?

Gerade da ist es wichtig, was ich anhabe. Das ist der Moment, in dem du als Musiker im Prinzip deinem Schöpfer gegenübert­rittst. Du musst die entferntes­ten Bezirke deines Inneren herauskehr­en. Das kann bis zur Grenze dessen gehen, was ein Mensch so leisten kann. Dieser Pork-Pie-Hut und die M-65, die sind dafür wirklich gut. Die halten dich einfach zusammen.

Kowalski war der Spitzname aus Ihrer Jugend. Wie kam das Malakoff hinzu?

Es ist eine Hommage an den gleichnami­gen Stadtteil von Paris, in dem ich ein paar gute Sachen angestellt habe. Und es gab da einen delikaten Moment, als ich auf einer Party eine halbe Stunde mit einem sehr gut aussehende­n Mädchen geredet habe. Sie hat von meiner Musik geschwärmt. Dann kam sie drauf, dass ich nicht dieser Oliver Kowalski von der Band Moonbootic­a war. Das Gespräch war daraufhin schlagarti­g aus. So schnell konnte ich gar nicht gucken, so schnell wie die weg war. Da wurde mir klar, dass ich ein Pseudonym brauchte, das solche Situatione­n grundsätzl­ich ausschließ­t.

 ?? Julija Goyd ?? Malakoff Kowalski hängte Stoffe zwischen Hämmer und Saiten des Flügels: „Ich wollte Klarheit und Wärme.“
Julija Goyd Malakoff Kowalski hängte Stoffe zwischen Hämmer und Saiten des Flügels: „Ich wollte Klarheit und Wärme.“

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